Koloniale Vergangenheit, deren Erbe, und die Selbstermächtigung Schwarzer Menschen – Themen, die die österreichische Künstlerin und Autorin Belinda Kazeem-Kamiński in poetisch-politischen Fotos, Videos, Installationen und Büchern behandelt. 2021 bekam sie den Camera-Austria-Preis für zeitgenössische Fotografie der Stadt Graz, und in der Kunsthalle Wien hat sie derzeit eine Einzelausstellung. Über Radikalität, Zeitensprünge und Farbkonzepte spricht sie im Interview.
Interview: Ruth Weismann
In ihrer Begründung schreibt die Jury des Camera-Austria-Preises über deine Arbeiten: «Es sind Werke, die kritische Einsichten in das Fortleben kolonialer Perspektiven und Machtgefüge ermöglichen und zugleich neue, in der Black Radical Tradition begründete Imaginationen eröffnen.» Kannst du kurz erzählen, was Black Radical Tradition für deine Arbeit bedeutet?
Belinda Kazeem-Kamiński: Was Schwarze Radikalität angeht, ist ganz grundsätzlich das Bestehen auf den eigenen Erfahrungen für mich wichtig, so einfach das vielleicht klingen mag. Das Bestehen auf den eigenen Gefühlen, der Wissensproduktion, den eigenen Praktiken, das ist für mich Radikalität. Das Festhalten daran, dass Schwarze Menschen nach wie vor nach Freiheit streben und sich einer sie zu Objekten machenden Struktur widersetzen.
In deinen Werken geht es viel um die Auswirkungen der Vergangenheit auf die Gegenwart, etwa im Video The Letter (2019), in dem drei Protagonist_innen den Spuren von Yaarborley Domeï folgen, einer Frau aus Westafrika, die 1896 als Darstellerin für eine sogenannte Völkerschau nach Wien gebracht worden war und in einem offenen Brief den weißen Menschen mitteilte, was sie über sie denkt. Wie gestaltet sich dieses Verhältnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in deinen Arbeiten?
Ich glaube, es wird sichtbar, dass ich zwischen diesen Zeiten hin und her springe, verschiedene Bezüge aufmache. Unter anderem, weil ich darauf verweisen möchte, dass die Einteilung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die Linearität impliziert, von Menschen gemacht und nicht natürlich gegeben ist. Gerade in der westlichen Welt hat sich das etabliert, aber es gibt viele Gesellschaften, die Zeit nicht anhand dieses Modells messen. Ich beziehe mich auch auf die Black Studies, auf viele Autor_innen, etwa Grada Kilomba, die beschreiben, dass die gewaltvolle Vergangenheit nicht vorüber ist. In ihrem Buch Plantation Memories spricht Kilomba von Reartikulationen. Manche der als Alltagsrassismus gelabelten Übergriffe sind für sie Reartikulationen einer Vergangenheit, in der Schwarze Menschen versklavt wurden. In meinen Arbeiten sieht man, wie ich die Vergangenheit heranziehe, um die Gegenwart zu verstehen.
Starke Farben und Kontraste ziehen sich durch deine Foto- und Videoarbeiten. Welche Rolle spielen die Farben?
Es gibt wohl eine Vorliebe für gewisse Ästhetiken, aber vieles ergibt sich aus der Recherche. Zum Beispiel im Film Unearthing. In Conversation (2017), wo ich mit Blau, Gelb und Rot arbeite, was auf die Fahne der Demokratischen Republik Kongo hinweist. Das kommt daher, dass ein Antrieb meiner Arbeit ist, über Befreiung nachzudenken. Befreiung von kolonialer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, aber immer in Erwähnung jener Kämpfe und Personen, die dazu schon beigetragen haben, zu diesem sehr langen Projekt von Schwarzer Freiheit.
Für Videos arbeitest du oft mit einer Vielzahl an Darsteller_innen, auch in anderen Projekten kooperierst du mit Kolleg_innen.
Das ist Teil einer Schwarzen feministischen Theorie und Praxis. Bezug nehmen aufeinander, miteinander Räume schaffen, das war bei mir schon da, bevor die künstlerische Produktion da war. Gleichzeitig hat mir die künstlerische Arbeit ermöglicht, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, mit denen ich sonst vermutlich nicht in Kontakt gekommen wäre. Ich sehe mittlerweile auch die Kunstproduktion als eine Art, wie Community erschaffen und gepflegt wird, zum Beispiel bei Filmdrehs, wo ich mit einem Kernteam an Leuten arbeite. Es ist eine praktische Umsetzung von Theorieansätzen, die uns inspirieren: Wie wollen wir miteinander tun? Auf was arbeiten wir zu? Was ist das Gemeinsame? Was sind Differenzen? Community zu bauen ist auch eine Möglichkeit, Vereinzelung und Tokenizing entgegenzuwirken. Denn was ich nicht möchte, ist, ein Aushängeschild zu werden, im Sinne von: Das ist die eine, die macht das jetzt in Österreich.
Was war vor deiner künstlerischen Produktion da?
Ich komme aus der Theoriearbeit und aus dem politischen Aktivismus. Meine Politisierung hat mit der Arbeit bei der Schwarze-Frauen-Community begonnen, parallel zum Studium der Internationalen Entwicklung, und meinem Engagement in der Recherchegruppe zu Schwarzer österreichischer Geschichte und Gegenwart. Mein erster Ausdruck war das Schreiben. Ich habe früh die Gelegenheit gehabt zu publizieren, aber es gab bei mir immer auch das Interesse am Visuellen. Schreiben ist aber meine Basis. Es ist die Grundlage, die Art, wie ich meine Gedanken, meine Ideen mit mir selbst teile. Und dann entscheidet es sich je nach Projekt, wie das seinen Ausdruck findet.
Belinda Kazeem-Kamiński
Bis 6. März 2022
Kunsthalle Wien im MQ, 7., Museumsplatz 1
www.kunsthallewien.at