Lisl Ponger parodiert die ethnologischen Museen des Nordens
Die Wiener Künstlerin Lisl Ponger hat einen ihrer Träume realisiert. Sie hat jetzt ihr eigenes Völkerkundemuseum. Wer sie kennt, weiß, dass es sich um ein surrealistisches Vorhaben handeln muss.Pongers Völkerkundemuseum lockt das Publikum nicht mit Artefakten der letzten indigenen Gruppen dieses Planeten, sondern mit Dingen, die für die aussterbende Mittelklasse stehen. Darunter Originalmöbelstücke aus dem Café Prückel. Sie könnten von selbstironischer Bedeutung sein: Ponger fühlt sich im realen Prückel wohl, unter den genießenden Noch-Mittelschichtler_innen, die spüren, dass ihre Zeit gezählt ist. Und sie fühlt sich in der Secession wohl, die ihrem parodistischen Museum vorübergehend Platz bietet.
Artgerecht ist nur die Freiheit, las ich jüngst auf eine städtische Wand gesprayt. Auf die Tiere könnte das ebenso zutreffen wie auf das Geschöpf, dem sich Ponger zuwendet, die Mittelklasse. Auch wenn deren artgerechtes Leben vorwiegend in der Freiheit des fraglosen Konsumierens begründet war. Diese genoss sie noch in den 60er, 70er, 80er Jahren. Was für das glückliche Huhn der «Freilauf», war für die/den Mittelschichtler_in die beruhigende Sicherheit, jederzeit nach Mauritius fliegen zu können (wenn auch nur einmal im Leben). Ein Zweithaus im Schilfgürtel des Neusiedlersees ging sich aus, in den Winterferien konnten ganze Mittelschichtsfamilien noch nach Schladming fahren, und es war gut möglich, dass diese Familien, obwohl sie in Wien lebten, nie im Leben einen Fuß auf den balkanisch-proletarischen Reumannplatz setzten. Die Mittelklasse wuchs in diesen günstigen Jahren, weil aus dem Proletariat mehr Menschen zuwanderten als in Richtung Oberschicht verschwanden. Die Mittelklasseangehörigen verdienten mehr als 20.000 Schilling, waren also relativ frei von Existenzängsten, und sie waren auch im politischen Sinn frei, weil sie die 68er-Revolten weltweit ermutigt hatten, Traditionen zu hinterfragen. Niemand wäre auf die Idee gekommen, die Mittelklasse in die Rote Liste der gefährdeten Arten aufzunehmen.
Lisl Ponger meint, es sei die Zeit gekommen, das zu tun (und findet dafür viele Gründe in wirtschaftswissenschaftlichen und soziologischen Analysen der gegenwärtigen Kapitalismuskrise). «The Vanishing Middle Class», die verschwindende Mittelklasse, heißt ihre Ausstellung in der Secession, deren in vier Abteilungen gegliederter Hauptbereich in ein ethnologisches Museum umgewandelt wurde. In diesem Völkerkundemuseum passiert genau das, was der Großteil der Direktor_innen der europäischen Anstalten dieser Art mit Vorliebe organisierte, um Volk anzulocken. Sie betrieben die sogenannte Rettungsethnologie, das heißt, sie dokumentierten eine vom Verschwinden bedrohte Bevölkerungsgruppe, seien es die Jenischen, die Märchenerzähler, die sich von der Luft Ernährenden, die Madeb-Maku-Indianer oder die Nachfolger_innen der Neandertaler.
«Museum für fremde und vertraute Kulturen»
Rettungsethnologie war immer auch mit Romantisierungen verbunden. Solche Ausstellungen bzw. deren Kurator_innen sympathisierten in der Regel mit den vorgeführten Rote-Liste-Gruppen bis zur Verklärung. Dem Verschwinden an sich wurde eine apokalyptische Bedeutung zugemessen, als ob es nicht dauernd um uns herum passierte (Friedrich Achleitner hat das Verschwinden nüchterner betrachtet: «Die Furie des Verschwindens ist vermutlich die liebenswerte Göttin, die die Menschen vor der Hölle des Unveränderlichen bewahrt»).
Lisl Ponger, Künstlerin, schlüpft also in die Rolle einer Völkerkundemuseums-Kuratorin. Natürlich heißt ihr fiktives Museum nicht mehr Völkerkundemuseum, auch in der Realität haben sich fast alle Museen dieser Art von der Völker-Semantik getrennt und nennen sich jetzt Weltmuseum, Museum des Menschen, Museum der Kulturen und ähnlich. Diese zeitgenössischen Bezeichnungen spiegeln nicht immer eine neue Konzeption der Vorstellung und Wahrnehmung des «Anderen», des «Fremden» wider. Oftmals trifft man auf die alten Stereotypen bei der Darstellung «exotischer» und marginalisierter Milieus. Auch Museumsgründerin Lisl Ponger geht mit der Zeit und hat ihr Projekt cool MuKul genannt – das «Museum für fremde und vertraute Kulturen».
Würde ein normales Völkerkundemuseum – etwa jenes am Wiener Heldenplatz, das inzwischen «Weltmuseum Wien» heißt – Lisl Pongers Ausstellung übernehmen, könnte es die Ironie der Künstlerin mutig als Selbstironie einer altehrwürdigen Institution ausgeben, müsste aber museumstechnisch und museumspädagogisch nichts nachbessern. Denn «fast verstörend detailgetreu», so die Presseinformation der Secession, hat sich Lisl Ponger bei der Gestaltung augenzwinkernd an das reale Museum angelehnt. Die Sammlungsobjekte weisen Inventarnummern sowie Ankaufsort und Ankaufsjahr auf, und auch die Objektbeschriftungen, die Saaltexte, die Vitrinen und anderes sind «museumsreif».
«Fetische des Kapitalismus»
Apropos Selbstironie: Das Weltmuseum Wien hat der Künstlerin für ihre Persiflage auf die Weltmuseen die Vitrinen zur Verfügung gestellt, und auch sonst schwärmt Lisl Ponger von der guten Kooperation. Lobesworte auch für die Möglichkeiten, die die Secession bietet, kaum irgendwo sonst hätte sie dieses Projekt verwirklichen können, das sie seit fünf Jahren im Kopf herumträgt und für welches sie vor rund einem Jahr begonnen hat, Objekte zu sammeln, eben Artefakte der bedrohten Art Mittelschicht. Theoretisch könnte Ponger das Inventar der üblichen völkerkundlichen Darstellungen aussterbender indigener Völker zwischen brasilianischen und papuanischen Regenwäldern quantitativ weit übertreffen, denn die Mittelklasse urasst per definitionem mit Dingen. Von einem Großteil der Ausstellungsstücke in den ethnologischen Museen Europas ist nicht bekannt, wie sie genau in den Besitz dieser Institute kamen; man kann annehmen, dass es sich nicht um Tauschakte zwischen Menschen «auf gleicher Augenhöhe» handelte. Bei der Betrachtung von Pongers Artefakten muss man sich diese Skrupel, was die Beschaffung betrifft, nicht machen. Die Beschilderungen verraten, wo sie vor allem fündig wurde: bei den Online-Anbietern eBay und Willhaben.
«Dieses Sammeln hat mir sehr viel Spaß gemacht im abgelaufenen Jahr», sagt die Künstlerin, und man kann das gut nachvollziehen: «The Vanishing Middle Class» und ihre Objekte sind eine dreidimensionale Enzyklopädie voller witziger Einfälle.
Ein Exponat für das Mittelschicht-Phänomen «Tea Party» ist ein runder blechener Ansteck-Button mit der Hauptbotschaft «Right Wing Extremist – and proud of it» (rechtsradikaler Extremist – und stolz darauf), und die kürzestmögliche Zusammenfassung des Tea-Party-Programms: «I am pro-Life. I believe in God. I support states rights and a limited federal goverment. I am pro-Gun. I oppose Obamas unwarranted spending. I believe that marriage is between a man and a woman. I’m a constitutional originalist. I support border enforcement. I think socialism sucks. I’m republican.» Die Schrift für diese missionarische Botschaft ist naturgemäß so winzig, dass man dem realen Gegner von Homosexuellen-Ehe, Abtreibung und Sozialismus, dem Fan von Gewehren und der biblischen Schöpfungslehre an die Brust gehen müsste, um sie zu lesen.
Hurrah, die Bank ist kaputt
In der Vitrine, in der «Statussymbole» gesammelt sind, sieht man neben Parfums, einem Gucci-Lederdamenschuh, einem Dior-Halstuch oder einem Tiffany-Weltaltlas in Leder auch Fotos, die für Dinge stehen, die eigentlich auch in der Vitrine vorhanden sein müssten, aber «entliehen» wurden. Beim Foto eines iPhones mit der MuKul-Inventarnummer 125.327 steht zum Beispiel: «Verliehen an das Nationalmuseum in Pjöngjang, Demokratische Volksrepublik Korea, für die Ausstellung «Fetische des Kapitalismus»». Wir haben viel gelacht, sagt Lisl Ponger, und mit «wir» meint sie unter anderem die Kuratorin Jeanette Pacher.
Mein Lieblings-Artefakt ist eine Postkarte aus England aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie zeigt die Ruinen der Bank of England. Das Motiv wurde von Joseph Gandy gemalt und imaginiert die Zukunft der britischen Spitzenbank. Der Künstler lehnte die Darstellung der zerstörten Bank an eine römische Ruine an, um zu einem Vergleich mit dem untergegangenen römischen Imperium anzuregen. Es wär‘ schade um das Gebäude, man könnte daraus das führende MuKul der Erde machen. Dennoch: Die Vision der zerstörten Banken finden nicht nur die schwarzen Blöcke unserer Städte schön …
Info:
Lisl Ponger, The Vanishing Middle Class
Secession, Friedrichstraße 12, 1010 Wien
Die Ausstellung ist bis 30. März zu sehen.
Führungen an Samstagen (15 Uhr) und Sonntagen (11 Uhr)
www.secession.at