Der lange Arm des Giebelkreuzes Aspekte der Raiffeisendominanz (Folge 10)
Der Raiffeisenkonzern stützt seine ökonomische Macht nicht nur auf eigene Aktivitäten in den Bereichen Finanzwirtschaft, Verarbeitung und Vermarktung von Agrarprodukten, umfassende Belieferung der Bauern mit Produktionsmitteln und der Landbevölkerung mit Bedarfsgütern aller Art. Er verfügt ferner direkt oder über seine Teilorganisationen über mehr als 1000 Beteiligungen, mit deren Hilfe das Giebelkreuz in allen wesentlichen Sektoren präsent ist und/oder am Profit partizipiert.Das umfassende Beteiligungssystem von Raiffeisen eignet sich vorzüglich zur Intensivierung der eigenen Geschäfte. Denn die jeweiligen Partner benötigen Kredite, Versicherungen, Gebäude, Fahrzeuge usw. durchwegs Güter und Dienstleistungen, die Raiffeisentöchter im Sortiment haben. Zusätzlich zählt der Konzern zu den heimischen Oligarchen, wenn man darunter diejenigen Unternehmer bzw. Unternehmen versteht, die von der Privatisierung der Verstaatlichten und anderer staatlicher Betriebe am meisten profitiert haben. Beispielsweise ist es der Raiffeisen-Landesbank Oberösterreich gelungen, eine Sperrminorität an der VÖEST und zusammen mit Hannes Androsch die totale Herrschaft über die Salinen zu ergattern.
Nach der weitgehenden Entstaatlichung der Schwer- und Elektroindustrie, die für private Großanleger ein gefundenes Fressen war, der Teilprivatisierung von Post und Telekom sowie der Versenkung der AUA sind die Bundesbahnen der letzte große Brocken, der vom Bund mehr oder weniger direkt gelenkt wird. Da die ÖBB viel zu groß sind, um von Privatunternehmen gestemmt zu werden, reizt es Anleger, einzelne Gustostücke herauszulösen.
In dieser Richtung setzt Raiffeisen nun den ersten Schritt zwar nicht direkt, aber über den Umweg von Hans Peter Haselsteiner, dem Chef des Baukonzerns Strabag, an dem die Giebelkreuzler zu 50 Prozent beteiligt sind. Zusammen mit dem ehemaligen ÖBB-Vorstand Stefan Wehinger plant der Bau-Tycoon Ende des Jahres, eigene Zugsgarnituren auf der Stammstrecke der Westbahn zwischen Wien und Salzburg verkehren zu lassen. Ein Lokalaugenschein an einem späten Freitagnachmittag zwischen Salzburg und Wien ließ erkennen, dass die Private Westbahn keine schlechte Idee ist. Die ÖBB sorgten an dem Tag bei starker Verspätung eines Fernzugs von Basel nach Wien für eine Überfüllung der restlichen Züge. Das Gros der Tages- und Wochenpendler unter den Passagieren schien diese Verhältnisse gewohnt zu sein. Jedenfalls wurde ohne großes Murren allerdings untermalt mit zynischen Kommentaren hingenommen, dass Reisende gänzlich abgewiesen oder aufgefordert wurden, von Schnell- auf Eil- und von Eil- auf Lokalzüge umzusteigen, weil anders nicht weiterzukommen sei. (Wann kommen hierzulande «Tage des Zorns»?!)
Ab 11. Dezember will Haselsteiner mit sieben privaten Zugsgarnituren fahren; die Fahrzeit beträgt bei insgesamt sieben Stationen 2 Stunden und 50 Minuten; der Fahrpreis entspricht dem ÖBB-Tarif mit Vorteilscard. Geboten werden ein Bistro und nach Geschlechtern getrennte Toiletten. Bereits im ersten Betriebsjahr rechnen die Neoeisenbahner mit 5 Millionen Passagieren. Bei Gesamtinvestitionen von 120 Millionen Euro wird die Gewinnzone bereits 2014/15 angepeilt. Alles zusammen ein Musterbeispiel für ein konkurrenzfähiges Angebot, mit dem die ÖBB nicht mithalten können.
Man kann davon ausgehen, dass Wehinger keine 60 Millionen Euro in der Portokasse hat. Und Haselsteiner dürfte überhaupt gewohnt sein, kein eigenes Geld aufs Spiel zu setzen. So gesehen, würde es nicht wundern, wenn die Raiffeisen-Spitze dieses Politprojekt für neue Wege zur Privatisierung nicht bloß aus der Ferne beobachtet, sondern mit Krediten mit im Spiel ist.
Bures verzichtet auf Verkehrspolitik
Dass es sich dabei um eine aussichtsreiche Option für die Verwertung von überschüssigem Kapital handelt, liegt insofern auf der Hand, als die Bundesbahnen spätestens seit der Machtübernahme durch die schwarz-blaue Koalition ausgeschlachtet wird wie eine Gans, die goldene Eiern legt. Mit der Berufung von Mitgliedern der heimischen Bauwirtschaft an die Spitze von Vorstand und Aufsichtsrat der Bundesbahnen hat der Anfang vom Untergang begonnen, dem auch SPÖ-Ministerin Doris Bures nichts entgegenzusetzen hat.
Statt in die Optimierung des Schienenverkehrs (Strecke und rollendes Material) zu investieren, um dem Wunsch der Fahrgäste zu erfüllen, möglichst rasch von A nach B zu kommen, wurde ein Programm für den Neubau der Bahnhöfe gestartet. Es bringt nahezu allen Landeshauptstädten überschüssige Einkaufszentren und der Bundeshauptstadt gleich zwei Großbaustellen. Die enorme Kostenbelastung der ÖBB ist ein Fressen für Handelsketten aller Art und vor allem die Bauwirtschaft. Welche Firmen dabei zum Zug kommen? Die Strabag ist immer dabei!
Der Gulden, den die ÖBB Haselsteiner in den Rachen wirft, nützt er konsequent, um dem Auftraggeber mit der Privatbahn Konkurrenz zu machen. Seltsamer Weise scheint bisher niemandem aufgefallen zu sein, dass das ÖBB-Unglück zwar mit der Berufung von Bau- statt Bahnexperten Martin Huber an die Vorstandspitze begonnnen hat, aber mit der Ernennung von Horst Pöchhacker als Vorsitzenden des Aufsichtsrats und Nachfolger von Eduard Saxinger keineswegs beendet wurde.
Bleibt es beim neoliberalen Kurs in der heimischen Wirtschafts- und Budgetpolitik, ist abzusehen, dass die ÖBB früher oder später verpflichtet werden, ihren Schuldenberg durch die Einsparung von Transportleistungen und die Privatisierung profitabler Geschäftsfelder abzubauen. Für diesen Fall einer Strategie der ÖBB-Sanierung durch Zusperren scheinen Haselsteiner und Raiffeisen quasi als schreckliche Zwei gut gerüstet.