Berlin: Legt sich der neue Staatssekretär mit Investor_innen an?
Andrej Holm, der Stadtsoziologe aus Deutschland, der profilierte Kritiker neoliberaler Wohnungspolitik, ist oft in Wien gewesen. Immer hat er für Denkimpulse gesorgt, und seine Vorträge erleichterten kritischen Beobachter_innen der Wiener Stadtentwicklung, das Phänomen der Gentrifizierung zu durchschauen. Ein Beschluss der Linkspartei, die zusammen mit der SPD und den Grünen die Stadt Berlin regiert, hat Freund und Feind verblüfft: Der Privatisierungsgegner Holm wird Berliner Staatssekretär für Wohnen.
Foto: Robert Sommer
Das ist, wie wenn die rotgrüne Stadtregierung in Wien die Redaktion der neoliberalismuskritischen Zeitschrift für Stadtentwicklungsangelegenheiten, «derivé», zum offiziellen Beraterteam für Wohnungspolitik, Mietenpolitik und Stadtplanung bestellen würde. Selbst Chefredakteur Christoph Laimer wäre aus dem Häuschen. Abgesehen davon, dass außer dem Augustin niemand in Wien auf so eine Idee kommt, müsste Laimer sich als Erstes mit der Irrmeinung auseinandersetzen, dass es in Wien so etwas wie Gentrifizierung (darunter versteht man die Aufwertung innenstadtnaher Wohnviertel durch das Immobilienkapital, die zu einer Verdrängung der armen Familien aus dem Viertel führt) nicht gäbe. Es zirkulieren nämlich drei Lügen über die Gentrifizierung in dieser Stadt: Erstens, dass der soziale Wohnbau in Wien, zweitens, dass das Programm der «sanften Stadterneuerung», drittens, dass das österreichische Mietrecht die Gentrifizierung verhindere. Dazu bitte nachlesen in «derivé».
Auch in Berlin sei die Gentrifizierung sanfter als etwa in London, wird Holm entgegengehalten. Andrej Holm weist aber darauf hin, dass es in Berlin – wie auch in Wien – zwei Muster der Gentrifizierung gibt – eine sichtbare und eine unsichtbare. Die sichtbare ist das Modell Spittelberg (Wien) – Prenzlauer Berg (Berlin). Hier kam es zu einem Bevölkerungsaustausch: Reich rein, Arm raus. Das zweite Muster ist am Yppenplatz (Wien) oder in Wedding (Berlin) zu analysieren: Bobos ziehen zu, aber die Migrant_innen scheinen zu bleiben. Des Rätsels Lösung: Letztere überleben die gestiegenen Wohnungspreise NOCH durch Überbelegung ihrer Wohnungen.
«Leider gab es in den vergangenen Jahren von politischer Seite kein Interesse, sich mit Eigentümern, Investoren und Spekulanten anzulegen. Im Glauben an die angeblichen Segnungen des Wachstums war die Angst davor, Investoren abzuschrecken, größer als die Bereitschaft, die Spekulation auf steigende Mieten und Umwandlungsgewinne einzuschränken», hat Holm in einem Interview vor der Bestellung zum Staatssekretär gesagt. Seine Wiener Freund_innen hoffen, dass das parlamentarische Getriebe nicht ihn, den radikalen Quereinsteiger, ändert, sondern, umgekehrt, dass ER die Wohnungspolitik ändert. Die Feinde seiner antikapitalistischen Urbanitäts-Utopien sind bereits angetreten, ihn zum Unsicherheitsfaktor zu erklären: Die in dieser Hinsicht «verlässliche» Tageszeitung «Welt» sieht in Holm die «Verkörperung von stalinistischer Tradition und neuer Militanz».