Revolutionärer Rabbitun & lassen

Jüdische und europäische Geschichte in Triest

Hafenstadt Triest. Von geklautem ­jüdischem Eigentum, das in Klagenfurt landete, von Geflüchteten aus Korfu und von den Lebensgeschichten der Mitreisenden ­erfuhren Kerstin Kellermann (Text) und ­Heidi Sequenz (Fotos) im Triestiner ­Jüdischen Museum.

«Am Anfang war das Wort» steht groß auf einer Wand. Daneben eine Erklärung, warum der jüdische Kalender auf dem babylonischen basiert. Der fröhliche Rabbi im Jüdischen Museum in Triest, ­Ariel Haddad, wurde aus Rom in die italienische Hafenstadt geschickt, um die nach der ­Shoah verbliebenen sowie neu zugewanderte Jüd_innen zu betreuen. «Nirgends wurden die Juden so gut behandelt wie in Triest und im Habsburger Reich», leitet Haddad seinen Vortrag ein. Durch das Toleranzpatent von 1771 durften sich Jüd_innen in Triest ansiedeln. Typischerweise ist die erste erhaltene Urkunde ein Register der Geldleiher, denn «die Juden mussten dem katholischen Staat versprechen, dass sie den Beruf des Geldleihers ausüben. Sonst mussten sie gehen.» Die zweite Urkunde ist eine «Circular Verordnung» des Appelationsgerichtes von 1790 aus Klagenfurt: Jüdische Arrestanten müssen am Sabbath nicht arbeiten, steht da lakonisch. Mehr erfährt man nicht.

Die jüdische Gemeinde wuchs mit dem Hafen und der Stadt mit, Triest wurde «ein Schlüsselort für die ökonomische Macht der Habsburger». 1867 erhielten die Mitglieder der jüdischen Gemeinde endlich die bürgerlichen Rechte. «Juden beginnen in die High Society aufzusteigen und verlieren ihre Tradition», meint der kapitalismuskritische Rabbi. Als Beispiel zeigt er auf ein Foto des Schächters Carlo Marco Morpurga de Nilma mit langem Bart und orientalischem Kleid, dessen Enkel nicht mehr jüdisch seien. «Es gibt eine starke Verbindung zwischen Reichtum und dem Abfallen vom Glauben», behauptet er.

Die Geburt von Marx. «

Was ist der nächste Schritt, wenn Leute Reichtum erlangt haben? Sie gehen in die Politik.» Es geht im Zeitraffer dahin: «Durch den Ersten Weltkrieg wurden die Familien geteilt in pro Habsburg oder pro Italien. Ein Tabuthema ist auch, dass einige Juden anfangs mit ein paar Ideen des Faschismus einverstanden waren, denn Mussolini war zu Beginn noch Zeitungsredakteur und Journalist von ‹Avanti›, einer sozialistischen Zeitung. Der Faschismus wurde aus dem Sozialismus geboren.» Eine heftige Behauptung, die der Rabbi aber gleich ergänzt, sogar mit einem Lachen: «Wir haben Marx geboren, aber wir haben auch das Recht auf den rechten Flügel», sagt er. «Das ist die Realität.» Zwischen 1934 und 1938 wurde das Triestiner Ghetto zerstört, die «renovierende Axt» vernichtete unter anderem drei kleinere Synagogen. Die Synagoge in der Via San Franzisco 19, die sephardische Einflüsse zeigt, blieb erhalten. 1943 rettete der Sekretär der Jüdischen Gemeinde einige Mitglieder: «Er leerte die Kasse und gab das Geld den Leuten, damit sie sich retten konnten.» Erfolgreich versteckte der Sekretär die religiösen und traditionellen Gegenstände in einem «wall room», in dem sie nach dem Krieg gefunden wurden. Der Rabbi muss erst kurz nachdenken, wie dieser Sekretär hieß, denn in der Dauerausstellung erinnert (noch) nichts an ihn. Carlo Trevis! «Er wurde in Auschwitz ermordet. Carlo Trevis war der letzte Mann auf der Brücke, er sank mit dem Schiff.» Von ursprünglich 7000 Jüd_innen leben derzeit nur noch 500 in Triest. Die meisten ihrer Vorfahren kamen 1898, als sie vor einem Pogrom von der Insel Korfu flüchteten. «Alte, arme Menschen, die mit Schiffen kamen.»

Geklautes Eigentum.

«La Shoah Triestine» wurde dann so organisiert, dass Jüd_innen als Ausländer_innen deklariert wurden und folglich als in diesem Krieg als zum «Feind» gehörig. Ein Teil des konfiszierten Eigentums der jüdischen Gemeinde Triest fand sich nach dem Krieg in Klagenfurt wieder. Die Alliierten brachten es nach Italien zurück, Rom gab einen kleinen Teil davon wieder an Triest, den man heute in einem Schaukasten ansehen kann. Der Museums-Raum für die in der Shoah Ermordeten ist mit Hilfe von Holzkästen montiert. Ein enger Teil des Raumes ist abgetrennt und es sieht wie in einem Schiff aus. Fotos und Dokumente liegen auf Holzbalken: Amina Marcella Zaban wurde über die Risiera di San Sabba, das Triestiner KZ in der alten Reisfabrik, nach Auschwitz deportiert. Nach Aufenthalten in Neustadt-Glewe und Ravensbrück ist sie die einzige Überlebende ihrer Familie. Ihre Mutter Lucia Coen stammte aus Korfu, ihr Vater war der Rabbi von Venedig. Aus Rijeka flüchtete Laura Romano mit ihren neun Kindern. Ihr offizieller Flüchtlingsausweis ist in dem Raum ausgestellt – sie sieht auf dem Foto sehr jung aus.

Nach dem Museumsbesuch legen einige aus der Reisegruppe des Vereins Gedenkdienst ihre eigene Vergangenheit offen. Im Café mit Ausblick auf die wunderschöne Synagoge werden Lebensgeschichten ausgebreitet. Schorschis Mutter flüchtete mit 21 Jahren alleine vor den Nazis nach England und verliebte sich dort in einen Wiener Schauspieler. Ergebnis war Schorschi, der erst mit sieben Jahren nach Wien zog. Seine Mutter war die einzige Überlebende ihrer Familie. Malcis slowenische Mutter wurde ausgesiedelt und erholte sich von dieser Nazi-Zwangsmaßnahme nie mehr. Der Nachfahre eines Nazis, der den Juden «Sachen wegnahm», will hingegen nicht, dass man über ihn schreibt. Auch wenn er seinen Erzeuger nur einmal als Kleinkind sah. Die Vergangenheit ragt in die Gegenwart herein und ist noch längst nicht abgeschlossen.