FLANERIE abseits der Tourismusrouten (6): "Sprachinsel" Hohenau
Zu Gast bei den Tutscheks, Swatschinas, Potmesils, Holys und Schubtschiks. Um zu hören, wie sie noch immer böhmakeln, besuchen Sie am besten das traditionelle Weinkellerfest am ersten Juliwochenende. Wer sich von den gängigen Kellergassenprospekten -laut diesen ist Hohenau kellerberglos -beirren lässt, ist selber schuld.Hohenau an der March hat eine S-Bahn-Verbindung nach Wien (wenn sie nicht gerade wegen Hochwassers unterbrochen ist), ein berühmtes Glockenspiel, March-Thaya-Auen mit Vogelschauplätzen, Radwegen und Aubad – und tatsächlich einen Weinkellerberg. Außerdem steht hier das Haus, in dem Oskar Sima lebte, der „König der Nebenrollen“. Es ist heute das Hohenauer Museum, mit einem Sima-Gedenkraum und mit der aktuellen Ausstellung zur Geschichte des Schmiedehandwerks. Nicht, dass das alles ausgesprochen sensationell wäre. Da in Wien kaum jemand solche Angenehmsel assoziiert, wenn der Name Hohenau fällt, ist die Überraschung dennoch oft groß und noch dazu positiv. Sensationell ist nicht einmal der riesige, den 2800-Einwohner-Grenzort dominierende Komplex der 1867 gegründeten Zuckerfabrik, denn es stehen ja acht solche Dinger in Österreich, leider fast alle schon zugesperrt, denn eine planetarische Firma namens Coca-Cola ist der Hauptabnehmer von Zucker, und die hat Interesse an einem niedrigen Zuckerpreis; ihr zuliebe schafft die Welthandelsorganisation eine neue Zuckermarktordnung, die den billigen Rohrzucker, zu sklavenähnlichen Bedingungen in Brasilien herstellt und den teuren Rübenzucker verdrängen lässt.
Die Totalität der ökonomischen Zusammenhänge ist natürlich ein bisserl komplizierter, die Hohenauerinnen und Hohenauer trinken ihr Coca-Cola wie die Leute aus São Paulo, Miami Beach oder Kagran, und im Dezember und Jänner lassen sie ihre lebensgroßen Weihnachtsmänner auf ihren Einfamilienhausfassaden herumklettern, weil sich noch nicht herumgesprochen hat, dass die Weihnachtsmannfigur ein Coca-Cola-Logo der Dreißigerjahre kopiert. Die das schon irgendwo gelesen haben, müssen einen Scherz mit sich herumtragen, den niemand versteht: Hättet ihr diese rot-weißen Colamännchen nicht zugelassen, stünde es noch nicht so schlecht mit der Zuckerrübe und ihrer Verarbeitung.
Anfang 2006 kam das Aus für die Hohenauer Zuckerfabrik, denn im Hohenauer „Heimatbuch“, das 2001 erschien, ist zu lesen: „Der Bestand der Zuckerfabrik ist bis 2006 gesichert.“ Sensationell an dem Ganzen ist bloß die Souveränität dieser Prognose. Ich zumindest kenne keine andere Prognose auf diesem Gebiet, die wahr wurde.
Das Zahoraci schwingt beim Reden noch mit
Im Besitz der Firma Agrana befindet sich das Gemälde, das die sechs Gebrüder Strakosch zeigt, die die Zuckerfabrik gründeten. Ich weiß nicht, ob die Öffentlichkeit es sehen kann, jedenfalls findet man im erwähnten Heimatbuch eine Reproduktion davon, sodass meine Assoziation nachvollziehbar sein könnte: Dieses Ölbild zeigt das Patriarchat an sich, der Maler hat ihr Gemächt nach oben verlagert, die Bärte sind das Gemächt, ihre sechs Träger, in den sechs Posen der obrigkeitlichen Demutslosigkeit sitzend oder stehend, verkörpern 5000 Jahre Männerherrschaft. Der Ortschronik ist zu entnehmen, dass die Strakoschs eine mährische Kapitalistenfamilie waren. Der Ortschronik ist nicht zu entnehmen, dass die Familie Opfer der nationalsozialistischen Arisierungswelle wurde.
Für die braunen Bewahrer der reinen Rasse müssen die ansässigen Hohenauerinnen und Hohenauer ebenfalls suspekt gewesen sein. Diese nämlich haben noch vor hundert Jahren alle das Zahoraci gesprochen, den slowakischen Dialekt der Grenzregion diesseits und jenseits der March, und heute noch wird in Hohenau geböhmakelt wie sonst nirgends mehr in Ostösterreich.
Damit bin ich beim Grund meiner Ausflugsempfehlung angelangt: Hören Sie sich in den Buschenschanken und Volksfesten das Hohenauer Böhmakeln an, bevor es verschwindet wie viele andere sprachlichen Eigenheiten. Hören Sie sich an, wie die Gaidas, Tutscheks, Swatschinas, Benediks, Mitscheks, Marschitzs, Krupitzas, Sowas, Raditschs, Schmidas, Potmesils, Holys und Schubtschiks, wie die Hohenauer Familien heißen, sich unterhalten, wenn sie sich unter ihresgleichen wähnen und keine Peinlichkeit wegen ihrer Zahoraci-Wurzeln aufkommt. Allein um die Gaidas der Gemeinde zu unterscheiden, war oder ist für jeden Träger dieses Namens ein Beiname im Umlauf, der in keinem Dokument steht: Tschringl, Chlamur, Spitzl, Pitschenko, Bubelko, Chlibis, Bundasch, Scholino, Chocholuschko, Binzi kop kop, Zwargl, Talka, Riese, Zappe, Dlago, Pletzak, Tambor, Wilet, Szko, Gescho, Tradulo, Benzin, Busso, Tschaio oder Rafflizo. Der Hohenauer Schneidermeister Stephan Potmesil hat daraus ein lautmalerisches Poem gemacht.
Beim Kellerbergfest, das traditionell am ersten Juli-Wochenende stattfindet, sind sie alle auf einem Fleck zu sehen, die Gaidas und Tutscheks und Co. Welche der 135 Kellertüren wann geöffnet sind, ist in der Gemeinde zu erfahren (Tel.: 0 25 35 / 23 07); das Kellerbergstüberl der Familie Setik (Tel.: 0 25 35 / 315 18) ist ganzjährig von 16 bis 24 Uhr offen, außer am Montag. Wer am Kellerberg bis in die Nacht hinein dem Weine huldigt, dem stehen sogar 31 Betten, aufgeteilt auf vier private Zimmervermieter, zur Verfügung. Alles über die Führungen auf den Glockenturm, auf den Kellerberg oder in die March-Thaya-Auen erfährt man ebenfalls im Gemeindeamt.
Gemeindeamt
Tel.: (0 25 35) 23 07
www.hohenau-march.at