Recht auf Asyl?tun & lassen

Ein (Flüchtlings-)Leben in Ungewissheit

Somalische Flüchtlinge haben im Oktober mit einer dreitägigen Protestaktion vor dem österreichischen Parlament auf ihr menschenunwürdiges Dasein als Asylwerber_innen aufmerksam gemacht. Ihre Forderungen wurden einem Vertreter von Barbara Prammer übergeben. Eine Reaktion seitens des Parlaments wurde versprochen Am 19. Oktober 2012 berichtete www.reliefweb.int, eine Website der Vereinten Nationen, zur Lage somalischer Flüchtlinge in Äthiopien. Bereits mehr als 170.000 Menschen suchen in Dollo Ado, dem weltgrößten Flüchtlingslager nach Dadaab in Kenia, Zuflucht. Die Kapazitäten der bestehenden fünf Einrichtungen sind offensichtlich erschöpft. Als Fluchtgründe werden Konflikte und Unsicherheit, wie zum Beispiel Zwangsrekrutierungen bewaffneter Gruppen, im Süden und zentralen Regionen Somalias genannt.

Somalia befindet sich seit Ende der 1980er Jahre im Bürgerkrieg. Die Folgen des Kolonialismus sind bis heute spürbar. Im Kalten Krieg war es Spielball der Blöcke, heute versuchen sich Industriestaaten Zugriff zu den großen Erdgas- und Erdölvorkommen, sowie den Uranlagerstätten und anderen wertvollen Rohstoffen zu sichern. Die Situation von Frauen in diesem Land ist besonders erschreckend: Bis zu 95 Prozent aller Frauen Somalias wurden genitalverstümmelt. «Infibulation» nennt sich diese grausame Verschließung der Genitalöffnung mit dem Ziel, Geschlechtsverkehr und Selbstbefriedigung zu verhindern.

Doch all das scheint dem Bundesasylamt nicht zugänglich oder bei der Gewährung von Asyl nicht wichtig genug zu sein. Das ist besonders irritierend, weil das Bundesasylamt Zugang zu Informationen aus erster Hand hat Expert_innen in Sachen Fluchtgründe aus Somalia sind schließlich ihre Klientel. Man mag den Flüchtlingen, warum auch immer, keinen Glauben schenken. Doch ist es wohl nicht zu viel verlangt, ihre Argumente zu prüfen und für die Gewährleistung ihre Rechte zu sorgen. Eines davon ist das Recht auf Asyl.

Mohamed Abdi, der Pressesprecher der somalischen Flüchtlinge, lebt seit 22 Jahren in Österreich. Der Vater von vier Kindern ist ausgebildeter Sportmediziner und arbeitet zurzeit als Chauffeur.

Sie haben von sehr langwierigen Verfahren im Umgang mit somalischen Flüchtlingen erzählt. Wie muss man sich das vorstellen?

Es beginnt mit der Antragstellung auf Asyl. Es werden Fingerabdrücke abgenommen, und in einem Gespräch wird man über den Fluchtweg befragt. Für diejenigen, die nicht aufgrund der Dublin-II-Verordnung abgeschoben werden, heißt es dann: warten. Zwei, drei Jahre vergehen, bis man eine negative oder positive Antwort erhält. Manchmal bekommt man auch sofort ein Nein und erhält statt Asyl nur subsidiären Schutz für ein Jahr. Das ist in den letzten fünf Jahren die häufigste Entscheidung gewesen.

Was geschieht, wenn der subsidiäre Schutz nach einem Jahr abgelaufen ist?

Man muss einen neuen Antrag stellen und darauf hoffen, dass dieser Schutz wieder um ein Jahr verlängert wird. Natürlich ist das ein Leben in absoluter Ungewissheit darüber, wie es weitergehen wird. Man kann keine Pläne schmieden und verliert wertvolle Lebenszeit.

Welche finanzielle Unterstützung bekommen Flüchtlinge seitens der Republik Österreich?

Man bekommt die Grundversorgung in Höhe von 140 bis 160 Euro. Vom Sozialamt erhält man zwischen 400 und 500 Euro, um eine Unterkunft finanzieren zu können. Da die Flüchtlinge aber keinen Ausweis, sondern nur die ausgestellten Karten haben, gibt ihnen niemand eine Wohnung.

Wo kommen sie dann unter?

Manche wohnen in sehr kleinen Kellerräumen. Die sind feucht und dunkel. 24 Leute teilen sich dort eine Toilette. So ein Platz kostet 350 Euro pro Person!

Menschen, die aus Kriegsgebieten flüchten mussten, sind oft traumatisiert. Wie geht es somalischen Flüchtlingen? Bekommen sie psychologische Unterstützung?

Nein, so etwas wird nicht angeboten. Das ist unser größtes Problem. Es gibt sehr viele traumatisierte Frauen und Kinder. Die Kinder wurden während des Krieges geboren und haben natürlich psychische Probleme.

Werden wenigstens Sprachkurse angeboten, damit die Flüchtlinge Deutsch lernen können?

Ja, manchmal müssen Flüchtlinge in Deutschkurse gehen. Aber das Problem ist, dass viele Analphabeten sind. Das Bildungswesen in Somalia ist schlecht. Hier leben Menschen im Keller und haben auf Grund ihrer Erlebnisse psychische Probleme. Ihre Familien wurden auseinandergerissen. Sie sind traumatisiert. Wie sollen sie unter solchen Bedingungen eine fremde Sprache lernen?

Im Asylverfahren werden mehrfach Interviews geführt. Wenn Asylwerber_innen nicht Deutsch sprechen, wie können sie über ihre Situation Auskunft geben?

Es gibt in Österreich keine anerkannten Dolmetscher_innen. Um festzustellen, ob ein Flüchtling aus Somaliland, Puntland oder Zentralsomalia stammt, ruft man zum Beispiel jemanden in Schweden an. Der soll übers Handy feststellen, aus welcher Gegend man stammt. Warum die Behörden das in Erfahrung bringen wollen, weiß ich nicht. Somalia ist ein Land!

Allerdings gibt es neben der somalischen Amtssprache noch 25 andere Sprachen. Ich selbst verstehe zum Beispiel nicht alle Leute aus dem Süden. Auch in Mogadischu sprechen die Leute unterschiedliche Sprachen. Es gibt unterschiedliche Kulturen und Bevölkerungsteile Somalias. Die Araber, Halb-Araber, Bantus und die somalischen Nomaden. Ein alter Scherz geht ungefähr so: Wenn sich ein Somalier aus dem Norden und einer aus dem Süden treffen, dann brauchen sie einen Dolmetscher. Wie die Kontaktperson in Schweden beurteilen will, aus welchem Teil Somalias ein Flüchtling stammt, ist mir ein Rätsel. Es gibt weltweit kein Gesetz, das Sprachanalysen vorschreibt. Auch die Genfer Flüchtlingskonvention sieht das nicht vor.

Es gibt keine offizielle Vertretung Somalias in Österreich. Wenn sich die Behörden nicht ausschließlich auf ihren Kontakt in Schweden verlassen wollen: An wen wenden sie sich dann?

Sie wenden sich entweder an diese Person in Schweden, suchen im Internet oder kontaktieren österreichische Botschaften in anderen afrikanischen Staaten. Es kommt vor, dass die österreichischen Behörden sagen, dass sie nichts tun können, da sie noch keine Antwort von der österreichischen Botschaft im Land X bekommen hätten. Es gibt einen Fall einer somalischen Frau, der in Österreich Asyl gegeben wurde und die einen Antrag auf Familienzusammenführung gestellt hat. Der Amtsweg zwischen Österreich und seiner Botschaft in Äthiopien brauchte zweieinhalb Jahre! Das sind übliche Probleme bei der Familienzusammenführung.

Es gibt ja die berüchtigte Dublin-II-Verordnung. Welche Erfahrungen mussten die somalischen Flüchtlinge damit machen?

Die meisten Somalier_innen kommen mit Schleppern nach Syrien. Von dort gehen sie zu Fuß in die Türkei. Mit einem Boot versuchen sie Griechenland zu erreichen, wo aber die Situation für Flüchtlinge außerordentlich schlecht ist. Von dort versuchen die Flüchtlinge zum Beispiel nach Österreich zu kommen. Wenn die österreichischen Behörden ihre Fingerabdrücke aus Griechenland erhalten, könnten sie laut Dublin II dorthin zurück abgeschoben werden. Es passieren aber auch Fehler. Zum Beispiel gibt es den Fall von 21 Somalier_innen, die, in einem Bus versteckt, von Griechenland nach Österreich kamen. Die ungarischen Behörden hatten zu ihnen keinen Kontakt. Trotzdem wurde behauptet, dass die Fingerabdrücke der Flüchtlinge in Ungarn erfasst worden seien. Die Flüchtlinge wussten nicht einmal, wo Ungarn ist! Die österreichische Behörde meinte aber, Ungarn sei für sie zuständig. Die Flüchtlinge stellten einen Antrag an den Asylgerichtshof und bekamen Recht. Trotzdem haben sie bis heute keinen Termin für das Interview, keine Karte und keine Grundversorgung bekommen. Es ist einfach nichts geschehen.

Die somalischen Flüchtlinge haben am 12. 10. 2012 ihre Forderungen dem österreichischen Parlament übergeben.

Vertreter der Grünen sagten uns, sie würden unsere Anliegen im Parlament vertreten, und von einem Vertreter Barbara Prammers wurde uns eine Antwort in drei bis vier Wochen zugesagt. Die Grünen haben uns außerdem während der Kundgebung mit Essen und heißen Getränken unterstützt.

Was fordern sie?

Wir fordern den Schluss der Dublin-II-Abschiebungen, Schluss mit dem quälenden Warten, Anerkennung des Flüchtlingsstatus, Recht auf Familienzusammenführung und Unterstützung und Informationen für die Flüchtlinge in ihrer Sprache.

Was sind Ihre nächsten Ziele?

Wir wollen einen Verein der somalischen Menschen in Österreich gründen und mit anderen Communitys, die von ähnlichen Problemen wie wir betroffen sind, Kontakte knüpfen, um uns mit ihnen zu solidarisieren. Ebenso wollen wir uns mit sympathisierenden Organisationen vernetzen, um unsere Anliegen stärker vertreten zu können.

Möchten Sie noch einen Appell an die Leser_innen richten?

Wir brauchen eure Unterstützung! Wir kommen aus einem Land ohne funktionierende Regierung, indem sich Menschen gegenseitig töten und die medizinische Versorgung schlecht ist. Wenn Menschen aus Somalia um Asyl ansuchen, brauchen sie menschliche Unterstützung. Ich wünsche mir, dass die österreichischen Menschen und auch die Regierung Hilfe leisten.



Interview: R. Rebotko



Video zu den somalischen Protesttagen: www.labournetaustria.at/gerechtigkeit-fur-somalische-fluchtlinge-kampagne-vom-10-12-oktober-2012-in-wien

Widerstand gegen Abschiebungen: www.familienundfreundinnengegenabschiebung.wordpress.com