Ausstellung «Arabic Graffiti»: der blaue BH als Fahne
Die Ausstellung «Arabic Graffiti» dokumentiert die Freude an der Gestaltung des öffentlichen Raumes im Zuge der Revolutionen in Tunesien, dem Libanon und Ägypten. Die Erinnerungsbilder an «das Mädchen mit dem blauen BH» vom Tahrir-Platz in Kairo dokumentieren hingegen die fortdauernde Gewalt. Ein Gespräch mit dem Street-Art-Künstler El Teneen. Von Kerstin Kellermann.
El Teneen ist ein Künstler, der im Laufe der Revolution in Ägypten sehr bekannt wurde – durch die Bilder, die er auf die Wände malte. Er war eigentlich kein Künstler bis zur Revolution, als er, wie viele andere auch, das Bedürfnis verspürte, seine Meinung auf der Straße kundzutun. Oft fotografiert und wiedergegeben wurde sein Schachspiel mit allen Bauern auf einer Seite, während der König als Einziger umgefallen ist. Das Schachbrett ist in Rot und Weiß angelegt, das Rot steht für die blutigen Zusammenstöße. Im Wiener Weltcafé in der Schwarzspanierstraße kann man sich in der Ausstellung «Arabic Graffiti», veranstaltet von der NGO «kulturen in bewegung», dieses Schach-Sujet anschauen. Leider nur ziemlich klein.
«Wie verarbeitest du die Trauer und die Enttäuschung, wenn du siehst, was aus der ägyptischen Revolution geworden ist?», frage ich El Teneen. Der Künstlername bedeutet «Drache». «Sarkasmus ist die Waffe unserer Wahl», antwortet er. «Sonst wäre das alles viel zu viel, um es nehmen zu müssen.» Hinter El Teneen hängt ein weiteres Bild an der Wand, ein Schablonen-Graffito eines Mädchens in Rot und Blau. «Das ist keine Superfrau», sagt der ägyptische Künstler und schaut tief in sein Bierglas. «Das ist das Mädchen mit dem blauen BH.» Weiter sagt er nichts. Dann schaut er mich vorwurfsvoll an: «Wieso kennst du die nicht? Der Vorfall war doch überall in den Medien?» Mir schwant Übles. «Ist das Bild nach einer realen Person?», frage ich. «Ich kannte sie. Sie hatte sehr viel Angst. Sie ist verschwunden», sagt er, schnappt sein Bierglas und rennt davon. Als ich ihn wieder aufspüre in dem überfüllten, lauten Lokal voll fröhlicher Kids, sagt er: «Die Soldaten dachten wahrscheinlich, sie wäre eine Prostituierte, weil sie einen blauen BH trug. Deswegen haben sie sie so behandelt.» Ich verstehe nur Bahnhof. «Vielleicht mochte das Mädchen einfach die Farbe Blau», antworte ich.
Der Film des Unbekannten über die Folterung der Unbekannten
Später bei Recherchen im Internet (Achtung Triggergefahr!) wird klar, was El Teneen andeutet. Die Bilder sind schwer auszuhalten. Eine ganze Gruppe in schwarze Rüstungen gekleideter Soldaten schlagen bei einer Demonstration auf eine junge Frau ein, einer springt sogar auf sie, dann zerren sie die Bewusstlose quer über den Platz. Ihr schwarzer Umhang ist weggerissen worden und man sieht ihren BH hellblau leuchten. Es sind Horror-Bilder, die ein Unbekannter aus großer Distanz filmte und ins Netz stellte. «Wie alt war sie?», frage ich. «Fünfzehn?» «Jünger», antwortet er knapp und verschwindet in Richtung «Restrooms». Als er wiederkommt, bestellt er sich noch ein Bier.
Dass Graffiti- und Street Art-Künstler_innen wenig reden und mit Journalist_innen schon gar nicht, erfahre ich erst später aus der Literatur. Da sie oft im öffentlichen Raum sozusagen illegal agieren, bewahren sie ihre Identität eigentlich fast immer geheim. Außer sie werden vom Kunstmarkt entdeckt.
Was die Frau im blauen BH betrifft, die zum Symbol des Widerstandes wurde, gibt es widersprechende Meldungen. Im Internet zirkulieren einige Versionen. Manche Informationsträger meinen, das Mädchen wurde an Ort und Stelle von den Schergen des neuen ägyptischen Regimes getötet, andere glauben, die Soldaten hätten sich das nächste Opfer gesucht und die junge Frau liegengelassen. Der Film endet nämlich abrupt und man sieht nicht, was mit dem (toten?) Mädchen weiterhin geschah. Sie ist verschwunden und niemand weiß, ob sie noch irgendwo lebt.
El Teneen betont, dass er kein Flüchtling sei, sondern ein Künstler. Er arbeitet gerade an einem Projekt mit jungen syrischen Flüchtlingen in Berlin. Bilder findet er spannender als Wörter, er will über Bilder Geschichten erzählen. Gefragt, was die Schrift unter dem Graffito mit dem Mädchen im blauen BH bedeutet, lächelt er plötzlich: «Revolution is ongoing.» Das klingt romantisch und hoffnungsfroh zugleich. Mehr Interpretation ist ihm nicht zu entlocken.
«Als die Konterrevoltion mit den Ereignissen endlich mitkam und ihre Panzer auf den Tahrir-Platz in Downtown Kairo rollten, waren die Panzer bereits von oben bis unten mit Graffiti bedeckt», schreibt Magdy el Shafty in dem Buch «Arabic Graffiti», das Don Karl aka Stone und Pascal Zghobi in Berlin herausgaben. Der Text ist mit «Ministerium der Propaganda der Revolution» betitelt. Abu al-Hasan al-Harawi, ein Reisender des 13. Jahrhunderts, der seinen Namen in jede Stadt, die er besuchte, schrieb, war der erste dokumentierte Graffiti-Schreiber. Mittlerweile gibt es Graffiti in den großen Flüchtlingslagern in Jordanien, Syrien und dem Libanon. In Beirut benutzten zuerst Kämpfer und Soldaten Graffiti, um ihre Slogans und Propaganda zu sprühen, erst viel später die Künstler.
«Ein Typus des Graffito, der zumeist mit Revolutionen assoziiert wird, ist das Schablonen-Graffito», schreibt Tala F. Saleh. «Diese Schablonen waren ein Beweis für die Existenz und markierten das Territorium. Sie zeigten, was in den Herzen und Köpfen derer los war, die direkt in den Krieg involviert waren.» Wände voller Schußlöcher wurden bearbeitet, auf den Autobahnen quer durch Beirut ist «Who is the Arab» gesprüht. Am Tahrir-Platz stand groß «People demand the Trial of the Butcher» geschrieben. In Graffiti und Street Art würde man einen Traum sehen, steht im Buch, zu dem es noch keine Theorie gibt. Ein Traum, der immer wieder neu artikuliert wird. «Diese Stimmen werden weiß übermalt werden, aber sie werden wieder geäußert werden.»
INFO:
Die Ausstellung im Weltcafé, 1090, Schwarzspanierstraße 15, läuft bis 7. Mai.