Recht auf Stadt oder Recht auf Rendite?tun & lassen

Schwarz-blaue Wohnpolitik: was auf Mieter_innen zukommt

Eigentum als Vorsorge, befristete Mietverträge als Normalität und ein Ende des Lagezuschlagsverbots – die neue Regierung hat einiges vor am Immobilienmarkt.

Mit Walter Rosifka, Leiter des Teams Wohnen in der Arbeiterkammer Wien, sprach

Lisa Bolyos (Interview und Fotos) darüber, wem die schwarz-blaue Wohnpolitik das Recht auf schönes Wohnen sichert.Das Mietrecht ist unter Beschuss, hört man überall. Muss man sich vor den Plänen der schwarz-blauen Regierung fürchten?

Es gibt im Regierungsprogramm zwei Vorhaben, die wohl eine Verteuerung der Mieten bedeuten können: die Erleichterung der Befristung von Mietverträgen und die Abschaffung des Lagezuschlagsverbots in Gründerzeitvierteln. Beides wurde in der Vergangenheit von der Immobilienwirtschaft beim Verfassungsgerichtshof angefochten, und beides wurde abgewiesen, weil die Regelungen nämlich dem legitimen sozialpolitischen Ziel dienen, leistbares Wohnen in zentrumsnaher städtischer Lage zu ermöglichen. Auch Personen mit mittlerem oder niedrigem Einkommen soll es möglich sein, ihren Wohnbedarf in dieser Lage angemessen zu decken. Von diesem Grundsatz scheint sich die neue Regierung zu verabschieden.

Was ist das Problem mit befristeten Mietverträgen?

Befristungen werden zur Gewinnmaximierung verwendet. Es gibt aber ein Bild, mit dem uns suggeriert wird, dass es Befristungsmöglichkeiten von Mietverträgen aus einem ganz anderen Grund braucht: Die Großmutter kauft dem Enkerl eine Wohnung und vermietet sie bis zu seiner Volljährigkeit; ist das Enkerl 18 und der Mieter zieht nicht aus, kriegt es die Wohnung nicht – furchtbar! Darum: Befristung. In Wirklichkeit läuft es so: Eine Familie schließt einen befristeten Mietvertrag ab, der nach drei Jahren abläuft. Nun sagt der Vermieter: Ihr könnt gerne in der Wohnung bleiben, aber ihr zahlt mir 20 Prozent mehr Miete. Welche Mehrleistung hat er dafür erbracht? Gar keine, der Markt erlaubt es – und der Gesetzgeber kann es in Zukunft noch befördern.

Wie soll die Befristung befördert werden?

Im Regierungsprogramm ist von einem «Anreizsystem zur Attraktivierung längerfristiger Mietverhältnisse» die Rede, das nicht weiter ausgeführt wird. Man kann aber herauslesen, dass der unbefristete Vertrag nicht wie bisher der Regelvertrag sein soll. Bisher muss bei Befristung, egal wie lang sie ist, 25 Prozent Abschlag beim Mietzins gewährt werden; weil die Befristung für Mieter_innen prinzipiell nachteilig ist. Nun soll zwischen kurz- und langfristig befristeten Mietverträgen unterschieden werden, und es ist damit zu rechnen, dass der Abschlag vermindert wird. Die Mieten können also auch dort teurer werden.

Und wie wird sich die Aufhebung des Lagezuschlagsverbots auf die Mieten auswirken?

Wenn das Lagezuschlagsverbot in Gründerzeitvierteln fällt, müssen wir mit Mietverteuerungen von bis zu 60 Prozent rechnen. Alleine in Wien sind knapp 95- bis 100.000 Wohnungen betroffen. Sobald ein Mietvertrag ausläuft, kann der Vermieter einen Lagezuschlag verlangen – da zahlt man für dieselbe Wohnung plötzlich 200 Euro mehr. Einkommensschwächere sind doppelt betroffen: Sie leben eher in Gründerzeitvierteln, und sie sind öfter von Befristungen betroffen – denn jemand, der um 1.600 Euro eine Wohnung mietet, ist in einer besseren Verhandlungsposition, zu sagen: Ich will keine Befristung.

Wien wird mit einem starken Mieter_innenschutz assoziiert. Ist der gute Ruf gerechtfertigt?

Mir ist bisher nicht aufgefallen, dass ­Mieter_innen in Wien besonders geschützt wären. Natürlich gibt es für Leute, die vor langer Zeit einen unbefristeten Mietvertrag abgeschlossen haben, noch eine relative Wohnsicherheit – aber unkündbar sind die nicht. Das ist ein Märchen, das gern erzählt wird, um Verschlechterungen der Mieterrechte zu rechtfertigen. In Deutschland zum Beispiel sind Befristungen unzulässig! In Österreich hingegen werden 60 bis 70 Prozent der neuen Verträge am privaten Mietwohnungsmarkt befristet abgeschlossen.

Der Vorteil, den wir haben, sind die relativ vielen aufrechten Mietverhältnisse im Gemeinde- und Genossenschaftswohnungsbereich. In Deutschland wurden sehr viele kommunale Wohnungen an in- oder ausländische «Investoren» verkauft und die Gemeinnützigkeit abgeschafft. So etwas zu tun, ist mehr als unüberlegt.


Laut Regierungsprogramm soll der ­«Mietadel» abgeschafft werden. Wer ist das?

Was hier gemäß dem Regierungsprogramm ausdrücklich angegriffen werden soll, sind die gesetzlichen Eintrittsrechte der nächsten Verwandten in den Mietvertrag. Die gelten, wenn man im gleichen Haushalt wohnt und ein dringendes Wohnbedürfnis hat – also nicht etwa eine Eigentumswohnung besitzt. Das ist eine Schutzbestimmung, die es jungen, in der Regel unterdurchschnittlich verdienenden Familien erlauben soll, in der gewohnten Wohnumgebung zu bleiben und dabei nur eine relativ moderate Mieterhöhung hinnehmen zu müssen. Natürlich könnte man auch sagen, Menschen mit ganz normalen Berufen sollen nicht im 6., 7., 8. und 9. Bezirk wohnen dürfen, die sollen sich schleichen: Recht zum Wohnen, ja, aber Recht zum Wohnen im Zentrum, nein; das bleibt den Reichen vorbehalten. Diese Familien, die oft nicht einmal 1.000 bis 1.500 Euro zum Leben haben, werden von jenen Firmen als «Mietadel» bezeichnet, die die Häuser um einen Spottpreis gekauft und seit Jahrzehnten keinen Cent in die Wohnung investiert haben. Das ist die reine Verhöhnung, da fehlen mir die Worte.

Auch im Sozialen Wohnbau soll strenger geprüft werden: Wer zu viel verdient, fliegt aus der Wohnung raus?

Was will man von Mieter_innen, die nach Jahren nicht mehr die Voraussetzungen für den geförderten Wohnbau erfüllen? Dass sie mehr zahlen oder dass sie gehen?

Wenn sie gehen müssen, stellt sich die Frage der sozialen Durchmischung, die nur dann gewährleistet ist, wenn der Soziale Wohnbau breiten Bevölkerungsschichten zur Verfügung steht. Wenn sie aber bleiben können und mehr zahlen müssen, frage ich mich, wieso eine Gemeinde oder eine Genossenschaft überhaupt noch Geringverdiener einziehen lassen würde – denn dann ist ja klar, dass die weniger Miete einbringen. Derzeit haben wir die Subjektförderung: Alle Mieter_innen zahlen den gleichen Quadratmeterpreis an die Vermieter_innen, und wer weniger verdient, bekommt eine Wohnbeihilfe. Das halte ich für die beste Lösung.


Wieso interessiert sich eine blau-schwarze Regierung überhaupt für «soziale Treffsicherheit im Sozialen Wohnbau»?

Die zentrale Frage ist meines Erachtens: Wieso reden wir von sozialer Gerechtigkeit nur im Mietwohnungsbau und nicht im geförderten Eigentumswohnbau? Jeder Häuslbauer, jede Eigentumswohnungskäuferin, der oder die eine Förderung bekommt, wird danach nie wieder auf Förderungswürdigkeit geprüft. Muss etwa mehr zurückgezahlt werden, oder muss man die geförderte Eigentumswohnung aufgeben, wenn man viel verdient? Nein! Im Gegenteil, beim Eigentum profitiert noch die Erbengeneration davon, dass wir Steuerzahler_innen das Vermögen ermöglicht haben. Denn ein geförderter Kredit wird zwar zurückgezahlt, aber die Förderung nie. Nehmen wir an, ich bekomme einen einprozentigen Förderungskredit, während der vergleichbare Zinssatz am freien Markt 3,5 Prozent beträgt – diesen Unterschiedsbetrag zahle ich nicht zurück. In Salzburg hat die ÖVP-geführte Landesregierung beim Eigentumswohnungskauf gar einen «nicht rückzahlbaren Zuschuss» eingeführt, da bekommt man Geld geschenkt; z. B. 40.000 Euro, wenn man sich eine Wohnung um 470.000 Euro kauft – das ist sozial treffsicher?

«Eigentum ist die beste Vorsorge», befindet Sebastian Kurz. Wie wird Eigentum im Wohnbereich befördert?

Im Regierungsprogramm ist die Rede davon, dass man sich mit dem Entfall der staatlichen Gebühren und Steuern billiger eine Eigentumswohnung erwerben können soll. Das wird so nicht eintreten: Wenn wie geplant die Kaufnebenkosten sinken, wird ganz einfach der Marktpreis nachziehen. Das heißt, Verbilligung der Gebühren und Abschaffung der Steuern verschieben die Einnahmen vom Staat weg hin zu Bauträger oder Verkäuferin. Und die Preise für Eigentumswohnungen steigen auch deshalb, weil die Mieten steigen. So werden Familien, die Eigentum zum Eigenbedarf nützen wollen, vom Markt verdrängt, weil Anleger und Investorinnen mit einem Grundbedürfnis schrankenlos Profit machen wollen.

Wie könnte die Allgemeinheit von diesem Profit profitieren?

Die Marktideoologie, die da einzieht, bedeutet, dass nicht eigene Investitionen des Vermieters Maßstab seiner Rendite sind, sondern Ereignisse, für die er keine Leistung erbringt: Dort, wo die U5 hinkommt, heißt es bereits: Kaufen Sie jetzt! In Zukunft Renditesteigerung! Aber die U5 ist eine Leistung der Steuerzahler_innen, also der Allgemeinheit, nicht des Hauseigentümers. Die Einhaltung von gesetzlichen Mietobergrenzen wäre ein möglicher Beitrag des privaten Eigentums zum Gemeinwohl.

Ähnlich beim Neubau: Wenn man auf einer grünen Wiese bauen will und der Grund dafür umgewidmet wird, ist er statt zehn Euro plötzlich 400 Euro pro Quadratmeter wert – ohne dass die Eigentümer_innen irgendeine Leistung dafür erbracht hätten. Wir brauchen ein Instrumentarium, das einen Teil dieses Wertzuwachses wieder der Allgemeinheit zur Verfügung stellt; am besten sollte ein erheblicher Teil der Grundstücke dem sozialen Wohnbau zu moderaten Preisen zur Verfügung gestellt werden müssen.

Walter Rosifka ist Leiter des Teams Wohnen in der Arbeiterkammer Wien, Abteilung Konsument_innenpolitik, die u. a. Politikberatung und Wohnrechtsvertretung in Musterverfahren macht.

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