Regionalpolitik in Niederösterreich – gut, aber austun & lassen

Über gute und schlechte, keine und echte Regionalpolitik

Es gibt nicht nur benachteiligte Menschen, sondern auch benachteiligte Gebiete. Darum geht es sich nicht aus, für alle Gebiete dieselbe Politik zu machen. Besonders schwächere Regionen brauchen Unterstützung dabei, ihr Potenzial zur Entfaltung zu bringen: Das nennt man gelungene Regionalpolitik. Wie die aussehen könnte, schlägt folgender Text vor, der für eine «Volksuniversität» in Waidhofen an der Thaya entstanden ist.

Foto: Robert Sommer

Gelungene Regionalpolitik sollte Anreize dafür schaffen, dass nicht die Menschen der Arbeit nachfahren, sondern die Arbeit zu ihnen kommt. Bewohner_innen einer Problemregion sollten mit einer Idee für die Region irgendwo hingehen können, um sich dort beraten zu lassen und um eine kleine Förderung zur Projektvorbereitung zu bekommen. Die Politik sollte regionale Geldkreisläufe (Sparkassen, Genossenschaften usw.) unterstützen. All diese Dinge kosten nicht nur ein wenig Geld, sie zahlen sich auch aus. Die Alternative wäre Abwanderung, und die ist auf Dauer teuer, nicht nur, weil dann stark entsiedelte Landgebiete mit defizitärer Infrastruktur zurückbleiben, sondern auch, weil ein Blick über die Grenzen zeigt, dass die wohlhabendsten Volkswirtschaften die sind, die ihre ländlichen Gebiete fördern. Und schließlich ist ein Mensch mit Pendleridentität, der am einen Ort wohnt, aber am anderen Ort sich zu Hause fühlt, weniger glücklich, weniger kreativ und wohl auch gesundheitlich weniger stabil.

Früher waren wenigstens die Lügen schön

Es wäre ja rührend, wenn man wenigstens noch in Sonntagsreden hören könnte, dass die Bewohner_innen aller Gebiete die gleichen Chancen haben sollten (um wie viel schöner wurde doch früher gelogen), aber leider hat die Landespolitik jeglichen Anspruch auf Chancengleichheit schon vollends aus ihrer Rhetorik ausgeblendet.

Wie sieht «keine Regionalpolitik» aus? Wenn es nur noch Klientelpolitik – Geldaufteilen unter Verfreundeten – gibt, dann wird immer noch «Geld in die Regionen gepumpt»: Auch die Verfreundeten sind irgendwo in Regionen zu Hause. Verteilt man nach oben um, verteilt man auch horizontal (in der Fläche) um. Und dann gibt es zwar für das Volk nix, in der Medien-Sprache aber «für jeden etwas»: regionalpolitische Leitprojekte wie einen Brandlhof in Radlbrunn fürs Weinviertel, einen Metternich-Wolkenturm in Grafenegg fürs Waldviertel, ein FC-Niederösterreich-Stadion fürs Mostviertel, und eine Therme Bad Erlach fürs Industrieviertel …

Keine Regionalpolitik zu machen, bedeutet aber auch Umverteilung von ländlichen zu städtischen Immobilienbesitzer_innen – der Immobilienwert einer Waldviertler Kleinstadt in Summe ist in den letzten Jahren um ca. 30 Millionen Euro gesunken, während in den Ballungsgebieten die Preise sogar noch stärker angezogen haben. Immobilien sind aber auch wieder Besicherungswert für Betriebe, und so bekommen ländliche Unternehmen eben immer weniger Kredit.

Keine Regionalpolitik ist z. B. aber auch, wenn:

– Oppositionsgemeinden im ländlichen Raum so lange ausgeblutet werden, bis sie überwiegend als «Sanierungsgemeinden» unter Landeskuratel stehen,

– Kleinregionen wegen Ausgaben von 5000 Euro für ihre Entwicklung zum Land betteln gehen müssen,

– «Regionalentwicklungs»-Projekte der Landesregierung und ihren Tochterfirmen die EU-Fördertöpfe ausräumen,

– jede Stadt gegen ihre Nachbarstädte Stadtmarketing macht, dass kein Auge trocken bleibt.

Die Antwort des Landes (Eigendarstellung der Regionalentwicklungsagentur des Landes Niederösterreich) ergibt sich recht illustrativ aus einer Aufstellung geförderter Projekte 2013: Themenroute Wein-Garten-Design Langenlois / «Tafeln im Weinviertel» / Angebotsentwicklung und Vermarktung Wein- und Kulturwochen im Weinviertel / Tourismusmarketing Kultur & Kulinarik rund um die NÖLA 2015 / Symposium «Dem Geschmack auf der Spur». Unter «Service» gibt’s auf der Website des Regionalmanagements derzeit sogar Antragsformulare zum Download, aber sie betreffen nur geförderte Garagenstellplätze.

Vorgeschichte der Regionalentwicklung in NÖ

Nach blutleeren, papierenen Konzepten der sechziger Jahre, die in der Denkweise noch stark von der in der Nazizeit etablierten Raumentwicklungsstrategie geprägt waren, stand auch bei der Regionalentwicklung jener frische Geist, der damals ganz Österreich durchwehte. Er erreichte das Thema allerdings mit etwas Verspätung. Die Forderung nach einer «eigenständigen Regionalentwicklung» (die «bottom-up», also von unten organisiert ist) wurde zuerst einmal auf Festen und Verkaufsmärkten alpiner Regionen in der Wiener Innenstadt und von einigen Vordenker_innen in der SPÖ proklamiert. Schließlich hatte Bruno Kreisky selbst ja dazu aufgerufen, dass Menschen, die in traditionellen ÖVP-Strukturen und -gebieten steckten, ein Stück Weges gemeinsam mit den Sozialist_innen gehen sollten. Die Anfänge machten der Österreichische Bergbauernverband und die ARGE Region Kultur. Regionalbeauftragte fungierten als Bindeglieder zwischen Bevölkerung und zentraler Verwaltung. Es gab ein Zusammenspiel aus Beratungsangeboten, Infrastrukturprogrammen und kleinen, aber hocheffektiven Förderprogrammen: Investitionen, aktive Arbeitsmarktpolitik, Förderaktion für eigenständige Regionalentwicklung, die in «LEADER» («L….») aufgingen. Die «LEADER»-Regionen werden zwar demnächst neu ausgeschrieben, aber auch in diesem Rahmen haben sich in Niederösterreich Strukturen gebildet, in denen die üblichen Würdenträger_innen aus dem Dunstkreis der Landespolitik die Projektgelder untereinander aufteilen.

Vorgeblich, um effizientere Verwaltung zu ermöglichen, hat das Land in seinem jüngsten Streich eine «NÖ.Regional.GmbH» gegründet, die unter ihrem Dach die bisher mehr oder weniger selbständigen Einrichtungen Regionalmanagement, Dorf- und Stadterneuerung und Kleinregionen vereint. Seine Mission sieht das Regionalmanagement in regionaler Governance, seine Funktionär_innen sind Spitzenbeamt_innen. Keinerlei Bottom-up-Element blieb erhalten. Die Kleinregionen betreffend ist das sogar verfassungsrechtlich bedenklich.

Regionenbelebung durch Vorstandsboni

Das derzeit größte Regionalentwicklungsprojekt im Bezirk Gmünd sieht wie folgt aus: In der Stadt Schrems kämpft der ehemalige ÖVP-Landeshauptmannstellvertreter Ernest Gabmann laut der Tageszeitung «Der Standard» um Restansprüche aus seiner zweijährigen Tätigkeit als einer der Vorstände der «Flughafen Wien-Schwechat AG». Er war in dieser Funktion nach einem Baukostenskandal eingesetzt worden. Nun streitet er um die Auszahlung von mehr als einer Million Euro, darunter die Hälfte der im Vertrag geregelten Boni, um einen Beratervertrag und eine weitere Pension. Würde dieser ältere Herr diese Kohle für den Job, für den er ohnedies ein Spitzengehalt bezogen hat, erhalten, würde dies in der Problemregion einen Kaufkraftzustrom von einer Million Euro bringen, das ist mehr als ein größeres Kulturfestival. Er würde eventuell auch einen Teil des Geldes in Gaststätten ausgeben, die dann ihr Fortbestehen damit absichern könnten.

Alternativ zu diesem Regionsbelebungsprojekt «Vorstandsboni» könnte man natürlich mit diesem Geld auch eine_n Regionalmanager_in bezahlen. Bei einer Verzinsung von 4 Prozent könnte das Gehalt dauerhaft aus den Zinsen dieser Nachforderung finanziert werden.

Bezirke entwickeln regionalpolitische Leitprojekte. Das Regionalentwicklungs-Leitprojekt für den Bezirk Waidhofen an der Thaya etwa bestand darin, den Menschen weiszumachen, dass man ihren Bezirk am besten dadurch fördert, dass man die dem Volk und der tschechischen Regierung versprochene Bahninvestition (Schwarzenau – Waidhofen – Zlabings – Iglau) einseitig kündigt und auf den Gleiskörper einen unpraktischen Radweg legt, damit das Bahnthema endlich weg ist. Das hat vielen bislang unpolitischen Bürger_innen im Bezirk gezeigt, für wie dumm man sie hält. Ein sogenannter «eye-opener».

Keine Regionalpolitik in NÖ bedeutet, dass es unter den in Massen nach Wien strömenden geschickten Arbeitskräften weiterhin billige Niederösterreicher_innen geben wird und dass man um wenig Geld im nördlichen Wein- und Waldviertel schöne Häuser bekommt. Es heißt aber auch, dass es weiterhin keine im großen Stil funktionierende Veredelungskette regionaler Nahrungsmittel für die Wiener (Super-)Märkte geben wird, und dass die Idylle, die einem bei Landbesuchen durchs Autofenster hereinlacht, immer brüchiger wird.

Wie Regionalpolitik auch funktioniert (Ausschnitt aus einem Kabarettprogramm)

Die 2 Baumultis: «Wir brauchen einen Auftrag, so etwa wie im Vorjahr, aber ein paar Prozent mehr.»

Land: «Unsere Straßen sind eigentlich eh ganz ok.»

Die 2 Baumultis: «Gut, dann fahren wir halt irgendwohin und machen eine Bundesstraße um einen Meter breiter»

Land: «Ja gut, schickts dann die Rechnung.»

Bernhard Schneider ist Ingenieurkonsulent für Raumplanung in Niederösterreich, Manager von EU-Projekten und Universitätslektor.