Rettet Fannys Grabvorstadt

FLANERIE abseits der Tourismusrouten (11): Währinger Friedhof

2006 -in Österreich feiern „wir“ das Mozartjahr. TausendeTouristInnen klappern die Mozart-Sehenswürdigkeiten ab. Das Mozartgrab im St. Marxer Friedhof gehört dazu, der als „der letzte erhaltene Biedermeier-Friedhof von Wien“ bekannt ist. Dass es in Wien einen zweiten, ebenso historisch wertvollen Friedhof aus dieser Zeit gibt, ist weder vielen Einheimischen noch den BesucherInnen bekannt. Es ist der Jüdische Friedhof in Währing.Wer mit der Stadtbahn fährt und vor der Station Nussdorfer Straße, stadtauswärts, angestrengt aus dem Fenster schaut, bekommt einen Augenblick lang Sicht auf einen der schönsten Orte von Wien.

Schönheit ist nicht alles. Der Währinger Friedhof ist eines der wenigen realen Zeugnisse der längst vergangenen Kultur des Wiener Judentums des 19. Jahrhunderts. Seit der Sanitätsreform 1784 bis zur Gründung des Zentralfriedhofes 1874 war dieser Friedhof im 18. Wiener Gemeindebezirk die Begräbnisstätte von allen in Wien verstorbenen Jüdinnen und Juden. Dort liegen die Gräber von Berühmtheiten wie Fanny von Arnstein, die einen frühen literarischen Salon führte (und die Tradition des Weihnachtsbaums nach Wien gebracht hat), Heinrich Ritter vonSichrowsky (Direktor der Kaiser-Ferdinand-Nordbahn), Jonas Freiherr vonKönigswarter (Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde und Mitbegründer der Creditanstalt), die Vorfahren von Johann Strauß und viele andere.

Während der Ortsfriedhof Währing dem Währinger Park weichen musste, blieb der jüdischeTeil des Friedhofes bestehen. In der jüdischen Religion sind die Gräber laut religösem Gesetz Eigentum der Toten und somit unantastbar. Ein Grab in einem jüdischen Friedhof muss auf ewige Zeit bestehen bleiben. In der Nazi-Zeit wurde ein großer Teil des Friedhofes zerstört, um Platz für einen Löschwasserteich zu machen. Für die Exhumierungen der Gräber wurden ZwangsarbeiterInnen eingesetzt. Wie sehr dies von den Betroffenen als Folter erlebt wurde, muss wohl nicht eigens betont werden.

Die ausgehobenen Gebeine wurden für nationalsozialistische, pseudowissenschaftliche Forschungen verwendet. Die meisten sind verschwunden, viele wurden bis in die 90er Jahre im Saal XVII des Wiener Naturhistorischen Museums (dem „Rassensaal“) und im Narrenturm im Alten AKH zur Schau gestellt. Im Letzteren befinden sich noch heute ein Schädel mit der Aufschrift: „Hebräer“. 60 Jahre nach der Shoa wäre es wohl an der Zeit, den geschändeten Überresten der Verstorbenen die ihnen gebührende Ehre zu erweisen, anstatt weiterhin nur die Gräber von“Nazihelden“ zu pflegen.

Als „Vogelschutzgebiet“ durch die Nazizeit gerettet

DieTatsache, dass der jüdische Friedhof in Währing die Zeit des Nationalsozialismus zum größten Teil unbeschadet überlebt hat, ist der Initiative eines Wiener Beamten zu verdanken, der die Fläche als Vogelschutzgebiet meldete und sie so vor dem Hass der Nazis schützte.

Auf dem zerstörten Teil des Friedhofes errichtete die Stadt Wien in den 50er Jahren, ungeachtet ihrer vorangegangenen Zusicherung, die Grünfläche zu bewahren und nicht zu überbauen, einen Gemeindebau. Dieser ist makabererweise nach dem jüdischen Schriftsteller Arthur Schnitzler benannt.

Neben dem Gemeindebau und dem Friedhof führt die Billrothstraße vorbei, benannt nach dem Mediziner und Antisemiten Dr. Theodor Billroth. Ein klassisches Beispiel österreichischer „Konsequenz“.

Die romantische Stimmung täuscht nicht über den katastrophalen Zustand des Friedhofes hinweg. Umgefallene Bäume und Äste liegen auf umgerissenen Grabsteinen, eingestürzte Gruften, durch Wildwuchs nicht mehr erkennbare Wege. Die Inschriften auf den Sandstein-Grabmälern sind durch die Witterung kaum mehr entzifferbar.

Die Israelitische Kultusgemeinde kann die Pflege der Tausenden sich in Österreich befindenden Gräber nicht übernehmen. Die Stadt Wien stellt zwar Mittel für jüdische Begräbnisstätten zur Verfügung, sie reichen aber für eine Gesamtrestaurierung des Friedhofes in Währing nicht aus. Notwendig wäre hier zunächst eine einmalige hohe Investition für eine gründliche Renovierung. Im Rahmen der Restitutionsverhandlungen hat sich die Republik Österreich im „Washingtoner Abkommen“ 2001 dazu verpflichtet, „zusätzliche Unterstützung für die Restaurierung und Erhaltung aller jüdischen Friedhöfe in Österreich“ zu leisten. Trotzdem fühlt sich niemand verantwortlich. Der zweite Wiener Friedhof des Biedermeier bleibt weiterhin geschlossen und dem totalen Verfall überlassen. Sein zukünftiges Schicksal ist ungewiss.

WÄHRINGER FRIEDHOF

Semperstraße 64A/ Schrottenberggasse

1180 Wien

Für BesucherInnen:

Anmeldungen der technischen Abteilung der IKG

Tel.: (01) 53 104-235

Besichtigungen sind aus sicherheitstechnischen Gründen nur gegen Voranmeldung und nur im Rahmen von geführten Touren möglich.

Quellen: Charles E. Ritterband,“Wiens vergessener jüdischer Friedhof“. In: NZZ 15. 2. 2006 (S.7)

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