Radikal SchickArtistin

Barrierefreie Mode. Die ­Wiener Fashionszene ist zwar klein, aber kreativ. Mit MOB-Industries gibt es jetzt eine Marke, die zeitgenössische Mode für Menschen mit und ohne Behinderungen anbietet. Text: Ruth Weismann
Fotos: Lisa Bolyos

«Das Hemd finde ich super, das hab’ ich mir gleich gekauft» sagt Philipp Hochenburger, während er sich fürs AUGUSTIN-Fotoshooting zurechtmacht. Hochenburger ist Student, Leistungssportler und Rollstuhlnutzer – und seit kurzem Model: Er wurde für’s Cover des ersten MOB Industries–Lookbooks gecasted.
MOB steht für Mode Ohne Barrieren, Assoziationen mit Mobilität und dem «wütenden Mob» sind beabsichtigt. Obwohl es nicht wirklich Wut war, die Josefine Thom auf die Idee einer Modelinie brachte, die für alle Menschen designt ist – egal ob mit, ohne oder mit welcher Art von Behinderung. Es war die Erfahrung, dass es zwar unglaublich viel Fashion gibt, aber keine, die die Fashion-Lust von Menschen mit Behinderungen berücksichtigt.

Radikale Mode.

Die ausgebildete Sozialpädagogin ist seit längerem an der Schnittstelle von Kunst und Inklusion aktiv, wo es nicht um «Betreuung» und «Beschäftigungstherapie» geht, sondern um reales Leben mit Coolness-Faktor und radikaler Realness-Attitüde. 2015 hat sie den Kulturverein Pro21 mitgegründet, in dem Menschen mit und ohne Behinderung zusammenkommen, um mittels Popkultur, Urbanismus und anti-neoliberaler Haltung gegen Ausgrenzung zu arbeiten und Spaß zu haben. Die Idee mit der Modelinie kam indirekt von ihrer Schwester. «Meine Schwester hat die höchste Pflegestufe. Wenn man ihr eine Jacke anzieht ist das nicht möglich, ohne sich halb den Arm auszukugeln» erzählt Thom.
Ihre Mutter war es, die zu recherchieren begann, welche kleidungstechnischen Möglichkeiten es gibt. Im deutschsprachigen Raum gibt es einige Firmen, die auf Bekleidung für Rollstuhlfahrer_innen spezialisiert sind, was für die Pflege praktisch sei, so Thom. «Was mich gestört hat ist, dass es nur um Funktionsästhetik geht, und um die Zielgruppe Senior_innen. Ich finde, das hat nichts mit Mode zu tun.» Denn Mode hat für Thom mit Style, Haltung und Kultur zu tun. Warum sollte das nicht für alle gelten?
Die Lücke füllt sie nun seit kurzem gemeinsam mit Johann Gsöllpointner, ausgebildetem BWLer: Zusammen launchten sie im heurigen Juli ihr Label MOB-Industries und präsentierten die Kollektion im Museumsquartier. Zeitgenössisches Modedesign, mit praktischen Features, gemacht für alle Menschen. Aber die Norm, von der ausgegangen wird, sind Rollstuhlnutzer_innen, auf die die Stücke zugeschnitten sind. Philipp Hochenburger war einer von jenen, die an der Entwicklung der Kleidungstücke beteiligt waren. Sie hätten sich mit den beteiligten Designer_innen getroffen und viel diskutiert, erzählt er. Darüber, ob der Stoff gut fällt, ob die Schnitte passen, welche Features wichtig wären und so weiter. Sie haben Entwürfe anprobiert, um herauszufinden, was am besten funktioniert, um schließlich die besten Ideen umzusetzen.
«Jede Behinderung ist anders, und jeder hat seine Eigenheiten, wenn es darum geht, sich anzuziehen» sagt Hochenburger. «Diese Hose zum Beispiel kann man an den Beinen bis hinauf aufmachen. Ich denke, das ist praktisch für E-Rollstuhlfahrer_innen, die sich oft nicht selbst anziehen können.» Viele Details müssen berücksichtigt werden: Dass am Rücken keine Verschlüsse sind, Nähte wie an herkömmlichen Hosen unangenehm sein können, dass Rollstuhlnutzer_innen an den Schultern oft mehr Spielraum und darum spezielle Schnitte brauchen, die Ärmel sollten nicht ganz lange sein, Stoff darf nicht in die Räder kommen und vieles mehr. Form follows function, aber eben so, dass es auch gut aussieht. Denn ernstgemeintes Design vereint Funktion und Ästhetik im besten Fall in einfallsreicher Symbiose.

Diversität und Kooperation.

«Es gibt so viele unterschiedliche Körper und unterschiedliche Geschmäcker. Diversität eben. Aber oft ist es bei behinderten Personen so, dass ihnen nur eine Identität zugeschrieben wird, durch ihre Behinderung. Mode wird da nie mitgedacht, aber für Inklusion ist Mode ein ganz wichtiges Thema» ist Josefine Thom überzeugt. Dementsprechend wurde bei den Entwürfen für MOB von Rollstuhlnutzer_innen als Norm ausgegangen, aber alle anderen Menschen werden auch inkludiert. Jacken, Hosen, Röcke, Oberteile – teilweise unisex, teilweise in Plus Size zu haben. Nichts weniger als «die Demokratisierung der Mode» streben MOB an, was auch als Seitenhieb auf einen großen Modekonzern zu lesen sein könnte, der Demokratisierung vor allem als Billigproduktion und Konsumrausch begreift. Die Stücke für MOB-Industries werden alle in Österreich hergestellt, die Preise rangieren zwischen 50 und 300 Euro und die Designs sind lässig, schick und zeitgenössisch.
Designt wurden sie von drei jungen Wiener Mode-Labels, die MOB zur Kooperation eingeladen hat: GON, Moto Djali und Ferrari Zöchling sind v.a. in der Kunst- und Kulturszene beliebt und haben die Aufgabe, Mode ohne Barriere zu entwerfen, je nach ihren eigenen Strategien gelöst. Thom steckt lässig ein Feuerzeug an die Brusttasche ihres in Blautönen gemusterten, locker fallenden Viskose-Kleids von GON, das sie beim AUGUSTIN-Gespräch trägt. «Der Magnet ist für vieles praktisch» sagt sie und zeigt vor: Auch der Rockteil, der Magnet trägt, lässt sich damit oben befestigen. «Super fürs Aufs-Klo-gehen, man muss das Kleid nicht mit den Händen halten.» Gadgets, die Spaß machen.
Derzeit haben Johann Gsöllpointner und Josefine Thom beide noch Nebenjobs und ihr Büro in Thoms Wohnzimmer, von wo aus sie sich um Marketing und Vertrieb kümmern und Präsentationsevents planen. Der eigene Web-Shop soll demnächst online gehen, aber Thom und Gsöllpointner wissen, wie wichtig die reale Anprobe für die Kleiderwahl ist: «Wir kommen auf Anfrage auch zu Leuten nach Hause» sagt Gsöllpointner. MOB-Party statt Tupper-Party, quasi. 

MOB-Industries, nächste Präsentation:
Inclusion Market, 13. September
14 – 19 Uhr im socialworkhub
9., Althanstraße 8

www.mob-industries.com

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