Radikale Amateur_innenArtistin

Comicszenen in Osteuropa

Im Jugoslawien der ausgehenden 1980er gab es nicht nur eine rege Musikkassetten- und Home-Computer-Szene. Auf diese Zeit gehen auch erste Versuche der Etablierung einer DIY-Comic-Kultur zurück, die sich inzwischen internationalisierte. Barbara Eder über die Kultur der sequenziellen Bilder.

Wenn es eine besonders missglückte Metapher für die ehemalige Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien (SFRJ) gibt, dann ist es vielleicht die eines dunklen Kellers. Einer Einstellung in Emir Kusturicas filmischer Trilogie Underground zufolge würde der einst zum ideologischen Fundament Jugoslawiens erklärte antifaschistische Partisan_innenkampf dort bis in die Gegenwart hinein fortgesetzt. Mit diesem Bild reagierte der Regisseur auf das historische Vakuum, in dem sich Jugoslawien kurz nach seinem gewaltsamen Zerfall befand. Das von ihm gewählte Bild entpuppt sich bei genauerem Hinsehen jedoch als reaktionär: Mit ihm verschwindet die Geschichte eines über mehr als drei Jahrzehnte hinweg von Josip Broz Tito regierten, multiethnischen Staates im Untergrund – und damit auch die einer lebendigen Gegenkultur.

Punk und Fotokopien.

Nicht anders als in vielen westlichen Ländern gab es auch im Jugoslawien der 1970er-Jahre eine studentische Protestbewegung, deren Akteur_innen unter anderem die Lockerung der Zensur von staatlich unterstützten Jugend- und Student_innen-Magazinen erwirkte; die Anfänge der jugoslawischen Punk-Bewegung, die neben Musik und Performance auch auf das Medium Comic als eine ihrer Ausdrucksformen zurückgriff, datieren indes auf einen Zeitpunkt zur Mitte der 1980er. Damals gründete Anja Rupel im Umfeld des ŠKUC – des Študentski Kulturni Center in Ljubljana – eine der ersten jugoslawischen Frauenpunkbands mit dem Namen Videosex. Im Gefolge der Yugoslaw New Wave entstanden wenig später neben einer mit der Neuen Deutschen Welle durchaus vergleichbaren Musik- und Videokassetten-Szene auch die ersten comicartigen Fanzines.

1975 fand eine Comic-Ausstellung im Belgrader Studentski Kulturni Centar (SKC) statt. Daraus ging das Studio ­za novi strip – das Studio für neue Comic-Strips – hervor, dessen Gründer_innen ihre Bilderzählungen mithilfe von Fotokopieren vervielfältigten und sie gratis an Interessierte verteilten. Eine Kultur der sequenziellen Bilder existierte jedoch schon länger, schon vor der Zäsur von 1968: Politische Karikaturen, die oftmals die koloniale Vorherrschaft Österreich-Ungarns zum Gegenstand des Gelächters machten, entstanden noch zu Zeiten der k. u. k. Monarchie. Im Jahr 1919 wurde erstmals ein 24-seitiger Band mit dem Titel Črnovojnik – ungefähre Übersetzung: Schwarzwasser – veröffentlicht, dessen Verfasser, der Karikaturist Hinko ­Smrekar, heute in vielerlei Hinsicht als Vorläufer der Zweiten Welle jugoslawischer Comics gesehen werden kann. Im sozialistisch regierten Jugoslawien galten diese – entgegen gängiger Vorurteile – nicht per se als krudes Machwerk des kapitalistischen Klassenfeindes. Als die Kommunistische Partei Jugoslawiens 1948 in Konflikt mit der sowjetischen Führung geriet, erfolgte eine erste Öffnung gegenüber dem vormals der bourgeoisen Dekadenz bezichtigen Medium. Amerikanische und europäische Comic-Strips wurden fortan nicht nur ins Serbische, Bosnische und Kroatische übersetzt, sondern erschienen ab 1952 auch in jugoslawischen Tages- und Wochenzeitschriften.

Independent Comics heute.

Von den frühen Zeitungscomics der 1950er unterscheiden sich die gegewärtigen Independent Comics der exjugoslawischen Länder vor allem durch ihre Vertriebs- und Distributionsstruktur. Im Gegensatz zu den durch Hippie-Kultur und amerikanische Underground-Comics beeinflussten früheren Magazinen Prolet, Studenski list und ­Pitanja aus Zagreb, Vidici aus Belgrad und ­Tribuna aus Ljubljana können die Produzent_innen nicht auf staatliche Förderungen zurückgreifen.

Gegenwärtige Comic-Editionen wie etwa der slowenische Stripburger entstanden noch während des Jugoslawien-Kriegs als unabhängige Underground-Magazine, die einen von ethnischen Nationalismen freien Blick auf ein zerfallendes Land präsentierten. Bis heute greifen die Autor_innen darin marginalisierte Themen – so etwa das Problem der hohen Selbstmordrate unter slowenischen Jugendlichen, das Žiga Valetič in Gugalnica eigens verhandelt – auf. International bekannt geworden sind von den im ehemaligen Jugoslawien geborenen Zeichner_innen bislang vor allem Tomaž Lavrić, dessen Anti-Kriegs-Comic Bosanske basni (Bosnische Fabeln) ins Französische, Spanische, Italienische und Kroatische übersetzt wurde, und die in Kanada aufgewachsene Nina Bunjevac, die in Fatherland und Heartless die Flucht aus dem Herkunftsland ihrer Eltern thematisiert. Andreja Kocjan, die ebenfalls in Stripburger debütierte, präsentierte mit Mikser 2008 als eine der ersten Zeichnerinnen in einem männlich dominierten Milieu ein eigenständiges Comic-Album.

Saša Rakezićs Comic-Tagebuch Regards from Serbia. A Cartoonist’s Diary of a Crisis in Serbia von 2007 zählt bis heute zu den persönlichsten Veröffentlichungen mit internationaler Reichweite. Unter dem Pseudonym Aleksandar Zograf zeichnete dieser die Zeit in Jugoslawien während der Herrschaft Slobodan Miloševićs in Form von alptraumhaften Sequenzen aus dem Alltagsleben auf. Für Zograf, den ewigen Punk, gibt es nichts Sinnloseres als eine Uniform und nichts Dümmeres als die Mobilisierung für einen vaterländischen Krieg. Die experimentell-spielerischen Kunstformen der Fanzine-Kultur der 1980er-Jahre hat der Zeichner sich in Regards from Serbia zu eigen gemacht. So etwa zeigt Zograf sich in einem hochgradig ironischen Selbstporträt zwischen den kriegsführenden Parteien (siehe Bild S. 30). In zerknittertem Anzug und mit dunklen Augenringen steht sein Comic-Alter-Ego an der Stelle des bevorstehenden Zusammenpralls von serbischen und kosovarischen Kräften. Währenddessen fallen die durch eine Sprechblase als nur vermeintlich «intelligent» ausgewiesenen NATO-Bomben vom Himmel. Stilistisch nimmt Zograf ebenso Anleihen beim Novi Primitivizam (Neuer Primitivismus) der jugoslawischen Avantgarde wie bei der Bildsprache der Surrealist_innen. Traum und Rausch wurden von diesen seit jeher als Bewusstseinsphänomene an der Schwelle zum Unbewussten verstanden. Zografs Tagebuch, das mit dem Erwachen des Kollektivs aus dem nationalistischen Alptraum endet, zehrt von den eigentümlichen Bildern, die im Zustand zwischen Wachen und Schlafen entstehen. In einem Interview sagte der Zeichner, dass die Wirklichkeit sich im Moment des hypnagogischen Schlafes von selbst wie in Form von Comic-Panels anordne. Der Moment des Erwachens hat in Regards from Serbia eine doppelte Bedeutung – er macht auch mit dem medialen Verblendungszusammenhang von Propaganda und Kriegshetze ein jähes Ende.

Autonome Gegenpositionen.

Was die Comicszene im heutigen Bosnien, Serbien, Slowenien und Kroatien auszeichnet, spiegelt sich nicht nur in Zografs Comic-Alben wider. Das Selbstverständnis ihrer Akteur_innen ist das von radikalen Amateur_innen geblieben, die in und mit ihrer Kunst eine autonome Gegenposition zu sämtlichen etablierten Kunstformen einnehmen wollen. Kusturicas Bild vom ewig andauernden Partisan_innenkampf wurde in einer Ausgabe des Alternativ-Comic-Magazins Strip Bumerang von 2008 zum Gegenstand einer ganz anderen Parodie. Mit dem antifaschistischen Geschichtsbewusstsein meint es diese durchaus ernst. Auf dem dazugehörigen Cover (siehe Bild oben) ist ein in die Gegenwart transferierter Partisan mit Malerwerkzeug zu sehen, der Gefahr läuft, mit dem Weißeln der Wand auch die letzten Spuren seiner Existenz auszulöschen.

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