Ralf Leonhards zentralamerikanische LektionenArtistin

Die Wahrheit, eine Tochter der Zeit

Die so genannte Dritte Welt hat ihn schon sehr früh interessiert. Doch Journalist werden wollte er ursprünglich nicht. Ausschlaggebend für die Hinwendung zur Schreibmaschine war eine Reise nach Nicaragua, wo er schließlich 14 Jahre lebte. Warum ein Querschreiber wie Ralf Leonhard durchaus auch mit einer Weltbank-Zielsetzung konform gehen kann? Siehe unten.

Der 51-Jährige wirkt ruhig, vernünftig, höflich, ein bisserl ironisch und äußert seine vom Mainstream abweichenden Ansichten so, als wäre das alles ganz selbstverständlich. Große Gesten sind ihm fremd. Schließlich weiß er, wovon er spricht. Er hat eine gediegene Ausbildung, viel Erfahrung und war gleichzeitig immer schon ein Querdenker und konsequenterweise ein Querhandler bzw. Querschreiber.

Im Gymnasium will er partout eine Sprache lernen, die nicht im Lehrplan steht, nämlich Spanisch. Also besucht er zusätzlich Kurse im Lateinamerika-Institut.

Warum gerade Spanisch? Weil ihm diese Sprache gefällt. Dass sie eine veritable Weltsprache ist, war ihm damals nicht wichtig. Nach der Matura Bundesheer (Zivildienst gab es noch nicht), dann Jusstudium, um festzustellen, dass er eigentlich nicht als Jurist arbeiten will. Das heißt, er studiert weiter. An der Diplomatischen Akademie mit dem Ziel, im UN-Development Program unterzukommen. Doch er wird trotz sehr guter Zeugnisse abgelehnt. Die diplomatische Laufbahn wiederum mag er nicht einschlagen. Warum? Ich wollte kein Beamter im Ausland sein. Aber was dann?

Im Lesesaal der Diplomatischen Akademie gab es ein großes Angebot an internationalen Zeitungen. Mir ist klar geworden, dass es noch was gibt neben Krone und Kurier. Besonders gefallen ihm die Artikel eines Schweizer Journalisten, der in der Neuen Zürcher schreibt: Oswald Iten. Weltoffener und kritischer Journalismus, das wär doch was. Aber er hat keine Ahnung, wie das gehen könnte. Zunächst braucht er Geld und jobbt in einer Import-Export-Firma, die chilenisches Holz in den arabischen Raum liefert. Damit finanziert er sich einen langjährigen Wunsch: eine Reise nach Lateinamerika. Und er sieht mit eigenen Augen in der Theorie weiß er es ja schon längst , was Dritte Welt bedeutet.

Doch es gibt auch Hoffnung. Im Juli 1980 kommt er in Nicaragua gerade zu einer Jubiläumsfeier zurecht: Vor einem Jahr war das Somoza-Regime von den Sandinisten gestürzt worden. Über Kontakte lernt er den österreichischen Journalisten Leo Gabriel kennen, der ihm erzählt, dass er ein Pressebüro gründen will. Da könnte er noch einen Übersetzer brauchen.

Doch dann bricht der Kontakt ab. Daheim sucht sich Ralf Leonhard wieder irgendwelche Jobs: etwa Marktforschung in England oder Buchhalterhilfsdienste bei einer US-amerikanischen Rückversicherungsgesellschaft.

Von der Pike auf als Hochwasserreporter

Eines Tages ruft ihn ein Freund an: Leo Gabriel lasse ihn grüßen und erwarte ihn in Managua. Ralf kündigt und trifft im April 1982 in Nicaragua ein. Das Pressebüro heißt ein wenig pompös APIA (Agencia Períodística de Información Alternativa). Es tagt in einem Schuppen, in dem sich ein Telex (auch Fernschreiber genannt: die Dinger mit den Lochstreifen) und zwei Schreibmaschinen befinden. Das Kollektiv besteht aus sechs Personen: zwei kommen aus El Salvador, eine aus Nicaragua, ein US-Gringo ist auch dabei. Der Enthusiasmus ist groß, der Verdienst minimal, denn mit 100 Dollar im Monat konnte man auch in Nicaragua nicht wirklich auskommen.

Obwohl es damals in Europa viele Nicaragua-Sympathisanten gibt, ist unklar, wen die alternativen Nachrichten wirklich erreichen. Jedenfalls melden sich immer wieder Zeitungen und Radiostationen mit Anfragen.

Nach ein paar Wochen Übersetzungstätigkeit beginnt Ralf selbst zu recherchieren und lernt so den Journalismus von der Pike auf mit den üblichen Katastrophen. Er erinnert sich mit Schrecken an einen Radiobeitrag anlässlich eines Hochwassers, der wegen einer miserablen Leitung praktisch unverständlich war, an Artikel, die mehr oder weniger entstellt publiziert wurden auch in sandinistischen Zeitungen. Denn in Nicaragua gab es nur zwei Arten von Medien: pro- bzw. antisandinistische. Und in den prosandinistischen war Kritik nicht sehr erwünscht, man übte oft freiwillige Selbstzensur.

Welche Fehler haben die Sandinisten sonst noch gemacht? Das, was fast alle linken Regimes machen. Man will den ,neuen Menschen schaffen, tut aber so, als sei er schon da. Der erste große Fehler war, Minoritäten als Separatisten zu diffamieren. Aber die sandinistische Regierung habe diesen Fehler relativ bald eingesehen. Gescheitert sei sie letztendlich an den von den USA unterstützten bewaffneten Contras, die hauptsächlich von Honduras aus operierten. Der acht Jahre dauernde Krieg habe die Wirtschaft ruiniert und die Bevölkerung demoralisiert.

Allerdings seien diese Contras keine blutrünstigen Bestien gewesen, wie die sandinistische Propaganda behauptete, sondern zum Großteil verängstigte und ungebildete Campesinos. Denen hat man zum Beispiel erzählt, dass die Sandinisten ihnen den Kommunismus buchstäblich einimpfen würden. Viele haben es geglaubt und wollten daher ihre Kinder nicht impfen lassen. Er habe anlässlich einer Reportage in einem Contra-Lager in einer Hängematte übernachtet und keine Sekunde Angst gehabt. Wenn ich aber so etwas gesagt oder publiziert habe, konnte es schon passieren, dass mir manche nicht mehr die Hand gegeben haben. Mir war es aber immer wichtig, dass man meinen Berichten vertrauen kann. Und man vertraut ihm. So ist er etwa seit 1985 ständiger Mitarbeiter der TAZ.

1990 werden die Sandinisten abgewählt. Damit hatte fast niemand unter den Linken gerechnet, denn die Opposition war zerstritten und die Regierung anscheinend immer noch sehr beliebt. Der Grund war wohl, meint Ralf, dass die Menschen vom ständigen Bürgerkrieg genug hatten. Im Nachhinein weiß man immer alles besser. Die Wahrheit ist bekanntlich eine Tochter der Zeit.

Allmählich verlieren die internationalen Medien das Interesse an Nicaragua und Zentralamerika. Ralf, der inzwischen Familienvater geworden ist, weitet seine Tätigkeit auf die umliegenden Länder aus. Basis ist immer noch die APIA, in deren Rahmen 1991 eine Zeitschrift für Lateinamerika gegründet wird: Tierra Nuestra Unser Land. Gefördert wird das Projekt von Österreich aus Mitteln der EZA (Entwicklungszusammenarbeit). Zwischen 1993 und 1996 ist Ralf dort Chefredakteur. Ich will mich ja nicht berühmen, aber ich hab damals schon einiges vorausgesagt, was dann tatsächlich eingetroffen ist. Zum Beispiel den Aufstieg von Hugo Chávez.

Das mysteriöse Flugzeug

Aber dann beschließt er, nach Österreich zurückzukehren. Mit zwei relativ kleinen Kindern, seine Ehe war gescheitert. Das war hart. Überall wurden Jobs abgebaut. Es war die Zeit des ersten Sparpakets. Doch er schafft es als freier Journalist, denn eine fixe Anstellung war nicht drinnen. Da nützte ihm auch sein guter Ruf nichts oder der Journalistenpreis des Landes Steiermark (2002). Und er findet auch noch Zeit für ehrenamtliche Tätigkeiten. So ist er zurzeit Obmann der österreichischen Sektion von FIAN, einer Organisation, die versucht, das Menschenrecht auf Nahrung durchzusetzen.

Inzwischen gilt er auch als Spezialist für Sri Lanka. Denn er war zufällig kurz nach dem Tsunami dort eingetroffen. Eigentlich war er zu einer Konferenz eingeladen, die dann allerdings abgesagt wurde.

Und wie wird es weiter gehen in der Welt? Ralf glaubt nicht an Wunder. Andrerseits stehe im Jahresbericht 2005 der Weltbank, das wichtigste Ziel müsse sein, die ökonomische Ungleichheit zu beseitigen. Den habe zwar anscheinend bis jetzt noch kein Verantwortlicher gelesen. Ein Insider habe gemeint, das könne noch Jahre dauern. Aber dann …

Und was wünscht er sich für sich selbst? Seit langem möchte ich einen Krimi schreiben. Da habe ich vor Jahren über das mysteriöse Verschwinden eines Flugzeugs in Nicaragua recherchiert, das dann in Kolumbien aufgetaucht ist. Das wär eine gute Story. Leider habe ich zu wenig Zeit.