Raiffeisen in Ungarn – Brückenbauer, Marktführer und Möchtegern-Kolonialherrtun & lassen

«25 Jahre Fall des eisernen Vorhangs – Brücken bauen zwischen Ost und West» prangt in Riesenlettern auf den Übergängen zwischen neuem und altem Raiffeisen-Gebäude in Wien. Doch nicht nur der Parlamentarismus, sondern auch viel Geld floss über diese Brücken – zumindest vor der Krise.

2007, also ganz kurz vor Beginn der US-amerikanischen Sub-Prime-Krise schaltete Raiffeisen in Ungarn einen Werbespot, der rückblickend besehen, besonders pikant erscheint: Ein Paar versucht einen Kredit zu bekommen und die Beraterin schlägt sich immer dann auf die Ohren, wenn der Ernährer (wer sonst?) versucht, seine Einkommenssituation darzulegen. Die Stimme aus dem Off erklärt dazu: «Ihr monatliches Einkommen interessiert uns nicht, das einzig Wichtige ist der Wert ihres Eigentums. Wir finanzieren ihre Wohnung binnen 10 Tagen.» Genau jenes Vorgehen war einer der wesentlichen Gründe für die oben genannte tiefe (Finanz-)Krise in den USA …

Raiffeisen war bereits vor dem Ende der staatskapitalistischen Regimes in Osteuropa aktiv. Nach 1989 wurde der Konzern zu einem der wichtigsten Investoren in der Region. In den 1990ern und vor allem in den Nullerjahren konnte Raiffeisen International seine Position durch eigene Expansion und massive Aufkäufe enorm verbessern. Der ehemalige «Mr. Osteuropa»,Herbert Stepic, Ex-Generaldirektor der Raiffeisenbank International, auch er stolperte später in bzw. über eine «Immobilienkrise» – verkündete im «Raiffeisenblatt» noch im April /2005 stolz: «In Südosteuropa sind wir klarer Marktführer.» Doch die mit der Zerschlagung der verstaatlichen Betriebe und dem damit verbundenen sprunghaften Anstieg von Arbeitslosigkeit und Verarmung einhergehende «Liberalisierung» der osteuropäischen Ländern konnte nicht beliebig fortgesetzt werden. Auf die Frage nach einer Krisenanfälligkeit der ehemals «realsozialistischen» Staaten antwortete Ex-Oberhäuptling Konrad noch 2008 salopp im «Raiffeisenblatt»: «Das ist nicht der Fall.»

Keine drei Jahre später titelt «Die Presse» bereits: «Raiffeisen Bank International: Probleme im Osten». Alleine in Ungarn musste die Bank in den ersten drei Quartalen von 2011 einen Verlust von 286 Millionen Euro hinnehmen und plante den Rückzug aus einigen osteuropäischen Ländern. Mit der uneigennützigen Stabilisierung dieser Volkswirtschaften durch Raiffeisen war’s offenbar doch nicht so weit her. Ging und geht es am Ende Raiffeisen doch nur um simples Profitmachen in Osteuropa, so wie in unserer Wirtschaftsordnung vorgesehen? Wurde am Ende das hart ersparte Geld der mehr oder weniger kleinen österreichischen Raiffeisenkund_innen dazu genützt, um neoimperialistische Raubzüge im Osten zu finanzieren? Als Glück im Unglück stellte sich dabei für das Konglomerat Raiffeisen die sogenannte «Gruppenbesteuerung» auf EU-Ebene – und somit in Österreich gültig – heraus. Dadurch konnten die Verluste im Osten als gewinnschmälernd auf die Profite im Westen gegengerechnet werden und verringerten dementsprechend die Steuerlast Raiffeisens in Österreich ganz enorm.

Ein in dieser Serie oft analysiertes Problem zeigt sich hier erneut: Raiffeisen tritt hierzulande als basisnahe, genossenschaftliche Organisation auf und hält so Genossenschafter_innen und Kund_innen bei der Stange. Auf der gesamtösterreichischen und erst recht auf der internationalen Ebene ändert sich jedoch nicht nur die Rechtsform von der Genossenschaft zur Aktiengesellschaft, sondern auch die Darstellung der Firma: Aus der beinahe antikapitalistischen demokratischen Genossenschaft wird: «Ein Blick auf das Geschäftsjahr und die vorläufigen Zahlen 2004 zeigt, dass das Wachstum der Raiffeisen International trotz des hohen Tempos weiterhin sehr dynamisch ist und hohe Erträge generiert. … Neben der Zielsetzung, deutlich stärker als der Markt zu wachsen, schaffen wir es kontinuierlich, unsere Profitabilität und Effizienz zu steigern», so Stepic im bereits zitierten «Raiffeisenblatt».

Unangenehm wurde es für Raiffeisen, als der rechte ungarische Premier Orbán dann nicht nur Arbeitslose, Jüd_innen, Linke sowie Roma und Sinti zu seinen Feinden erklärte, sondern auch die ausländischen Banken: Erst da stießen sich europäische Geschäftspartner_innen plötzlich an der autoritären Politik Orbáns – dessen Partei «Fidez» übrigens der Europäischen Volkspartei angehört. Wie hingegen es den Kund_innen geht, die aufgrund der globalen Krise die an sie mit brutelen Methoden verschleuderten Kredite nicht mehr zurückzahlen können, darüber ist in der bürgerlichen Presse wenig zu lesen.

Die Drohung der ungarischen Regierung, ausländische Banken zu verstaatlichen, war den Freunden der angeblich freien Marktwirtschaft dann doch zu viel. Sie echauffierten sich über den Orbán-Sager vom «Ende der Kolonialisierung», obwohl dieser – ausnahmsweise – doch gar nicht so weit von der Realität entfernt ist. Zumindest wenn wir einem Raiffeisen-Experten Glauben schenken, der kürzlich im «ORF-Mittagsjournal» von einem eklatanten Wettbewerbsnachteil Österreichs in Osteuropa sprach, da das Land leider keine koloniale Vergangenheit habe.

Wie heißt’s so schön bei Bob Marley: «Slave driver, your days are numbered.»

Martin Birkner