Jugendliche protestieren für sinnvolle Klimapolitik
Eine Jugendbewegung kämpft ums Klima. Nach dem Beispiel von Greta Thunberg streiken Schüler_innen weltweit jeden Freitag für eine Klimapolitik, vor der sie keine Angst haben müssen. Lisa Bolyos (Text) und Michael Bigus (Fotos) haben einen Freitag am Heldenplatz verbracht.
«What do we want? Climate Justice! When do we want it? Now!» Sprechchöre erschallen über den Heldenplatz, so laut, dass der Erzherzog Karl auf seinem Pferterl wackelt. Bis zu 150 Schüler_innen finden sich hier seit Dezember jeden Freitag ein, um in den Klimastreik zu treten. «Weil das Klima unsere Zukunft ist, und unsere Zukunft müssen wir beschützen», sagt Karla aus dem Gymnasium Klostergasse: «Wenn’s die anderen nicht machen, machen wir’s eben selber.» Genauso sieht es der 13-jährige Lasse: «Der Klimawandel zerstört halt unsere Zukunft. Und weil viele ältere Leute das vertuschen wollen, müssen wir uns drum kümmern.»
Uns geht die Zeit aus.
So simpel ist auf den Punkt gebracht, wieso die Jugend revoltiert: Nicht «No future!», sondern «Hands off our future!» ist ihr Motto. Umweltschutz, Tiere, eine saubere Natur – das sind Themen, die Jugendliche und Kinder aller Generationen berühren. Aber diese Generation hat einen Weg gefunden, ihr Anliegen politisch zu formulieren. Fridays for Future nennen sich die Initiativen, die weltweit Schüler_innen und Student_innen auf die Straße bringen, um eine radikale Wende in der Klimapolitik zu fordern. «Rettet die Wale, und stürzt das System», sang Gustav 2004. Genau um diese Spange zwischen Ökobewusstsein und Wunsch nach Überwindung des Kapitalismus geht es hier.
Die Klimastreiks der Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind eine der größten und beeindruckendsten Selbstvertretungsbewegungen, die Europa zurzeit erlebt. Und ihre Forderungen sind weder naiv noch utopistisch: Fragt man sich am Heldenplatz durch die junge Menge, dann geht es um ein besseres Verkehrssystem, ein Ende der fossilen Brennstoffe, gesunde Ernährung, um die globale Ungerechtigkeit der Umweltverschmutzung und darum, dass Geld nicht so wichtig ist wie der Erhalt des Planeten. «Man muss diese Profitgier stoppen», sagt Kim, 20, die «Vegan 4 Change» auf ihr Schild geschrieben hat. «Die Politiker müssen erkennen, dass das hier echt wichtig ist, weil uns die Zeit ausgeht.» Und Dominik, der an der Universität für Bodenkultur Umwelt- und Bioressourcenmanagement studiert, moniert, dass « Regierungen und Unternehmen nur noch auf Profit, Profit, Profit schauen und nicht merken, dass sie unseren Planeten komplett ausbeuten.» Dann, mit einem frustrierten Kopfschütteln: «Oder sie merken’s eben schon, aber es ist ihnen wurscht. Der Klimawandel wird einfach überhaupt nicht ernst genommen.»
Alle lieben Greta.
«Ich will die Führer der Welt nicht um unsere Zukunft anbetteln. Ich werde stattdessen die Menschen auf der ganzen Welt bitten, zu erkennen, dass unsere politischen Führer versagt haben.» Die Rede, die die sechzehnjährige Greta Thunberg im vergangenen Dezember beim UN-Klimagipfel in Katowice hielt, ging um die Welt. Greta, die im August letzten Jahres im Alleingang begonnen hat, im Namen des Klimas die Schule zu bestreiken, ist Inspirationsfigur dieser Jugendbewegung: «We ♡ Greta», steht auf der Trommel der rosa gekleideten Truppe von Rhythms of Resistance, die am Heldenplatz Sprechchöre und Stimmung stärkt, während die Protestierenden wie bei einer Picket Line im Kreis gehen. In Katowice hat Katharina Roggenhofer Thunberg mit ihrem «Skolstrejk för klimatet» live erlebt. «Sie hat sich im Konferenzzentrum hingesetzt mit ihrem Schild und hat gestreikt; da haben wir gesagt, in Österreich muss auch was passieren.» So hat Katharina mit zwei Freunden in Wien den Startschuss für Fridays for Future gegeben.
Was ist in Katowice passiert? Auf der 24. UN-Klimakonferenz wurde ein Regelwerk erstellt, das dem Pariser Klimaabkommen aus dem Jahr 2015 zur Umsetzung verhelfen soll. «Wie werden Emissionen berechnet? Wie muss berichtet werden? An wen? Wann? Und so weiter. Notwendiges Handwerkszeug», beschreibt die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb das sogenannte «rulebook». Ob solche Regeln als Ergebnis reichen, wagt sie aber zu bezweifeln: «Angesichts der global steigenden Emissionen wären Nachbesserungen hinsichtlich der Verpflichtungen der einzelnen Länder dringend nötig gewesen. Da war aber weder das Vorsitzland, Polen, noch der EU-Vorsitz, Österreich, ambitioniert.»
Ökologisch muss sozial sein.
«Der Staat müsste dringend die Rahmenbedingungen schaffen, die klimafreundliches Handeln attraktiver machen als klimagefährdendes», fasst Kromp-Kolb die ganze Komplexität der Klimapolitik auf eine einfache Formel zusammen. Damit Österreich die Klimaziele erreicht, muss vor allem beim motorisierten Individualverkehr, bei der Versiegelung von Flächen und bei Energieerzeugung und -effizienz das Ruder herumgerissen werden. Ein Schritt in die richtige Richtung wäre die Besteuerung fossiler Energieträger. Katharina von Fridays for Future hält so eine ökosoziale Steuerreform für unumgänglich: «Wenn man die Industrien besteuert, die am meisten ausstoßen, gibt das nicht nur einen Anreiz zum Klimaschutz, sondern bringt auch Geld in die Staatskassen, um beispielsweise den öffentlichen Verkehr auszubauen und gleichzeitig billiger zu machen.» Denn eine ökologische Wende muss mit sozialer Gerechtigkeit einhergehen, ist sie überzeugt: «Man sieht bei der Gelbwestenbewegung in Frankreich, dass eine CO2-Steuer allein zu wenig ist. Man muss das Paket so schnüren, dass die sozial Benachteiligten nicht noch mehr belastet werden.» Denn paradoxerweise belasten sowohl der Klimawandel als auch eine Vielzahl klimafreundlicher Maßnahmen – weil die Kosten dafür abgewälzt werden – die Armen mehr als die Reichen. Obwohl wenig überraschend die Reichen für den Klimawandel viel mehr Verantwortung tragen.
T-Shirts im Februar.
Save the Planet, steht in großen weißen Buchstaben auf Reas Hoodie. In der Hand trägt sie ein Schild mit der Forderung: «Climate Justice!» Was Klimagerechtigkeit ist, kann sie nicht genau erklären, allerdings wäre sie mit zwölf Jahren auch reichlich jung für ein profundes Verständnis der ökosozialen Frage – das selbst vier- oder fünfmal so alten Leuten oftmals abgeht. Den Klimawandel aber, sagt Rea, «erkennt man daran, dass es im Februar so heiß ist, dass man im T-Shirt herumrennen will», und das ist nicht, «wie es eigentlich sein sollte».
Christian Maier vom Sonnblick Observatorium sieht das genauso: «Klimawandel ist die Veränderung unseres natürlichen Wettergeschehens über einen längeren Zeitraum.» Erzherzog Karl und sein Pferd haben die ersten Temperaturaufzeichnungen, auf die man sich heute bezieht, übrigens nicht mehr erlebt, denn die wurden erst 1886 erstellt. Mit dieser über mehr als 150 Jahre geführten Datenreihe ist ein signifikanter Temperaturanstieg nachweisbar. «Und auch die Treibhausgasemissionen steigen merklich an.» Am Sonnblick Observatorium widmet man sich dem Sphären-ABC: Atmosphäre, Biosphäre und Cyrosphäre haben je ihren eigenen Forschungsbereich. Christian Maier ist hier für die Wartung der Messgeräte zuständig und für die Prüfung und Verarbeitung der gemessenen Daten.
Kann man den Klimawandel messen? Man kann, sagt Maier. «Der natürliche Treibhauseffekt ist eine wichtige Komponente für unser temperiertes Klima. Ohne Treibhauseffekt würde zum Beispiel die globale Mitteltemperatur nicht bei 15°C, sondern bei –18°C liegen. Von der Erde abgestrahlte Wärme wird von den sogenannten Treibhausgasen – Wasserdampf, Kohlendioxid, Methan etc. – aufgenommen und wieder Richtung Erde abgestrahlt. Dieses Phänomen kann aus dem Gleichgewicht gebracht und verstärkt werden, wenn von einem der genannten Gase mehr zugeführt wird.» Im aktuellen Fall, in dem wir es mit einer Wirtschaftsweise zu tun haben, die auf der Verbrennung fossiler Brennstoffen beruht, ist das Problem-Gas vor allem CO2. Das Resultat ist ein Anstieg der mittleren Temperatur – das zitierte «T-Shirt im Februar».
«Wir müssen einschreiten, damit wir in der EU das 1,5-Grad-Ziel erreichen», sagt Maria. Sie geht ins Gymnasium in Wolkersdorf. «Das ist ziemlich wichtig, weil es um unsere Zukunft geht.» Das 1,5-Grad-Ziel bezeichnet den maximalen Anstieg der globalen Mitteltemperatur, bei dem die Klima- und Sozialforschung heute davon ausgeht, dass seine Auswirkungen noch eindämmbar wären. Mehr Grad kann sich die Zukunft nicht leisten.
Opapas Sorgen.
Aber die Jugend sorgt sich nicht allein. Wolfgang hat auf sein Schild geschrieben: «Grandparents for Future». Vor einem Monat, erzählt er, ist sein Enkel auf die Welt gekommen. «Wenn der so alt ist wie ich, ist 2084. Was hat der dann für eine Welt vor sich? Wenn ein Climate Change kommt, keine gute.» Wolfgang war 36 Jahre lang Lehrer, «und jetzt, wo die Jugend aufwacht, hab ich das Bedürfnis, sie zu unterstützen.»
Unterstützen will auch Helga Kromp-Kolb. «Ich finde es ganz großartig, dass die jungen Leute ihre Sorge artikulieren. Wir Wissenschaftler_innen sind in Kontakt mit ihnen und haben zum Beispiel angeboten, an den Freitagen für Vorträge während der Demos zur Verfügung zu stehen.» Außerdem haben Wissenschafter_innen in Österreich, Deutschland und der Schweiz mit der Initiative #Scientists4Future eine Unterstützungserklärung für die Ansinnen der Jugendlichen veröffentlicht. Umgekehrt muss es für die Klimaforschung ein Segen sein, dass endlich jemand ihre Ergebnisse auf bunte Pappschilder schreibt und zu politischen Forderungen macht. Am 15. März findet auf der ganzen Welt ein gemeinsamer Klimastreik statt. Möge ihm der Erfolg beschert sein, dass der Klimawandel dann endlich ernstgenommen wird. Weil, so Karla: «Wenn’s dem Klima nicht gut geht und der Welt nicht gut geht, dann ist alles andere auch egal.»
Termine:
Weltweiter Klimastreik, Großdemo
Fr, 15. März, 11 Uhr, 1., Heldenplatz
Klimaprotest: Zukunft für Alle – Alle für die Zukunft!
Fr, 5. April, 17 Uhr, 6., Christian-Broda-Platz