Cherchez la Femme (02/2022)
Auf der Suche nach – ich erinnere mich beim besten Willen nicht mehr, was es denn war – verlor ich mich im Internet, wie Hänsel und Gretel im dunklen Wald. Ich tappte im dichten Netz von einem Link zum anderen, keine Spur von einer bösen Hexe. Ich war auch nicht auf der Suche nach Verschwörungstheorien, ganz im Gegenteil las ich abseits von unnützlichen Informationen plötzlich von den Bühnenmüttern* Sie erschienen mir auf meinem Pfad, würde ich als Märchenerzählerin schildern, sie kreuzten meinen Weg. Schicksal? Selbstverständlich! Ich war Feuer und Flamme, heute im 21. Jahrhundert endlich – nach meinen 42 Bühnenjahren, die kein Honiglecken waren – die Selbstverständlichkeit von Frauen zu sehen, mit der sie politisch aktiv sind, um für ihre Bühnen-Rechte und Wertschätzung als arbeitende Künstlerinnen mit Familienleben zu kämpfen. Wenn auch Bühnenmütter etwas altbacken daherkommt. Egal! Wieder einmal viel Einsatz, weil nichts selbstverständlich ist. Und Kinder haben, das sind zwei entscheidende Wörter, bei denen es in allen Ohren klingelt, sofern sie vernommen, in den Intendantenzimmern, und -vorzimmern, wo man mit uns die Verträge verhandelt. Nach wie vor stoßen wir Mütter und Künstlerinnen auf verschlossene Türen, auf dramatische ökonomische Ungleichheit, auf sexuelle Diskriminierung nach wie vor und auf Altersdiskriminierung. Übrigens, vor kurzem erhielt ich eine Absage für eine dystopische Produktion, bei der ich mich beworben hatte, in der ich die einzige ältere Performerin gewesen wäre (!). Ausschließlich sehr junge Protagonist*innen sind letztendlich dabei. Seltsam, eine Vorwegnahme des kommenden Grauens, einer Zeit, in der es keine Alten mehr gibt? Nirgendwo. Nirgends mehr sichtbar. Aber ab wann, also ab wann ist man dann «alt», mit 40 oder mit 60? Und wer bestimmt das Alt-sein? In diesem meinem gar nicht theoretischen Fall war es eine Regisseurin. Sind die Alten der Zukunft nicht die Jungen von heute. Ich lächle maliziös. Wie entledigt man sich der Menschen über 40 in den derzeit nur gespielten Dystopien? Meine genauso wichtige Frage wäre: Wie entledigt man sich der Überheblichkeit und Unverschämtheit der Verantwortlichen, der Produzent*innen, der Regisseur*innen, wie kommen Performer*innen und Schauspieler*innen zu ihrem Bühnenrecht, mit Kind, mit Falten, mit Einschränkungen und mit dem Makel einer abstrakten Zahl, die ein Alter anzeigt, egal womit und wodurch?
Das Kind als Störfaktor
Per Zoom nehme ich an einem Meeting der Deutschen Initiative Bühnenmütter teil, erfahre vom österreichischen Pendant, der Initiative HOOD for Artist Parents, gegründet von Künstlerinnen der freien darstellenden Künste in Wien, die gemeinsam mit der IG Freie Theater eine Umfrage zur Vereinbarkeit von künstlerischem Schaffen und Gründung einer Familie mit dem Titel: «kind und kunst – (wie) geht das?» ausgearbeitet hat. Die Umfrage wurde zum überwiegenden Teil von Frauen beantwortet (76,8 %), was einerseits bei dem eindeutigen Geschlechterverhältnis der IG-Mitglieder nicht verwunderlich ist, andererseits aber auf eine geschlechtsspezifische Aufgabenteilung in der Kinderbetreuung hindeutet. Da hauptsächlich Frauen das Kinderbetreuungsgeld in Anspruch nehmen, macht auch diese Umfrage den Gender-Pay-Gap deutlich. Da Frauen weniger verdienen, sind sie es, die das KBG und damit die Betreuungsarbeit übernehmen und weniger Zuverdienst in Kauf nehmen aufgrund der Zuverdienstgrenze. Damit drängt man die Frauen in einen ökonomischen Winkel. Die überwiegende Mehrheit (82,9 %) musste auf Jobs/Produktionen verzichten, weil sie Eltern geworden waren. Die Probenzeiten auch am Wochenende machen es Müttern äußerst schwer. Unvorhergesehene, spontane Arbeitszeiten wie keine Wochenpläne, Probe nach Ansage, spontane Zusatzproben, familiäre Organisation bei Gastengagements, Residenzen, führen zu Zerreißproben zwischen Kind und Arbeit und sind kaum zu vermeiden. Rücksichtnahme ist in den Bereichen ein Fremdwort. Das gleichförmig wiederkehrende Thema Kinderbetreuung und (Bühnen-)Karriere. Die Befragten sind Künstlerinnen diverser Sparten. Der Durchschnitt hatte 1 bis 2 Kinder. Mehr als die Hälfte der Befragten sagen, sie müssen durch die Doppelbelastung ihren Alltag «irgendwie jonglieren». Das heißt auf gut Deutsch, sie stehen unter hohem Stress, Kinderbetreuung und künstlerische Hochleistung unter einen Hut zu bringen. Gott, wie kenne ich das. Gott, wie oft bin ich dabei zusammengebrochen. Dazu kommen schlaflose Nächte, wenn die Kinder krank sind. In der Früh aber sollte frau topfit auf der Bühne stehen und schöpferisch arbeiten. Auf Kommando. Auf die Frage, ob die Künstlerinnen Diskriminierung aufgrund von Mutterschaft, Schwangerschaft, Kinderbetreuung erlebt haben, fallen eindeutige Antworten, die mir schon vor 40 Jahren eingefallen wären. Bloß gab es damals null Bewusstsein dafür. Man hätte mich beim Bühnenausgang entweder ausgebuht oder mich galant mit Handkuss, sprichwörtlich mit einem Arschtritt versehen. Lese ich mir die vielen Antworten der Umfrage durch, so berührt mich ein tiefes Gefühl: das der Scham und der Schuld. Das Tabu. Es schwingt leise zart in vielen Aussagen mit, als dürfe man es nicht laut genug hinausposaunen. Müttern, die nicht mehr «flexibel» (euphemistisch für 10 bis 12 Stunden Probentage bei den Endproben oder Abendproben) sein können aufgrund von Betreuungspflichten und mangelnden Kinderstätten, schiebt man direkt ohne Umschweife den Riegel zu und gibt ihnen dafür die Schuld, dass die Tür jetzt – ja leider – zu ist. Das ist das Gesamtbild. Der Gesamtcodex. Die Frau trägt nach wie vor überdurchschnittlich oft die totale Last. Körperlich, seelisch, beruflich, sozial, juristisch. Was ich als Schwangere am Schauspielhaus erlebte, möchte ich hier nicht schildern. Es war der blanke Horror von Seiten des Regisseurs, aber auch der Leute in der Verwaltung. Ich war Ende des 7. Monats. Ich wurde derart drastisch runtergemacht und schikaniert, damit ich von selbst kündige. Dem habe ich standgehalten. Sonst wäre ich ohne Geld dagestanden. Lange konnte ich mit niemandem darüber reden. Lange war es ein Trauma. Immer wieder arbeite ich es auf. Zwei Jahre später engagierte mich ein anderer Regisseur am Schauspielhaus. Das war für mich damals Erlösung und Neubeginn, weil ich mein kleines Kind mitnehmen konnte zu den Proben. Mein Sohn, meine Tochter waren per se keine Störfaktoren mehr. Das war eine wunderbare Zeit. Es geht auch absolut anders.
Mütter sind keine halben Künstlerinnen
Unsere künstlerische Ausbildung ist akademisch und dauert mindestens vier Jahre und mehr, insbesondere als Opernsängerin. Wir investieren alles in unsere Ausbildung. Wenn wir schwanger werden, gewollt oder ungewollt, werden wir zu einem Problem. Weil «Kunst» rigorosen Gesetzen und Plänen folgt. Weil eine Künstlerin mit Kind bisher nicht mitgedacht wird. Das ist das Problem. Die Menschen hier in Österreich denken sehr hierarchisch und eingeschränkt. In anderen Ländern gibt es Theaterkindergärten. Universitäten haben Kindergärten, selbst die meisten Universitäten, Akademien und pädagogischen Hochschulen in Wien haben Kindergärten. Viele Künstlerinnen bemängeln die starren Arbeitszeiten, sagen, dass sie wieder gerne Oper singen würden, aber die Probenzeiten machen es schwer, besonders die Endproben. Es wäre ein Traum, wenn es Betreuungsangebote durch die Theater gäbe, erzählt eine andere. Best Practice sieht man am Theater Hannover, am Staatstheater Nürnberg in der Übernahme von Babysitterkosten. Das ist Fortschritt. Der Kieler Intendant Karasek sei auch ein löbliches Beispiel sowie das Theater Jena. Übrigens hörte ich, dass in den ehemaligen Ostländern Deutschlands die Situation eine etwas andere ist. Der Sozialismus hat seine positiven Spuren hinterlassen. Ich persönlich würde der Freien Szene Wiens einen Solidarbeitrag vorschlagen, da sich ja jede Künstlerin die Kinderbetreuung selbst zahlen muss, und das oft von zu kleinen Gagen. Die Bühnenmütter wollen sich gegenseitig unterstützen, wollen mehr Offenheit und Kommunikation bei dem Thema. Unnötige Bilder im Kopf machen es schwer, etwas zu verändern, sagen sie, wie zum Beispiel: «Wer ein Familienleben hat, der ist ein Spießer.» Mehrfachbelastung wird uns als vermeintliche Schwäche ausgelegt, anstatt dass man uns Respekt entgegenbringt für die Care-Mehrarbeit. Das Theater besteht nicht aus lauter einsamen Genies, vor allem männlichen. Die Zeiten sind vorbei. Fazit: Die Diskriminierung von Müttern ist schockierend und die gängige Praxis oft eine Umschulung. Kommt mir bekannt vor. Und Altersarmut. Niemand bewahrt uns davor außer wir selbst. Also schaut auf die Facebook Gruppe Bühnenmütter, da sind über 200 Follower und tauscht euch aus. Initiiert Kampagnen, macht Konferenzen über Zoom und publiziert euer Manifest. Holt euch eine Schirmfrauschaft. Seid cool, kritisch und antikapitalistisch. Lasst euch niemals klein machen. Never ever.
Deutschland:
www.buehnenmuetter.com
Online-Konferenz am 29. 3.
Pro Quote Bühne e.V.
Pro Quote Film e.V.
Mehr Mütter für die Kunst
Bündnis für eine gerechte Kunst- und Kulturarbeit, Baden-Württemberg
Aktionsbündnis fair share! Sichtbarkeit für Künstlerinnen
kunst+kind berlin Yaya Netzwerk
Care/Rage Dramaturgie-Netzwerk
Österreich:
Initiative Hood for artist parents – Veronika Glatzer
Alle Umfragen sind zu finden auf:
https://freietheater.at/service/igft-infomaterialien