Einkehren in Bratislava wie in früheren Zeiten
In Bratislava, hinter dem zentralen Obst- und Gemüsemarkt, da gibt es sie noch, die Lokale, in denen man herrlich essen und trinken kann, und dies zu gleichsam sozialistischen Preisen. Text & Fotos: Wenzel Müller
Eine Zigarette rauchen, und das nicht draußen, in der Kälte, sondern drinnen, im Sitzen, bei einem guten Glas Rotwein – wo geht das heute noch? Antwort: in Bratislava, in dem Lokal Viecha u Sv. Urbana. Genau genommen ist es ein Weinhaus, so lautet die Übersetzung für Viecha aus dem Slowakischen. Dieses Weinhaus steht in keinem Reiseführer, ist aber unter Einheimischen offensichtlich bestens bekannt, da immer gut besucht.
Das Viecha u Sv. Urbana liegt am Rande des zentralen Obst- und Gemüsemarkts von Bratislava, dort, wohin sich Ortsfremde üblicherweise nicht verlaufen. Ein Gast ist hier ganz in seine Zeitung vertieft, ein anderer sitzt allein am Tisch und genießt sein Bier (ja, in dem Weinhaus gibt es auch Bier, wie im Übrigen auch Kofola, einst so etwas wie die sozialistische Antwort auf Coca-Cola, dieses Getränk enthält vergleichsweise weniger Zucker und erlebt heute eine Renaissance). Und dort sitzt ein Paar, ganz eingehüllt in den Zigarettenrauch, den es selbst produziert.
Keiner beäugt den anderen. Jeder kann auf seine Weise sein kleines Glück finden. An der Wand hängen Geweihe. Ist der Besitzer vielleicht ein begeisterter Jäger? Oder sollen diese Trophäen so etwas wie Heimeligkeit evozieren? Die Absicht bleibt im Dunkeln.
Die Verkäuferin war Königin.
Service wird in diesem Lokal kleingeschrieben. Selbst ist der Mann (hier seltener die Frau). Der Lokalgast geht an den Tresen, sagt, was er wünscht, nimmt sein Getränk in Empfang und setzt sich damit an einen Tisch.
Den ganzen Laden schupft eine einzige Servierkraft. Sie legt jenen verhalten-mürrischen Gesichtsausdruck an den Tag, der einst typisch war für das Verkaufspersonal im Osten. Die Mangelversorgung brachte es nämlich mit sich, dass nicht der Kunde, die Kundin, sondern der Verkäufer, die Verkäuferin König war.
Heute ist dieser Gestus Ausdruck von Stolz. Die Servierkräfte sind nett, aber nie käme ihnen ein penetrant strahlendes Lächeln über die Lippen. Rau und herzlich, das muss kein Widerspruch sein.
Beim Gang über den Markt hatte ich mich eben wieder einmal gefragt: Wie machen die Slowak_innen das nur? Wie kommen sie mit ihrem Geld über die Runden? Eine Lehrerin beispielsweise verdient rund 600 Euro, und eine Mietwohnung in Bratislava ist auch nicht günstiger als in Wien, für eine Einzimmerwohnung zahlt man leicht 400 Euro. Und nun sehe ich auf dem Markt: Auch Äpfel, Orangen und Bananen sind nicht billiger als bei uns. Wie können also die Pressburger_innen mit ihrem Verdienst leben?
Eine Antwort liefert dieses Lokal. Hier gibt es noch Preise wie zu sozialistischen Zeiten. Das Krügel für 1,20 Euro und das Viertel Rotwein für 0,80 Euro. Das Viecha u Sv. Urbana repräsentiert das alte Bratislava, jenes, das nichts gemein hat mit der herausgeputzten City.
Veganismus ist hier fehl am Platz.
An dieses Lokal schließen sich zwei weitere an, die von außen mit der Anmutung einfacher Bretterbuden nicht gerade viel hermachen, doch wer sich davon nicht abschrecken lässt und eintritt, merkt bald, dass der Schein das eine ist und sich davon das, worauf es eigentlich ankommt, das Sein, fundamental unterscheidet. Ganz herrlich isst man nämlich hier, wiederum zu sehr moderaten Preisen. Das eine Lokal heißt Smädníček, das andere führt keinen Namen, jedenfalls keinen sichtbaren. In ihren Fenstern werben sie mit Raňajky und Obedy, mit Frühstück und Mittagessen. Freilich darf man nicht zur Fraktion der Vegetarier_innen und Veganer_innen gehören, dann ist man hier eher fehl am Platz, man muss schon auf Hausmannskost stehen und darf kein_e Fleischverächter_in sein.
Auch hier wird einem das Essen nicht an den Tisch gebracht, man muss es sich selbst holen. Ein Tablett nimmt man in die Hand und begibt sich damit zu den Essenstöpfen. Reis oder Kartoffel? Geschnetzeltes oder Braten? Man sagt, was man will, oder, falls des Slowakischen nicht mächtig, zeigt man mit dem Finger einfach in den entsprechenden Topf, und die Dame hinter der Theke gibt einem das Gewünschte auf einen Teller.
Herrliche ungarische Küche.
Jeden Tag komme er hierher, sagt ein älterer Gast, der sich zu mir an den Tisch gesetzt hat. Herrliche ungarische Küche, hier im Smädníček! Heute bildet die ungarische Bevölkerung eine Minderheit in der Slowakei, das war nicht immer so, in seiner wechselvollen Geschichte war Bratislava (auf ungarisch: Pozsony) gar einmal ungarische Hauptstadt, 250 Jahre lang bis 1783, bis das Osmanische Reich verfiel und Buda wieder ungarische Kapitale wurde.
An der Decke des Smädníček hängen Neonleuchten, der Boden ist verfliest. Mit Sichtziegeln und viel Holz an den Wänden ist man um rustikales Flair bemüht.
Um die Mittagszeit bilden sich zuverlässig Schlangen vor der Essensausgabe. Unter den Gästen dominieren zwei Bevölkerungsgruppen: Pensionisten und Arbeiter, Letztere unschwer an ihrem Arbeitsgewand zu erkennen, sie machen hier offenbar gerne Mittagspause.
Wer mit dem Essen fertig ist, trägt sein Tablett zurück zum Geschirrwagen. Es herrscht ein stetes Kommen und Gehen. Kein Ort, der zum längeren Verweilen einlädt. Obwohl: Auch das ist möglich, denn an der Wand hängt ein Fernseher, der ununterbrochen läuft.
Bild: Hinterher muss der Gast Gläser und Geschirr selbst zurückbringen