«Richtige Christen»vorstadt

Die sogenannte Holic-Gruppe ist eine nicht anerkannte religiöse Gemeinde. Das Sozialgrab des angeblichen Gründers befindet sich am
Wiener Zentralfriedhof. Es verlor am 31. Jänner das Nutzungsrecht und steht nun frei zur Neuvergabe.

Text: Viktor Wenger
Fotos: Michael Bigus

Diese Gemeinschaft, formiert in Wien und im letzten halben Jahrhundert durch ganz Mittel- und Osteuropa verbreitet, verschwand über das letzte Jahrzehnt spurlos aus den Medien. Weltweit zählt sie laut Schätzungen 100 bis 150 Mitglieder. Glaubensgeschwister seien alle Menschen, die «mit einem offenen Herzen die Bibel lesen». Konkrete Wohngemeinschaften finden sich etwa in Deutschland, Polen, Ungarn, den Niederlanden oder in Indien. In Wien gibt es immer noch eine kleine, aber starke Gemeinde. Ein Kontakt ist über einen der diversen Onlineauftritte einfach herzustellen, und so war es auch möglich, ein Treffen mit zwei Mitgliedern zu vereinbaren. Die beiden möchten allerdings in keiner Veröffentlichung erwähnt oder zitiert werden. In vergangenen Berichten sei meist ein sehr einseitiges Bild entstanden. Etwa werde von außen oft die Bezeichnung Holic-Gruppe verwendet. Sie selbst betonen hingegen mehrmals, dass die Gemeinschaft keinen Namen habe. Denn als «richtige Christen» brauchen und wollen sie einen solchen nicht.

Bekehrung beim Schachspielen.

Laut diesen Christ_innen gibt es auch keine aktuelle Gruppengründung. Ihre Geschichte gehe, sich auf die Apostelgeschichten berufend, bis in das Jahr 30 zurück. «Gründer und Leiter ist einzig und allein Jesus Christus», ist auf einer ihrer Websites zu lesen. Der zugeschriebene Name Holic-Gruppe leitet sich von Gottfried Holic ab, der 1943 geboren wurde. Er soll zumindest eine große Rolle in der Formierung der Gruppe gespielt haben, wenn nicht sogar «Leiter» gewesen sein. Es wird von einer Art Bekehrungserlebnis im Waldmüller-Park gesprochen. Beim Schachspielen mit Agnostiker_innen soll ein 23 Jahre alter Holic sich eines Besseren besonnen und dazu entschlossen haben, sein Leben nur mehr dem Anspruch Jesu zu widmen. Von Schachspielanlagen ist im Park heute nichts mehr zu finden. Aktuell wirkt der Park in Wien Favoriten eher verlassen. Ein MA-48-Mitarbeiter leert die Mistkübel, und ein kleiner weißer Pavillon aus Beton ist komplett mit Graffiti verziert. Hier fällt es etwas schwer, sich die Erleuchtung, die eine religiöse Bewegung hervorbrachte, vorzustellen. Ein klein wenig leichter macht es das Wissen, dass sich hier einmal der katholische Matzleinsdorfer Friedhof befunden hatte. Übernatürliche Legenden hin oder her, damals schrieb sich Gottfried Holic an der Uni Wien für katholische Theologie ein. Zehn Jahre danach formt sich um den immer noch studierenden Holic eine kleine Schar, die mit der katholischen Lehre nicht mehr so ganz übereinstimmen will und auf eigene Faust Sinnfindung betreibt. Eine Art Ur-Christentum wird gesucht. Das war in den späten Siebzigern.

Kein Kaffee.

Dieser Kreis sei sehr lose gewesen und nicht so fest wie heute, meint Ao. Professor Hans Gerald Hödl. Er lehrt und forscht am Institut für Religionswissenschaft der Uni Wien. Hödl ist selbst der Gruppe in ihren Anfangsjahren nahegestanden, denn Gottfried Holic war ein Studienkollege von ihm. In dieser Gemeinschaft wurden öfters Wanderungen im Wienerwald zum Schwammerl­suchen unternommen. Dabei habe Holic mit den männlichen Teilnehmern «gerauft». «Ich hab das als sehr unangenehm empfunden, es war so etwas wie ein Abbauen der aufgestauten körperlichen Energie, denn die Leute lehnten sexuelle Betätigung und sogar Genussmittel wie Kaffee ab», erzählt Hödl. Holic und sein Umfeld waren außerdem auf religiösen Veranstaltungen von freikirchlichen Messen bis Bibelvorträgen zu finden. Dort wurden ihre Ideen dann breit mit den anderen Teilnehmenden diskutiert. Und stießen mitunter auf fruchtbaren Boden. Ein Prozess der Entgeisterung und anschließender Neuorientierung sei im Theologiestudium kein seltenes Phänomen, erklärt Hödl: «Viele kommen mit einem bestimmten Glauben und werden dann mit einer relativ kritischen Theologie konfrontiert.» Die Orientierung zu einem reinen und bibelbasierten Christentum bietet im Fall von Holic Abhilfe. Als Nachfolger_innen der ersten Christ_innen lehnte die Gemeinde damals wie heute einen großen Teil von dem, was man mit Kirche verbindet, ab. Es gibt keine Priester_innen, und jegliche Rituale, bis auf ein gemeinsames Bibelstudium, sind tabu. Dafür wird Gemeinschaft und Liebe sehr in den Mittelpunkt gerückt. Es existieren keine Gotteshäuser, sondern nur vernetzte Wohngemeinschaften – um das christliche Zusammenleben zu intensivieren. In manchen Aspekten lebt die Gemeinde also mehr «christliche Werte» als etwa die katholische Kirche.

Gott erwandern.

Der sendungsbewusste Holic soll in seiner Argumentation für dieses Christentum nicht von anderen Perspektiven überzeugbar gewesen sein. Ein Brief der österreichischen Studentenmission von 1980 zeigt eines deutlich: Es ist schwer, mit ihm zu diskutieren. In dem Brief wird er gebeten, die Veranstaltungen der Studentenmission nicht mehr zu besuchen, da er zu vehement sei, wenn jemand nicht seine Meinung teile. Diese Eigenschaft scheint sich in der Gemeinde gehalten zu haben. Im Web finden sich mehrere einschlägige Seiten, welche auf diverse Vorwürfe reagieren und ausführlich darlegen, warum es nur eine Sichtweise geben kann. Auf christen.info wird diese detailliert in 50 Kapiteln erläutert, teilweise sogar mit Audiospur. Diese Seiten erwähnen Holic zwar nicht explizit, es finden sich dennoch weitere Kontinuitäten, welche wohl auf ihn oder das damalige Umfeld zurückgehen. Ehemalige Mitglieder beschreiben ebenfalls stundenlange fordernde Wanderungen, um Gott näher zu sein. Und auch vom «Raufen» kann man in einigen Berichten lesen. Die Rolle der doch etwas ungewöhnlichen Aktivität wird allerdings nie so richtig klar. Von manchen wird sie als Ausgleich zum fast enthaltsamen Lebensstil gesehen.

Ausschlussgründe.

In den meisten Berichten zur Ehe und Sexualität in der Gemeinschaft finden sich konservative Geschlechterstereotype. Konkrete Regeln sind angeblich nicht vorhanden, wirklich akzeptiert scheinen Beziehungen trotzdem nicht zu sein. Ausgeschlossene Mitglieder malen oft ein äußerst strenges Bild, nicht nur was Ehe und Sexualleben betrifft. Laut diesen Erzählungen werden nämlich seit den 2000er-Jahren ganz gerne mal Leute ausgeschlossen. Gründe dafür seien: ein zu hohes Schlafbedürfnis oder der Wunsch, die eigenen Eltern öfter zu sehen. Alles was nicht für Gott getan wird, ist Sünde. Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen meint dazu: «Ich habe selten so massive Eingriffe auf Personen erlebt.» Auf der Website defamed-but-true.de werden einzelne Vorwürfe von der Gemeinde selbst diskutiert. Es wird dargestellt, dass der Ausschluss ein notwendiges Mittel ist, jedoch nur dann, wenn es zu massiven Unehrlichkeiten und einer Abwendung von Gott kommt.

Sekte oder nicht Sekte?

2004 wurde Gottfried Holic selbst ausgeschlossen. Warum, ist nicht ganz klar. Hans Gerald Hödl meint, er habe ihn noch ab und zu in Vorlesungen gesehen, jedoch «sah er jämmerlich und verwahrlost aus, trug zerrissene Kleidung und war komplett ungewaschen». Allein aufgrund der strengen Regeln würde Hödl den Sektenbegriff aber nicht anlegen. Und tatsächlich fehlen viele klassische Zeichen einer Sekte. Es wird meist nur in Kreisen bereits stark christlicher Menschen missioniert, es existiert keine zentrale durchorganisierte Führung, und ein Modell zur Profitbeschaffung findet sich in der Gemeinschaft auch nicht. Doch ein gewisser Hang zum Fundamentalismus bleibt. Es ist sicherlich nicht ganz ohne Grund, dass diverse Beratungsstellen, von der Bundesstelle für Sektenfragen in Wien bis zum Referat für Weltanschauungsfragen in Dresden, die Gemeinde in ihren Datenbanken haben. Schiesser weist ebenfalls auf die komplexe Situation hin, wenn es darum geht, Gruppierungen einzustufen. Sekte sei meist kein passender Begriff, denn im Grunde ist entscheidend, ob es den Menschen gut geht. In diesem Kreis gäbe es allerdings Fälle, wo das Umfeld der entsprechenden Person dies stark anzweifelt und psychische Auffälligkeiten feststellt. Auf einer Website der Christ_innen steht dazu geschrieben: «Die Veränderung, die Jesus in seinen Nachfolgern bewirkt, wird nicht durch Angst hervorgerufen, sondern wird als Befreiung von Schuld und Abhängigkeiten erfahren.»

Gottfried Holic verstarb am 17. Dezember 2010 und wurde erst sechs Wochen später am Zentralfriedhof in einem sogenannten Sozialgrab bestattet.

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