Recht auf Raumtun & lassen

Räume finden und halten: Für selbstorganisierte Kulturinitiativen schwer, denn Mieten sind teuer und Verträge befristet. In der ARGE ­Räume – Kulturraumvernetzung von unten sind seit einem Jahr soziokulturelle Räume aktiv, wo Kunst, Politisches, Sozialarbeit und Ähnliches stattfindet. Neben vielen anderen sind etwa Tüwi, Kitchen, SchloR und Arena dabei. Mit den ­ARGE-Aktivistinnen Alisa Beck und Magdalena Augustin hat Ruth Weismann gesprochen.

Aus welchem Grund wurde die ARGE Räume gegründet?

Magdalena Augustin: Wir sind aus der Not heraus entstanden. Es gab immer wieder Vernetzungen von Räumen, die selbstverwaltet, autonom und niederschwellig sind – und darum oft bedroht. Teilweise verschwinden sie dann. Mit der ARGE Räume wollten wir etwas Beständiges aufziehen, wo regelmäßig Austausch stattfindet.

Alisa Beck: 2017 begann die Vernetzung um das Amerlinghaus, dann musste der Kunstraum mo.ë schließen. Die ARGE Räume ist als Solidar- und Aktionsplattform entstanden. Die Frage ist: Wie kann man sich gegenseitig unterstützen, mit Wissen, mit Material und Geld? Wenn ein Raum bedroht ist – so wie damals das mo.ë, das raus musste, weil das Haus verkauft worden war –, kann man dann mit Geld aushelfen, Anwält_innen zahlen? Es geht darum, was Räume an realistischen Unterstützungen brauchen.

Kann die ARGE diese Unterstützung bieten?

M. A.: Mittlerweile ja.

A. B.: Das Geld kommt zum Teil aus Soliveranstaltungen, ein anderer Teil ist der Preis der freien Szene 2019, den die ARGE jetzt bekommen hat.

Mit welchen Problemen sind soziokulturelle Räume in Wien konkret konfrontiert?

M. A.: Einerseits wird, global gesehen, der Kampf um Boden in der Stadt immer härter. Es wird immer enger und teurer. Das merkt man vor allem bei den Räumen, die versuchen, niederschwellig zu sein. Es ist fast nicht mehr möglich, sich ohne Kapital einen Raum anzueignen. Raum finden ist schwierig, Räume zu halten ist schwierig.

A. B.: Auch Räumen, die betrieblich arbeiten, wie etwa das Fluc, haben immer wieder zu kämpfen. Räume mit kulturellem, politischem und sozialen Anspruch, die Arbeitsplätze bieten und von vielen Leute betrieben werden, die ihre Miete durch diese tagtägliche Arbeit bezahlen müssen und wollen.

Es gibt ja zum Beispiel die Agentur Kreative Räume Wien …

M. A.: Da geht es aber vor allem um Zwischennutzung. Das Problem ist, dass einerseits städtische Infrastruktur nicht geöffnet wird, auch wenn sie leersteht. Andererseits sind Räume, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar sind, kaum leistbar. Etwas zu finden, wo man längerfristig arbeiten kann, ist nahezu unmöglich geworden. Gleichzeitig müssen auch bestehende Räume ums Überleben kämpfen, wie das WUK oder das Amerlinghaus.

A. B.: Die Idee der Stadt Wien, eine Agentur wie Kreative Räume einzurichten, bietet das Temporäre als Lösung an, aber greift nicht die grundlegenden Probleme auf: Es gibt keine unbefristeten Verträge, und Räume sind abhängig von Förderungen, die oft nur auf Projektebene – also auch temporär – vergeben werden. So kann sich kein Raum halten. Ich kann als Gruppe
z. B. ein Theaterstück planen, aber der Raum, den ich zum Proben, zum Arbeiten brauche, fällt nicht vom Himmel und ist für drei Monate da, und dann ist der nächste da. Das Bewusstsein, dass man kontinuierlich Raum zum Arbeiten braucht, dass die Leute täglich Infrastruktur brauchen, ist bei der Stadt nicht da.

Kulturräume werden ja mitunter als Teil der Aufwertung eines Grätzels gesehen, Stichwort Gentrifizierung. Wie ist euer Verhältnis zu dieser Frage?

A. B.: Es muss möglich sein, Kulturarbeit zu machen, und nicht Auslöser des Problems zu sein, oder nur als solches gesehen zu werden. Manchmal ist es notwendig, wo nicht mitzumachen. Zum Beispiel zu sagen: Diesen Vertrag nehme ich in der Form nicht an. Oder: Der Vertrag soll zu Ende gehen, das werde ich nicht stillschweigend zulassen und einfach etwas Neues suchen. So etwas betrifft ja nicht nur die Kulturräume, sondern ganze Wohnhäuser. Man muss schauen, wer lebt und arbeitet da noch? Das zu veröffentlichen, nach außen zu tragen, ist wichtig. Auch wichtig ist die Frage: Inwieweit macht man bei Zwischennutzungen mit, die in die Creative-Cluster-Industrie gehen. Oder wenn es ein Projekt der Stadt ist, wie das F23, wo die Stadt sagt: Für die Verwaltung von Immobilien brauchen wir zahlungskräftige Partner, da braucht es so jemanden wie Soravia. Da als Kulturarbeiter_in zu sagen: Nein, dort machen wir keine Veranstaltungen.

M. A.: Solange ein F23 an Soravia geht, solange ein Künstlerhaus an den Haselsteiner geht, solange die Semmelweis-Klinik verscherbelt wird oder die Pizzeria Anarchia – die ja bodenständig, der Nachbarschaft entsprechend gearbeitet haben –, möchte ich schon fragen: Wer wertet denn da auf? Die Stadt denkt niederschwellige Kulturräume auch bei neu gebauten Immobilien nicht mit. Da werden Millionen bewegt an den Baustellen, also das kann ja nicht das Problem sein.

A. B.: Man hat den Eindruck, die Stadt weiß um die Diskurse. Aber dann gibt es Stadtentwicklungsgebiete wie das Nordbahnviertel, in dem eine breite Erdgeschoßzonennutzung für Kultur und Soziales offensichtlich nicht mitgeplant wurde. Da frage ich mich: Wie schlägt sich etwa das Reden über Dezentralität konkret nieder? Man sieht es nicht in der Umsetzung, außer in so Pilotprojekten, wie dem Stadtlabor (Anm.: Ein Projekt der Stadt Wien, in dem es um die gemeinsame Entwicklung von Stadtteilen geht), aber das ist eine Feigenblattmentalität. Es mag ja etwas dahinter stehen, was in die richtige Richtung geht, aber es geht nicht über das Projekthafte hinaus. Für die anderen und für die Nachkommenden hat sich nichts geändert.

Jeden 3. Mittwoch im Monat lädt die ARGE Räume um 19 Uhr zum offenen Stammtisch, Anmeldung ist nicht nötig.
www. arge-raeume.org

Foto: Epizentrum ehem. Lindengasse-60-62, 1070 Wien via besetzungsarchiv.org