Rechts, zwei, drei …Artistin

Bibliotick

«Es war wie nach jedem Regierungswechsel – das Leben ging weiter wie zuvor, die Leute feierten und waren viel zu beschäftigt, Veränderungen zu bemerken.»So auch Malte Dinger. Der dealt mit Gin und Austern, hat bis zur Auflösung der Grünen grün gewählt, liebt seinen Sohn und trägt die Monatskarte der Wiener Linien immer bei sich. Außer einmal. Aber ausgerechnet da gerät er in eine Fahrscheinkontrolle, und eine Kafka’sche Flutwelle stürzt über ihn hinweg: Polizeieinsatz, ausgeschlagener Zahn, Falschaussage, Graues Haus, Mordverdacht, Stein. Währenddessen wütet in Österreich die Regierung der rechten Einheitspartei LIMES, Tabaksteuern und Tempolimit werden abgeschafft, Grenzzäune und Strafmaß hochgezogen. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. «Die Muslime konvertierten zum Christentum oder wanderten aus. Eine Mitnahme ihres Vermögens war ihnen nicht gestattet. Plötzlich gab es Wohnungen zu Billigpreisen.» In Franzobels Krimi Rechtswalzer kriegt die nahe Zukunft (wir schreiben das Jahr 2024) ihr Fett ab. Ein liberaler Oberst wird wegen Staatszersetzung verhaftet, ein Familienclan aus Untergrutzenbach will mit Hilfe der Saudis Wasser zu Gold machen und ein Staatskünstler überzieht Goldbagger mit Plastikschokolade. Helmut Seethaler klebt im Gefängnis Gedichte an die Wand, Daniel Richter malt für LIMES, nur die Burschenschaft Hysteria stört den gesellschaftlichen Frieden und den Opernball. Und Kommissar Groschen, der einem Bauskandal und vielen Morden hinterherhechelt, findet dieses neue Regiertwerden, diese junge Diktatur zwar «grauenhaft», aber «so wie in der Stadt überall Poller aufgestellt worden waren, um weitere Amokfahrten zu verhindern, hatte auch er Poller in sich drinnen, die verhinderten, dass dieses ‹grauenhaft› zu weit in ihn hineinfuhr.»

Ein bisschen weniger Beschreibungen weiblicher Busen hätten dem Flow keinen Abbruch getan, und bis zum bitteren Ende erschließt sich nicht so richtig, was die Untergrutzenbacher Mordlust mit dem saudischen Wasserdeal zu tun hat – aber auf der Orwell’schen Ebene brilliert Rechtswalzer: ein Gustostückerl, eine Watschn, eine Warnung.

Franzobel: Rechtswalzer

Zsolnay 2019

413 Seiten, 19,60 Euro