Rassismusfreie Zone gesuchttun & lassen

Wie die ÖBB einen Zugführer und seine Kritik loswerden wollen

Die Geschichte des ehemaligen ÖBB-Zugführers Yüksel Yilmaz machte in allen Medien die Runde:  Weil er gegen rassistische Beschimpfungen und sexistisches Verhalten mobilmachte, wurde er entlassen. Dagegen kämpft er vor Gericht. Sonja Henisch ließ sich erzählen, wie der Arbeitsplatz ÖBB sich für Yüksel Yılmaz darstellte – und warum es existenzbedrohend sein kann, sich zur Wehr zu setzen.Yüksel Yılmaz ist in Mödling aufgewachsen. Würde sein Namen nicht seine türkische Geschichte verraten, käme niemand auf den Gedanken, zu sagen, er wäre nicht von hier. Er ging hier zur Schule, machte hier seine Ausbildung und hatte Freude und Interesse an seinem Beruf. Interessant ist aber, dass er in der rassismusfreien Zone der ÖBB, ebenso in diversen Berichten, als «türkischstämmig» bezeichnet wird.

Zur Causa: Yılmaz hat seit 2007 bei der ÖBB zufriedenstellend als Zugführer gearbeitet. Allerdings war es scheinbar schon in dieser Zeit bei der ÖBB üblich, rassistische Rede zu führen. Es gab Kollegen, die ihn allein aus dem Grund, dass er einen türkischen Namen hatte, nicht grüßten. Er ignorierte es lange. Manche grüßten mit «Servus, Tschusch!» und fanden das originell. Als aber an den Wänden der Diensträume rassistische und faschistische Schmierereien auftauchten, wollte er das nicht ignorieren. Es hätten auch «Österreichstämmige» nicht ignorieren dürfen, aber das ist eine andere Sache.

Sieg heil! S-O Bhf.31.08.2012 / Stoppt Tierversuche, nehmt Ausländer! S-O Bhf. Zugsbegleiter WC, 26.11.2012 / Du Scheiß Missgeburt, schleich die zruck! S-O Bhf. Zugbegleiter WC, 21.08.2012 / Hakenkreuz und besser Nazi als Tschusch! Wien Süd 31.08.2012. Das ist nur einiges davon, was an den Wänden der Aufenthaltsräume und Betriebs-WCs zu lesen war. In einer E-Lok stand am Führerstand «Arbeit macht frei und Koksen macht high». Zwar hat Yılmaz die Bilder mit Ort und Datum versehen, trotzdem zweifelt man später an; was nicht sein kann, oder besser, sein soll.

Aussagen mancher Kolleg_innen: Die Ausländer werden wir samt Wien in die Luft jagen / Scheiß Kanaken, Kopftuchträgerinnen / Der Zug von und nach Budapest und Rumänien wurde «Zigeunerzug» genannt / jener nach Bratislava war der «Hurenzug» / der nach Payerbach-Reichenau der «Asylzug» / und zuletzt der nach Wiener Neustadt «der Tschuschenzug». Yılmaz hat die Diskriminierungen wiederholt angekreidet und wurde in einen höheren Dienstplan versetzt. Ab Herbst 2012 wurden mehr und mehr diskriminierende Schmierereien gesehen.

 

Es gibt kein Problem

 

Jedenfalls hat Yilmaz zunächst am 18. 2. 2013 seine Vorgesetzten darauf aufmerksam gemacht. Der Teamleiter, Herr Siegfried B., warf Yüksel Yılmaz die vorgelegte Dokumentation mit zahlreichen Fotos zurück mit dem Kommentar: «Na und?» und gab laut dem Betroffenen den weiteren Auftrag, einfach wegzuschauen. Ebenso sollte er Aktfotos, die in Arbeitsräumen hingen, übersehen und auch den Alkoholkonsum seiner Kollegen während der Dienstzeit nicht beachten. Die Kühlschränke waren mit Bier gefüllt. Ein durch Trunkenheit verursachter Unfall würde wahrscheinlich bei dieser Denkweise niemals aufgedeckt werden. Es gebe keine mit Bier gefüllten Kühlschränke, das solle er sich merken!, wurde ihm erklärt. Und schließlich erklärte man ihm auch, dass es keine Schmierereien gebe. Falls er weiter damit belästige, würde er seinen Dienstposten verlieren, wurde gedroht. Yılmaz Yüksel verstand das als Weigerung des Vorgesetzten, die Sachlage zur Kenntnis zu nehmen.

Außerhalb des ÖBB-Bereichs wäre manches davon wohl unter Wiederbetätigung gefallen.

Yılmaz ist Idealist. Er versucht, menschlich mit Menschen umzugehen. Er empfindet Respektlosigkeit nicht als die richtige Art des zwischenmenschlichen Umgangs. Er meint, es gibt andere Kolleg_innen, die ebenfalls unter diesen Arbeitsverhältnissen litten und es nicht wagten, den Mund aufzumachen, sich zu beklagen, weil sie Familie haben. Es schmerzte ihn, wenn Reisende von Kolleg_innen aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert wurden, denn jene, die schimpften, behandelten auch die Reisenden ungleich. Er fühlte sich dazu verpflichtet, Dinge aufzuzeigen, die zu Schlimmerem führen könnten, um Menschen zu schützen.

Am 10. 4. 2013 erstattete Yüksel Yılmaz Mitteilung an die Vorgesetzten des Dienstsitzes. Die Folge war das weitere Zunehmen rassistischer und ausländerfeindlicher Äußerungen ihm gegenüber. Yılmaz Yüksel wurde durch die seelische Belastung krank, der Hausarzt erteilte ihm eine Arbeitspause. Im Juni erhielt er ein Kündigungsschreiben ohne Begründung. Der Betriebsrat hatte keine Stellungnahme zur beabsichtigten Kündigung abgegeben.

Und ab jetzt wird es erst richtig spannend: Auf Anfrage gab Herr Siegfried B. an, dass er den Grund nicht wisse. Die Kündigung gehe von der Zentrale aus. Der Zugbegleiter und Kollege Herr Gökhan A. wurde ebenfalls mittels eines Schreibens gekündigt. Später wurde ihm mitgeteilt, es habe sich um ein Versehen gehandelt.

Laut dem Urteil des Arbeitsgerichtes vom 14. 7. 2015 bestreitet die ÖBB jegliche Diskriminierung des Klägers, Yüksel Yılmaz, und bringt rückdatierend ein, es habe umgekehrt im Laufe seiner Beschäftigung diverses Fehlverhalten auf seiner Seite gegeben: Verstoß gegen Bestimmungen über Fahrkartenkontrollen und Kontrollgebühreneinhebung / mangelhafte Dienstleistung / im Dezember 2012 keinen einzigen Fahrausweis verkauft / Vorwürfe betreffend das MTF-Gerät, das nach Angabe vieler Zeugen in vielen Fällen nicht funktionierte. (Arbeitszeitkontrolle) / dass er schließlich drei Zugsbegleiterinnen geschlechtsbezogen diskriminiert habe / außerdem soll er bezüglich der gesagt haben: «Frauen sind zum Ficken, Kinder kriegen und zum Schlagen da!» Blöder geht es immer.

Nachträglich wurde behauptet, Yüksel Yılmaz hab diese Liste am 18. 2. von Siegfried B. und Christian K. vorgelegt bekommen mit der Frage, ob er dieses Verhalten begründen könne. Angeblich habe Yüksel geschwiegen. Laut seiner Aussage hat es eine solche Liste aber nie geben.

Im weiteren Verlauf wird Yüksel Yılmaz vorgeworfen, Aufzeichnungen und Unterschriften gesammelt zu haben, um gegen die ÖBB etwas in der Hand zu haben. Wer im beratenden Sozialbereich arbeitet, weiß, wie wichtig es im Fall von Mobbing ist, Aufzeichnungen zu machen. Dass Yüksel das machte, wird im Arbeitsprozess gegen ihn ausgelegt.

 

Wer wehrt den Anfängen?

 

Die rassistischen Schmierereien werden im Protokoll mehrmals mit «angeblich» attributiert, ihr Wahrheitsgehalt in Frage gestellt. Um sie geht es beim Arbeitsgericht auch gar nicht mehr. Yüksel wird zum Täter gemacht, der Frauen herabwürdigt, so wie man es von Muslimen erwartet. Deshalb sei er eine Gefahr für das gute Arbeitsklima.

Am 12. November letzten Jahres war ich um elf Uhr am Minoritenplatz, weil ich erfahren habe, dass an diesem Tag die Gleichstellungsbehörde im Fall von Yüksel Yılmaz tagte. Beim Portier erfuhr ich, dass diese Verhandlung abgesetzt wurde. Ich wollte den Grund wissen. Wenige Minuten später öffnete eine Angestellte das Gittertor, stellte sich selbst nicht vor, fragte aber, wer ich sei. Ich nannte meinen Namen. Abermals die Frage, wer ich sei. Und noch einmal. Und ob ich von einer Organisation komme, ob ich Journalistin sei. Ich verneinte. Sie fasste es nicht. Ich erklärte, dass es Menschen gebe, die Eigeninitiative besäßen. Ich zu sein, genügt offenbar nicht. Eine Antwort auf meine Frage erhielt ich nicht, obwohl die Sache seit rund zwei Jahren bearbeitet wird.

Zufällig kenne ich die Schwester eines noch in der ÖBB arbeitenden Kollegen sehr gut. Sie ist entsetzt, als sie das Urteil erfährt, nämlich, dass die Entlassung laut Gerichtsgutachten berechtigt war. Ihren Bruder belastet diese Sache, bei der er als Zeuge anwesend war, so sehr, dass er gar nichts davon hören wolle, aber entsetzlich finde er es. Und sie, selbst Bankangestellte, klagt mir über den Alltag, wie Leute der zweiten Generation die Ablehnung der Wiener_innen zu spüren bekämen.

Was hilft es, wenn Herr F., der Regionalmanager, in einem Schreiben anlässlich medialer Diskussionen festhält, dass es bei der ÖBB seit jeher Kolleg_innen aus unterschiedlichen Herkunftsländern gebe und es nichtsdestotrotz (wem zum Trotz?) geschafft wurde, dass Eisenbahnerinnen und Eisenbahner ein Gefühl der Zusammengehörigkeit entwickelt haben, das über den Beruf und nicht über Geburtsort oder Religion aufgebaut wurde. In seinem Schreiben betont er, Sexismus und Rassismus hätten bei den ÖBB weiterhin nichts verloren.

Ich frage mich, wieso also gegen Kolleg_innen, von denen diese Aussprüche und Schmierereien stammen, nichts unternommen wird. «Wehret den Anfängen», heißt es. Wehren wir uns? Wer wehrt sich? Ist es bereits gefährlich, sich zu wehren? Im Fall von Yüksel Yılmaz auf jeden Fall existenzbedrohlich.