Respekt vor jedem Altertun & lassen

Altersdiskriminierung, auch Ageism genannt, ist eine oft übersehene Form der sozialen Benachteiligung, die sowohl ältere als auch junge Menschen betrifft. Die Gleichbehandlungsanwalt­schaft bietet Unterstützung an und fordert besseren rechtlichen Schutz.

TEXT: MAXIMILIAN EBERLE

Herr D. ist 59 Jahre alt und bewirbt sich um eine Ausbildung zur technischen Fachkraft in einem großen Unternehmen. Das Bewerbungsverfahren dauert insgesamt fünf Monate. Obwohl er bestens für den Job geeignet ist, teilt man Herrn D. beim letzten Bewerbungsgespräch mit, dass sein Alter ein Problem ­darstelle. Er erhält eine Absage, in der aber kein Grund genannt wird.
Herr D. wendet sich daraufhin an das Team um Sandra Konstatzky, seit 2018 Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft Wien (GAW). ­Konstatzky macht sich seit rund 20 Jahren für die Rechte von Menschen wie Herrn D. stark. Bereits während ihres Studiums spezialisierte sich die Juristin im ­Bereich Legal ­Gender Studies, um sich für die Rechte von ­Frauen einzusetzen.

Anlaufstelle.

«Zunächst ging es bei uns hauptsächlich um Geschlechterdiskriminierung», erzählt sie. Im Laufe der Jahrzehnte ist die Stelle allerdings gewachsen, aus einer einzigen Anwältin wurde eine Gleichbehandlungsanwaltschaft und heute nimmt die GAW auch Fälle bezüglich sexueller Orientierung, Ethnie, Religion und nicht zuletzt auch Alter entgegen.
Konstatzky beanstandet, dass ­viele Betroffene von Ageism – das Wort stammt aus dem Englischen und steht als Synonym für Altersdiskriminierung – weder um ihre Rechte noch über das Unterstützungsangebot der Anwaltschaft wissen. «Viele nehmen das leider einfach so hin», sagt sie. Dabei kann ungerechte Behandlung aufgrund des Alters am Arbeitsplatz bekämpft werden. «Natürlich kann ich mich nicht in einen Job einklagen, aber es gibt altersbezogene Kündigungen, die nach dem Gleichbehandlungsgesetz rechtswidrig sind.» Auch dabei spiele das Geschlecht eine große Rolle, gerade Frauen werden aufgrund ihres Alters aus Betrieben gedrängt. Das sei fatal, weil Frauen sowieso häufiger Arbeitsausfälle aufgrund von Kinder- oder Altenpflege kompensieren müssen und die Jahre vor der Pension gebrauchen könnten, so Konstatzky.
78 Prozent der von der GAW behandelten Fälle passieren im Berufsleben. Konstatzky beteuert allerdings, dass ­Alter auch in sonstigen Lebensbereichen zum Hindernis wird. Das betrifft vor ­allem den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen. In ihrem Online-Blog berichtet die GAW zum Beispiel von einem älteren Herrn, der mit seinem Sohn einen Jazzclub besuchen möchte. «Senioren darf ich nicht hineinlassen. Es ist eh zu laut», heißt es daraufhin vom Türpersonal. Der 70-Jährige wandte sich schließlich an die GAW. Doch Konstatzkys Team sind in diesem Fall die Hände gebunden. «Während das Gleichbehandlungsgesetz Altersdiskriminierung im Arbeitsleben gut abdeckt, können wir in sonstigen ­Lebensbereichen leider nicht unterstützen.» Das Gesetz schützt hierbei lediglich bei Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft oder des Geschlechts. Die GAW fordert deshalb seit Jahren eine Ausweitung des ­Gesetzes, das ­sogenannte «­Levelling-Up». Österreich ist eines der wenigen europäischen Länder, die keinen vollständigen Schutz im Gleichbehandlungsrecht bieten und so nicht in allen Lebensbereichen vor ­Alterdiskriminierung schützen.

Zu alt, nicht digital?

Die fortschreitende Digitalisierung drängt das Levelling-Up dabei zunehmend auf. Egal ob Parken, Besuche bei Ärzt:innen oder das Ticket für eine Ausstellung, vieles ist zunehmend nur noch mit dem ­Smartphone zu erledigen. In ihrer Reihe «Fall des ­Monats» berichtet die GAW vom 83-jährigen Herrn K., der mit seinem älteren Handymodell seinen Parkplatz nicht bezahlen kann und deshalb seinen Sohn zu Rate ziehen muss. Wie ihm geht es vielen älteren Menschen, die sich durch die Digitalisierung ausgeschlossen fühlen.
Die Digitalisierung ist ein Reizthema, bei dem Konstatzky Vorsicht walten lassen möchte: «Wir diskriminieren Senior:innen ebenso, wenn wir ihnen den Umgang mit elektronischen Geräten gar nicht erst zutrauen.» Natürlich können auch ältere Menschen technikaffin sein. Für jene, die dennoch auf dem Abstellgleis landen, sei es ein großer Autonomieverlust, wenn sie bei jedem Behördengang ihre Kinder oder Enkel:innen um Hilfe fragen müssen.

Mehr als Rechtsschutz.

Auch wenn die Jurist:innen der GAW in vielen Fällen nicht handeln können, Rechtsschutz ist nicht ihre einzige Aufgabe. Laut ­Konstatzky vermittelt oder schlichtet sie auch bei Konflikten im ­Arbeitsleben, was eine Gerichtsverhandlung eher vorbeugt als verursacht. Die GAW diene auch als emotionaler und persönlicher Beistand: «Uns ist ganz wichtig, dass die Leute auch einfach jemanden haben, vor dem sie ihre Diskriminierungserfahrung äußern können und der sie anerkennt.»
Gleichzeitig dient die Gleichbehandlungsanwaltschaft auch als Sammel­stelle, um jegliche Form von Diskriminierung anhand von Zahlen und Statistiken überhaupt sichtbar zu machen. Alle zwei Jahre legen die Jurist:innen dem Nationalrat einen Tätigkeitsbericht vor. Das übt nicht nur politischen Druck aus, sondern zeigt schwarz auf weiß: Diskriminierung fängt nicht erst bei verbaler oder gar körperlicher Gewalt an, Minderheiten und vulnerable Gruppen erleben sie tagtäglich. Die GAW soll Diskriminierung bekämpfen und Gleichstellung fördern. Dabei unterstützt sie nicht nur bei Fällen, sondern gibt sowohl Betroffenen als auch Verantwortlichen Auskünfte aller Art und vernetzt sich mit Stakeholder:innen. So gab es zwischen Januar 2018 und Dezember 2019 über 4.000 Anfragen an die GAW.
Zu jung für Respekt? Wenn Sandra ­Konstatzky über Altersdiskriminierung spricht, verweist sie auf «beide Richtungen». Damit meint sie, dass auch junge Menschen aufgrund ihres Alters benachteiligt werden können. Generationenkonflikte sind allgegenwärtig, es gibt gegenüber der sogenannten «Gen Z» ebenso viele Vorurteile. «Da heißt es dann zum Beispiel oft, dass sie keine Arbeitsmoral hätte und nur auf die Work-Life-Balance schaue.» Für junge Menschen eine alltägliche Aussage am Familientisch, für Konstatzky kann das ebenfalls ein Fall von Diskriminierung sein. Immerhin geht es um Vorurteile und Stereotypisierung. Und das müsse morgen noch mehr Aufmerksamkeit im Bewusstsein der Menschen finden, die ihr Verhalten heute noch als Bagatelle einstufen.
Oft gehe Ageism gegenüber jungen Menschen allerdings auch mit anderen Formen der Diskriminierung einher, was es umso schwerer macht, sie ­greifbar zu machen. So seien vor ­allem junge ­Männer mit Migrationshintergrund ­davon betroffen, an Türen in Nachtclubs abgewiesen zu werden, junge Frauen in Praktika leiden häufiger unter sexueller Belästigung. Weil viele dieser Vorfälle oft im Verborgenen passieren und keine Konsequenzen nach sich ziehen, appelliert Konstatzky auch an junge Menschen, sich an die GAW zu wenden. «Selbst wenn wir rechtlich nicht immer helfen können, ist es wichtig, die Fälle zu melden, damit wir sie sichtbar machen können.» Denn das, was sie erleben, ist nicht in Ordnung.

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