Rest in MulatschagArtistin

Klassenkampf als Mitmach-Theater:

Mit einem Nachruf auf Stefan Weber ­erinnert sich Karl Weidinger, Akteur seit 1995, an seine Zeit mit der Drahdiwaberl-Familie.

Einmal noch, ein letztes Konzert, 2009 im Gasometer, eins noch, am Karlsplatz 2013. Seine Memoiren wollte er nicht schreiben lassen (von mir). Weil er sagte, dass das Projekt Drahdiwaberl nie zu Ende sein könnte. Auf der Bühne wollte er sterben. Am besten Burgtheater, mindestens. Nix ist eingetreten. Gestorben wird daheim, das lehrt uns die Rockgeschichte. Und auch nicht unbedingt in glamourösen Verhältnissen.

Rückblende.

Juni 1996. Open Air zum Schulschluss in der Arena. Stefan Weber, noch Lehrer und weit entfernt von seiner Frühpensionierung wegen Morbus Parkinson, betritt den Raum zwecks Backstage-Besprechung. Wirkt, als wäre er am meisten happy über die kommenden Ferien. Unter dem Arm hat er kunstvoll gestaltete Programmzettel, die er zuvor am Schulkopierer vervielfältigt hat. Bei seinem klassenkämpferischen Mitmach-Theater wirken regelmäßig bis zu 50 Akteur_innen mit, und da ist der reibungslose Ablauf (har-har) im kontrollierten Chaos wichtig.

Überhaupt Stefan Weber: Kuhbuben-Böcke, Gang wie ein Cowboy, nur das Pferd fehlt, als er sich im Zentrum der Ansammlung im angegammelten Hinterbühnenbereich aufbaut. Die Gürtelschnalle groß wie das Staatswappen. Mister Drahdiwaberl himself wirft sich in Pose, räuspert sich und schraubt seine Stimmlage um eine Oktave höher. Krächzend eröffnet er die nachmittägliche Einsatzbesprechung: «Bitte Herrschaften, absolutes Scheiß-, Brunz- und Wichsverbot. Jeder, der jetz’ no muass, dearf des nur mehr auf da Bühne!»

Das sagt er regelmäßig vorher, der Herr Professor, zu dem jeder nur Stefan sagt. Das bevorstehende Konzert wird – wieder einmal – als das «letzte» angekündigt, obwohl es im vorhergehenden wie auch im drauffolgenden Jahr ebenfalls ein «letztes» Konzert gegeben hat und geben wird.

Die Feindbilder von Drahdiwaberl: Adel und Kirche, Parteien und Bonzen, Spießer und Bullenschweine sowie Nazis, Nazis, Nazis in allen Ausprägungen. Ende der 1990er-Jahre bekommt er seine Parkinson-Diagnose. Den ­70. Geburtstag, 2016 nimmt der Jubilar im Rollwagerl auf der Schmelz entgegen. Alles genau beobachtend, aber nicht mehr reagierend, außer mit Blicken.

Eine Autorität war er nie. Schüler_innen riefen bei ihm zuhause an oder nannten seine Adresse, wurden sie beim Schwarzfahren erwischt. Darüber sah er gnädig hinweg. Er wirkte nie verbittert oder gar despotisch. Ein Links-Pädagoge im besten Sinn, der zu wirklich allen freundlich war.

Letztes Konzert.

Gasometer 2009. Die Garderoben belagert mit Requisiten: Dildos, Tiermasken, Fleisch, Innereien, Theaterblut. Und Beuschl und Blunzen. Auch Hammer und Sichel immer griffbereit. Fäkalien und Exkremente, Kotze (oft) und Sperma (nicht selten) steuerten die Akteur_innen selber bei.

Im Aufgangsbereich zur Bühne großes Gedränge. Fotograf_innen gehen in Stellung. Technik wird in Plastik eingepackt wie vor einem Unwetter. Jeder Auftritt beginnt mit der Prozession, dem Einmarsch der Akteur_innen. Erste Feind_innenberührung. Kontakt mit den Fans. Platsch! Schüttbilder wie von Nitsch. Viel gespendetes Bier. Choreographie des Wahnsinns.

Vor Konzertbeginn begeht Stefan Weber sein kleines Ritual. Schon (bühnen-)fertig verharrt er hinter der mannshohen Bassbox vom Petz Fredl und lugt durch den Spalt ins Publikum. Dann dreht er seinen, von Szenefriseur Erich Joham (der als «Bürgermeister Häupl« auf der Bühne sein wird) schwarz gestriegelten Schnauzbart wie ein Gesetzloser in meine Richtung. «Warum tua i ma des an?», sagt er. Aber das würde er sich eh jedes Mal denken. «Na guat, is eh ’s letzte Konzert!»

Einmarsch! Erster kleiner Mulatschag. Stefan erhält eine Goldene Schallplatte, Nadja uriniert darauf, schüttet die im Rahmen verbliebene Pisse in die ersten Reihen des lechzenden Publikums. Die «Fanbeteiligung» immer ein Problem. Abgefeuerte Wurfgeschosse treten in den Luftraum, geschmissene Pfandbecher nähern sich in asymptotischen Flugbahnen. Beim «Grunzerl aus dem Graberl, Drahdiwaberl» machen alle mit. Manchmal wurde im Publikum zu viel mitgegrölt und «mitgefeiert», bei der ­Nazioper, bei der Werwolfromantik, beim ­ausgeflippten Lodenfreak, beim Supersheriff, beim finalen Mulatschag.

Weber wurde 2003 vor Gericht gezerrt, weil er im Rabenhof mit seinen 100 Jahre alten Colts auftrat. Er rechtfertigte sich wahrheitsgemäß damit, dass er beim Lied Supersheriff seit Jahrzehnten damit herumballern würde. Freispruch.

Mulatschag.

Was Drahdiwaberl über 40 Jahre lang auf der Bühne abhielt, ist legendär. Jahre und Jahrzehnte später habe ich einen Haufen Diskussionen geführt, ob und wie sexistisch, frauenfeindlich Drahdiwaberl – trotz gegenteiliger Intention – gewesen sei. Skandale und Provokationen, immer gerne (Heavy Metal Holocaust). Mit Lonely war er sogar in der Hitparade. Die Nummer bildet den Auftakt zum ­«Mulatschag Exzess» als krönenden Abschluss jedes Konzerts. Viele Jünglinge kamen nur deswegen.

Die letzten Jahre verbrachte Stefan ­Weber in häuslicher 24-Stunden-Pflege. Harald Huto, der Zeremonienmeister, führt mit ­Mulatschag TV (auf Okto) das Werk weiter und fördert auch viele subversive Musikgruppen. Hier könnte das Projekt Drahdiwaberl weiter bestehen bleiben – nicht nur in der Rockgeschichte. Rest in Mulatschag, Professor ­Stefan Weber.

Verabschiedung von Stefan Weber

am Freitag, 29. Juni um 15 Uhr,

in der Feuerhalle am Zentralfriedhof