Report der ZukunftDichter Innenteil

Cherchez la Femme: Margaret Atwood und Elisabeth Moss im Fokus

«Mein Name ist June – ich habe vor zu überleben.» Im April letzten Jahres startete die von Elisabeth Moss und Margaret Atwood koproduzierte Serie The Handmaid´s Tale nach dem bereits 1985 geschriebenen visionären Roman von Margaret Atwood Der Report der Magd auf einer Internetplattform.

Grafik: Jella Jost

Da ich mir diese Serie, durch die Emmy Awards mit mehrfachen Preisen ausgezeichnet, unbedingt ansehen wollte und die Hauptrolle mit Elisabeth Moss besetzt ist, einer jungen Amerikanerin, die ich schon aus der ausgezeichneten Netflix-Serie Mad Men kennen und insbesondere wegen ihrer ungewöhnlichen schauspielerischen Qualitäten lieben lernte, so klickte ich mich also durch und fand endlich eine Möglichkeit, die Serie zu streamen. Ich hatte ein Woche Zeit für zehn intensive Folgen. Was dann über die Dauer einer Woche folgte, lässt sich zwar beschreiben, aber wohl nicht nachempfinden. Schon die ersten Bilder konfrontieren Zuseher_innen mit Themen, die man gerne vermeidet, verschiebt, vertagt: Repression, Totalitarismus, Folter, Tod. Beim Betrachten dieser großartigen Kamerabilder und ausgeprägten saturierten Farben, welche die gottesstaatliche Abstrusität des Inhalts und der Figuren verstärken und markieren, ahnt man rasch, dass die Serie nervlich anspruchsvoll wird. Sie zieht und zwingt und tut weh von Anfang bis zum offenen Ende. Unerbittlich. Unfassbar spannend. Unfassbar beängstigend. Ein Warnruf in den dunklen Tunnel der Zukunft hinein. Ein Schrei, der sich langsam, aber stetig entwickelt im filmischen Entwurf einer schwarzen Dystopie – der Gegensatz zur positiven Eutopie. Selbst der Filmsound unterstützt die Entfremdung durch subtile Geräusche, die uns fremd sind, wie zum Beispiel mit Vogelgesang von Vögeln in Massachusetts, die bereits ausgestorben sind. Diese laufenden Bilder öffnen die Box der Pandora, es flattert Unbehagen raus, alle Begrifflichkeiten eines Schocks, Entsetzens, Erschütterung, Fassungslosigkeit und tiefen Unruhe entsteigen – der Alltag unserer westlichen Demokratien könnte sich bald ähnlich nur mehr zwischen Zähneklappern und Kaltherzigkeit ereignen.

Warnung vor aufkommenden religiös-fundamentalistischen Totalitarismus

Was wird erzählt? Die zukünftige USA, ein doch derzeit denkbares Szenario von institutioneller Gewalt, die zur Tagesordnung, zur Normalität wird. Die Vorgeschichte wird immer wieder eingeblendet, von mal zu mal erkennt man, wie scheinbar harmlos noch alles wirkt, die Menschen noch nicht begreifen, sie weder gehen noch demonstrieren, noch trinken sie in hipper Kleidung ungeniert ihren Kaffee, noch treffen sie sich und küssen sie sich auf der Straße – noch tragen sie ein natürliches Lächeln auf den Lippen, lachen laut und leben ihr Leben mit den anderen auf gleicher Augenhöhe. Noch kuschelt June mit ihrem Partner und ihrem jungen Kind, das ihr später kaltherzig weggenommen wird und das sie nie wieder sehen wird – als plötzlich ihre Bankomatkarte nicht mehr funktioniert, sie dahinterkommt, dass ihr Konto unerwartet und plötzlich gesperrt und sie ohne Warnung gekündigt wurde. Auf Beschluss der Regierung dürfen Frauen weder einen Job haben noch ein Konto führen. Sie werden entrechtet im Sinne eines frömmelnden Reinheits-Gedankens, der im Film häufig durch weißes Ambiente symbolisiert wird. In diesem Szenario kontrolliert der Staat alle weiblichen Körper. Gnadenlos.

Das Meiste vollzieht sich leise, rasch und ohne großen Wirbel, die Rechte sind beschnitten, die Menschen werden gebrochen. Margaret Atwood schrieb das Buch als eine Warnung vor dem aufkommenden religiös-fundamentalistischen Totalitarismus in den USA. Margaret Atwood sagt in einer Podiumsdiskussion der **Huffington Post** über diesen Roman, dass er nichts anderes aufgegriffen habe, was nicht jemals in der Geschichte passiert sei, wie zum Beispiel Menschen, die vom aufgebrachten Mob zerrissen werden, oder die Tatsache, dass nach wie vor in 13 Ländern der Welt Homosexualität mit Hängen betraft wird.

June ist die Hauptfigur, gespielt von Elisabeth Moss, die man Offred nennt, also «Of Fred» «Von Fred». Sie ist Eigentum ihres Herrn, Gebärsklavin ihres bigotten Kommandanten, dessen Ehefrau, wie alle anderen Elitefrauen, unfruchtbar ist. Offred muss sich monatlich euphemistisch einer «Zeremonie» unterziehen, was schlichtweg heißt, sich vom Kommandanten im Beisein seiner Frau vergewaltigen zu lassen, gerechtfertigt sei dies durch die «Gnade Gottes». Wird Offred schwanger, hat sie Glück gehabt und wird bevorzugt. Falls nicht, würde man sie als «Unfrau» entsorgen. Es herrscht fundamentalistisch-motivierter Geburtszwang für alle noch wenigen fruchtbaren Frauen mit monatlichem Zwangs-Schwangerschaftscheck. Frauen, die widersprechen, werden gehängt oder es wird ihnen ein Auge ausgestochen. «Auge um Auge.» Eine kaputt-gewirtschaftete Welt voller Plastik-Mikro-Teilchen, die zu Fruchtbarkeitsproblemen geführt haben, offenbart sich apokalyptisch; jedoch viel realer, als man annimmt. Weichmacher, UV-Blocker, Konservierungsstoffe und Chemikalien beeinflussen heute das Schwimmverhalten der Spermien und können dadurch unfruchtbar machen. Margaret Atwood sagt dazu, dass auch in der Gesellschaft, die sie in ihrem Roman drastisch beschreibt, dafür jedoch immer nur die Frauen verantwortlich gemacht werden.

«Möge der Herr mich öffnen»

Elisabeth Moss entwickelt sich aus einer neuen, frischen feministisch selbstbewusst geprägten US-Schauspielerinnen-Generation, die unprätentiös und uneitel spielen können und das vor allem auch durchsetzen, indem sie in die Produktion involviert sind. Sie überzeugt enorm durch die starke Präsenz ihrer Figur und die Großaufnahmen ihres Ausdrucks, der alle Qualen der letzten 2000 Jahre in sich trägt. Und man kommt zu dem Schluss, dass die in diesem Albtraum lebenden Menschen tatsächlich glauben, dass sie Gutes tun. Das Glauben an und für sich entwickelt sich in der Tat schon lange zu einem großen Menschheitsproblem. Diese detaillierten alltäglichen Grausamkeiten einer theokratischen Autorität, die auch wir irgendwann erleben könnten, machen diesen Film wirklich unter die Haut gehend. Sklavenartige Zucht der Mägde, öffentlicher und tödlicher Strafvollzug der «Geschlechtsverräterinnen», Männerbünde, Ehe-Frauen der Elite-Männer, die selbst durch ihre Ehemänner bespitzelt und getäuscht werden, keine und keiner traut den anderen, religiös-fundamentalistische Floskeln beherrschen die Sprache des Films: «Unter seinem Auge», «Gesegnet sei die Frucht», «Möge der Herr mich öffnen», «Nachdenken gefährdet deine Chance». Wir sehen ein bereits völlig zerfallenes demokratisches System, ethisch, politisch, ökonomisch, das der Entfremdung des Einzelnen von der Natur, dem Staat, der Gesellschaft, der Familie sowie sich selbst geschuldet ist.

«Nicht normal ist nur das, woran man noch nicht gewöhnt ist – aber das hier wird normal werden.»

Hier ein paar dystopische Gedanken anhand der Serie, die uns zum Nachdenken anregen könnten: Verlieren wir die Utopie einer eutopische Gesellschaft, die frei von Armut, Seuchen, Krankheit, Konflikten ist und emotionaler Niedergeschlagenheit und allgemeiner Depression? Unter der Oberfläche offenbart sich langsam das Gegenteil, eine reiche Oberschicht isoliert sich in nach außen abgeriegelten luxuriösen Wohnkomplexen, während die restliche Bevölkerung unter einfachen bis elenden Bedingungen hausen wird müssen. Arbeit wird zum höchsten aller Ziele erklärt, und wer das nicht so sieht, wird mit Mindestsicherung bestraft und enteignet. Private Security und womöglich auch privates Militär der Oligarchen verteidigen das angebliche Recht des Stärkeren, insbesondere das von Männern. Das planmäßig großangelegte mediale Aufzwingen und Suggerieren von Überzeugungen, das Leben unter der Regierung sei gut und gerecht, könnte man bald noch viel öfter zu hören bekommen und die Etablierung eines Neusprech («Durchschummeln») arbeitet bewusst mit zersetzendem Vokabular. Die bevorzugte medizinische Versorgung privilegierter Schichten wird diese auch länger leben lassen. Die etablierten Kräfte bestehen darauf, dass ihrer Meinung nach, ihre Maßnahmen nur einer Wirtschaftlichkeit dienen sollen und alle Probleme durch die Kräfte des Feindes, also des Ausländers, des Flüchtlings – insofern dieser kein hochrangiger Experte oder Vermögender ist – verursacht werden. Kritik, die trotz repressiver Maßnahmen öffentlich wird, wird von der Medien- und Vergnügungskultur der Gesellschaft aufgesaugt, trivialisiert und ins Absurde verkehrt.

Diese Serie ist eine Warnung, eine Brandrede an die Jugend, sagt Moss. Die Labore des Grauens mitten in einer trivialen Verleugnung, all das ist nicht lange her. Ungarn und Polen entwickeln sich geradezu rasant innerhalb diktatorischer Prinzipien und frauen- und fremdenhassender Paradigmen. Man muss genauer hinsehen und detaillierte Geschichten hören, damit man versteht, was wirklich vorgeht. «Nicht normal ist nur das, woran man noch nicht gewöhnt ist – aber das hier wird normal werden.»