Rosinenpickentun & lassen

Illustration: Thomas Kriebaum

Eing'Schenkt (14. Februar)

Profitorientierte Konzerne wittern das Geschäft mit Pflege und Gesundheit. Börsennotierte Dienstleister wie Fresenius (Gesundheit), Orpea (Pflege) oder Vonovia (Wohnen) sowie Private Equity Fonds und Versicherungen drängen in den Sozialbereich. Mit drastischen Folgen für unser aller Zugang und die Leistbarkeit guter Angebote.
Zuerst wendet sich die einkommensstarke, junge und gesunde Klientel den privaten Profit-Anbietern zu. Diese werden durch entsprechend attraktive Angebote und aufwendiges Marketing alles tun, sich ihrerseits die Rosinen des Marktes zu sichern. Mit dem Marktanteil sinkt in einer zweiten Phase die wirtschaftliche Kraft der öffentlichen Anbieter und damit die Qualität ihres Angebots. Schließlich liefert die schlechte Qualität der öffentlichen Anbieter den Grund, sie entweder ebenfalls zu privatisieren, oder aber sie als minimale Rumpfversorgung für die einkommensschwächeren Gruppen bestehen zu lassen.
Am Beispiel des Niedergangs des öffentlichen britischen Gesundheitssystems lassen sich die Phasen eines solchen Prozesses nachverfolgen. In England ist beispielsweise der Anteil öffentlicher Betten in der stationären Altenpflege seit den 1980er-Jahren von zwei Dritteln auf knapp vier Prozent gefallen.
Mehr als ein Viertel der Einnahmen fließen bei großen internationalen Pflegekonzernen als leistungsloses Einkommen an Kapitalgeber:innen bzw. Eigentümer:innen. Möglich wird das durch sogenanntes «Financial Engineering» wie überhöhte Miet- oder Kreditzahlungen und die Nutzung von Steuersümpfen und Schattenfinanzplätzen. Der Arbeitssoziologe Manfred Krenn hat dazu eine umfassende Studie vorgelegt.
Ein weiteres Beispiel für dieses «Rosinenpicken» sind die von Finanzinvestor:innen geführten Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) in Deutschland, die sich ausgerechnet in einkommensstarken Regionen ansiedeln, wo die Zahnarztdichte ohnehin bereits groß ist. Die profitorientierten Anbieter gehen dorthin, wo die hohen Einkommen leben. Mit der Pflege für alte Menschen in struktur- und einkommensschwachen Gebieten will man sich auch nicht aufhalten: Chancen gebe es, so Orpea, für die «Entwicklung in den Gebieten mit hoher Kaufkraft».
Den Ärmeren bleibt der Rest. «Poor Services for Poor People» nennt man das in England. Armselige Leistungen für arme Leute. Öffentliche, schlechte, traditionelle Schulen für die Einkommensschwachen und private, gute reformpädagogische Schulen für die Wohlhabenden. Staatliche, miese Gesundheitsversorgung für die Ärmeren; private, engagierte Vorsorge für die Reicheren. Alleingelassen und Stoppuhr-Pflege bei denen, die auf die Pflegeleistungen des Landes angewiesen sind, ausreichend Zeit und nachsorgende Pflege bei denen, die genug Geld haben.
Nur allzu schnell verselbstständigt sich der Trend weg von universellen, sozialen Bürger:innenrechten hin zur selektiven, almosenhaften Armenfürsorge. Auf diese Entwicklungen müssen auch wir hier in Österreich achten. Erste Anzeichen dafür sehen wir ja schon. Aber wir können etwas tun. Wir können die Gemeinnützigkeit stärken und die gemeinnützigen sozialen Dienstleister unterstützen. Wir können eine Investitionsoffensive durch die öffentliche Hand dort starten, wo es sie jetzt braucht: in der Pflege, in Teilen des Gesundheitssystems und im sozialen Wohnbau. Das wäre dann nicht nur etwas für die, die sich’s eh leisten können, sondern etwas, was uns allen guttut.