Räumung im ZweivierteltaktArtistin

Konzertsaalmusiker_innen, solidarisiert euch mit der Steyrer Straßenmusik!

Im oberösterreichischen Steyr wird die Straßenmusik quasi aus dem öffentlichen Raum verbannt. Musikerinnen und Musiker müssen nun eine passende Antwort finden. Ein Aufruf.

Foto: Peter A. Krobath

Der Neoliberalismus verachtet den öffentlichen Raum, ist dieser doch der letzte Rückzugsort, wo sich Menschen ohne Konsumzwang aufhalten, das heißt: ihre Zeit vergeuden können. Weil der öffentliche Raum aber nicht abgeschafft werden kann, da er schon abgeschafft wurde, ist die letzte Lösung die öffentliche Räumung: Der Mensch hat hier nichts mehr zu suchen, also schon viel verloren. Die Kunst, Arbeitsplatzbeschafferin für viele prekär Beschäftigte, wird als Erstes aus dem Weg geräumt. Straßenmusiker_innen sind wie erwünscht kreativ, flexibel, mit großem Hang zur Selbstausbeutung – doch selbst die kreativste, flexibelste Selbstausbeutung ist im Neoliberalismus zu wenig, wenn nicht nach den offiziellen Spielregeln gespielt wird.

Straßenmusik – ein überholtes Konzept?

Ginge es nach den Verantwortlichen in der oberösterreichischen Kleinstadt Steyr, würde auf dem dortigen Stadtplatz überhaupt nicht mehr gespielt werden. Anders ist die neue «Straßenmusikverordnung», die vorsieht, dass Straßenmusiker_innen ihrer Arbeit nur mehr an wenigen Stunden an zwei Wochentagen und samstags nachgehen dürfen, nicht zu verstehen. Einige (uns wird verschwiegen: wenige) Anrainer und Unternehmerinnen hätten sich schon oft über die Musik beschwert, heißt es seitens der Stadtpolitik. Eine gefinkelte Strategie: Die Politik weiß, dass sich eine Gesellschaft, die die öffentliche Straßenkunst nicht mehr schätzt, nicht einmal die eigene Hochkultur, das tiefste, das die heimische Kulturproduktion je hervorgebracht hat, verdient hat. Ein weiteres Einsparungspotenzial!

Die Gewerbetreibenden, die das Argument, wonach die Straßenmusiker_innen die Kundschaft vertreiben, vor sich hertreiben, können schnell überführt werden: Die Straßenmusik an sich stört sie gar nicht; sie haben eine einfachere Lösung gefunden, ihre Kund_innen zu vergraulen. Diese Lösung klingt nach singenden ehemaligen Teeniestars, reichen Rappern und rechtem Volx-Rock ’n‘ Roll und ist mittlerweile als gratis Dauerbeschallung in jeder schlechteren Gewand-, Lebensmittel-, Schuh- oder Musikhandlung erhältlich.

Der Nebeneffekt dieses Beschlusses ist auch für die Steyrer Politik ein unangenehmer: Real existierende Personen haben darunter zu leiden, wie etwa der bulgarische Profi-Akkordeonist Valentin Konecovsky, der seit Jahren in der Steyrer Innenstadt spielt und damit nicht nur seinen Lebensunterhalt, sondern auch den seiner zwei Kinder und seiner Frau, die im bulgarischen Vratsa wohnen, verdient. Jetzt verdient er nur mehr die Hälfte. Blöd nur, dass Herr Konecovsky von den meisten Steyrer_innen hoch geschätzt wird und 600 Unterschriften, teils von Anrainerinnen und benachbarten Unternehmern, für eine Ausnahmeregelung für den bulgarischen Akkordeonspieler gesammelt werden konnten, wie die «Oberösterreichischen Nachrichten» berichten.

Die Partei der Einzelfälle, wenn es um das «Liebäugeln» mit dem Nationalsozialismus geht, die FPÖ, hat für diesen Einzelfall nichts übrig: «Einzelschicksale sind natürlich bedauerlich, aber die Verordnung ist im Gemeinderat klar entschieden worden.» Übrigens jene FPÖ, die diese Verordnung hart bekämpft, weil sie durch das Verteilen von Platzkarten an Straßenmusiker_innen nun die Bettelei als staatlich legitimiert wähnt. Dass ein Straßenmusikverbot also mit den immer beliebter werdenden Bettelverboten einhergeht, bedarf keiner scharfen Analyse, ist es doch die FPÖ selbst, die diese Zusammenhänge immer wieder beweist.

Kunst – kein öffentliches Gut mehr?

Nun sind alle Profi-Musikschaffenden gefordert. Es gilt, als (angehende) Berufsmusiker_innen solidarisch zu sein mit den Kolleg_innen, deren Existenzen durch die Würgegriffe der öffentlichen Hand (von der auch wir teilweise leben) bedroht sind. Eine Ausnahmeregelung für Herrn Konecovsky zu fordern, ist angebracht. Was aber darüber hinaus gelingen muss, ist ein öffentliches Infragestellen der gesamten Regelung.

Ich darf vor Augen führen: Kunst als öffentliches Gut ist stark bedroht, ist doch offenbar nicht einmal der öffentliche Raum mehr von öffentlichem Interesse. Das Beispiel in Steyr ist nur eines von vielen; in seiner extremen Form der Reglementierung aber wahrscheinlich zukunftsweisend. Vorschläge sind willkommen.

Paul Schuberth (selbst Musiker)