Rote Hilfe: Im Kampf gegen Repressiontun & lassen

Illustration: © Thomas Kriebaum

Die Rote Hilfe Wien unterstützt Menschen, die aufgrund ihrer politischen Arbeit Nachteile erleiden. Sie wurde vor fünf, die Rote Hilfe Österreich vor 100 Jahren gegründet. Ein Besuch bei der Doppelfeier.

 

Marillenschnitte, veganer Zitronenkuchen und Linzer Torte. Das Kuchenbuffet ist gratis, der Eintritt freiwillige Spende. Die «geheime Location» der Geburtstagsparty, das Ernst-Kirchweg-Haus (EKH) im 10. Wiener Bezirk, ist voll – fast zu voll. Durch Menschenmassen drängt man sich die Treppe runter in den Keller, um zu dem Post-Punk-Konzert und den Infotischen zu kommen. Die sind beladen mit Flyern und Büchern, von Emma Goldman bis Gramsci. Hinter dem stirnseitigen Stand sticht ein Banner selbst im Zwielicht mit seinem Knallrot schnell ins Auge: Rote Hilfe. Hier informiert der Verein über sich selbst.

Repression

Aussageverweigerung, eine Strafe aufgrund einer Demo oder Racial Profiling? Im Kampf gegen die Repressionsbehörden sollen Rechtsmittel für alle zugänglich gemacht werden. Dabei wird die Breite des unterstützten linken Spektrums betont – von Antirassismus über Antisexismus bis zur Arbeiter:innenbewegung und seit kurzem offiziell Klimaschutz. Laut dem Repressionsbericht 2023 des Antirepressionsbüros stünden besonders linke Aktionen im Fokus von Polizeigewalt.
Wen sie nicht beraten würden? «Die Rechten», lacht Marie. Sie ist eines der rund zehn aktiven Mitglieder der Roten Hilfe Wien. Passive Mitglieder gebe es hunderte. Mitglied werden lässt sich schnell: Den dreizeiligen Antrag ausfüllen, online oder offline abgeben und den selbst wählbaren Mitgliedsbeitrag zahlen – empfohlen werden 5 bis 20 Euro monatlich. Wie viele Mitglieder es tatsächlich sind, scheint niemand genau zu wissen. Dieses Nichtwissen ist praktisch ein Sicherheitskonzept, sensible Daten sollen geschützt werden. Handys bleiben bei Plena zu Hause. Sonst kommt die Rote Hilfe aber gut ohne Sicherheitsvorkehrungen aus. Repression gegen den Verein selbst gebe es nicht. «Wir werden nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Das fände ich aber eigentlich mal ganz schön», scherzt Marie.
Das Gegenüber in Repressionsfällen ist überwiegend die Polizei. Laut einer Studie der ALES – Austrian Center for Law Enforcement Sciences der Uni Wien, kamen zwischen 2012 und 2015 von 1.500 Anzeigen gegen Polizeibeamte aufgrund von Misshandlungsvorwürfen sieben Fälle tatsächlich vor Gericht. Davon führte kein einziger zu einer Verurteilung, bei 150 davon wurde allerdings eine Gegenanzeige wegen Verleumdung eingeleitet. Die Arbeit der Roten Hilfe beschäftigt sich großteils mit Verwaltungsstrafen: Blockieren eines Verkehrsweges oder das Nicht-Verlassen einer aufgelösten Demo.
Oft würden Maßnahmenbeschwerden reichen, damit Betroffene gar nichts oder viel weniger Strafe zahlen. Falls nötig werden solidarische Anwält:innen vermittelt, Soligruppen gegründet und Angeklagte zu diversen Terminen begleitet. Gerne angeklagt werde nach § 269 StGB Widerstand gegen die Staatsgewalt und § 284 Sprengung einer Versammlung. Ersterer kommt bei jedem Verletzen von Polizist:innen zum Einsatz, mit ihm kann schon ein Schubsen schwere Körperverletzung konstituieren. Letzterer ist bei «erfolgreichen» Gegendemos ein Thema. Auch hier kommt es immer wieder zu Freisprüchen. Darauf ist der Verein besonders stolz. Bei einem Freispruch vor Gericht seien sie schon mal «Sekt trinken gegangen, um 11 Uhr».

Gründung

Grund zum Feiern gibt es aktuell genug. Etwa die Gründung der Roten Hilfe Wien vor fünf Jahren. Anlass war allem voran der Fall Josef S. rund um die Proteste gegen den rechtsextremen WKR-Ball. Er wurde unter immenser öffentlicher Kritik zu zwölf Monaten Haft verurteilt. Einer der schlimmsten Fälle an Repression der letzten zehn Jahre, wie Elfie Resch, Obfrau des Vereins und Gründungsmitglied, erklärt. Dem Studenten half damals die Rote Hilfe aus Deutschland. So kam die Idee auf, in Wien einen Ableger zu gründen. Stolz sind sie ebenso auf ihre Altersdiversität, die sich bei der Party im EKH widerspiegelt.
2023 ist allerdings nicht nur ein Jubiläum für die Rote Hilfe Wien. Vor genau 100 Jahren gründete sich 1923 die Rote Hilfe Österreich innerhalb der KPÖ. Diese wurde 1933 durch Dollfuß verboten und baute daraufhin ein großes Untergrundnetzwerk auf. Die Tätigkeit hierfür wurde während der NS-Zeit mehrmals mit dem Tod bestraft. Zur Blütezeit betrug die Mitgliederzahl 4.400. Die damalige Rote Hilfe organisierte – bedingt durch die geopolitische Lage Österreichs – besonders die Flucht politisch Verfolgter aus der internationalen Arbeiter:innenbewegung. Es wurden falsche Papiere bereitgestellt, Grenzübergänge sowie Quartiere organisiert und finanziell ausgeholfen. Nach 1945 löste sich die Rote Hilfe Österreich auf. Der erste nachfolgende Rote Hilfe Verein wurde erst 2015 in Innsbruck ins Leben gerufen. Weitere Vereine gibt es aktuell in Graz und Salzburg.

Unterstützung

Die kontemporäre Rote Hilfe stützt sich vor allem ideologisch auf ihre Vorgänger:innen. «Die damalige Arbeit kann man natürlich nicht mit heute vergleichen», meint Boris. Er sitzt, gemütlich die Beine überkreuzt, auf einem der zwei Cordsofas im KPÖ Vereinslokal Volxclub Ottakring. «Heute ist Antirepressionsarbeit, vor allem bei Jüngeren, leider nicht mehr so sexy, aber immer noch extrem wichtig», meint er. Boris wartet auf Menschen, die zur Beratung kommen. Diese findet fast jeden Mittwoch abwechselnd hier oder im EKH statt. Es kämen Leute, die finanzielle Hilfe in Anspruch nehmen oder zum ersten Mal eine Strafe bekommen und unsicher damit sind. «Solidarität gibt es immer!», versichert Marie. Falls es ihre Förderrichtlinien zulassen, helfen sie Repressionsbetroffenen mit bis zu 70 Prozent der anfallenden Kosten. Dabei kommt es etwa auf die individuelle finanzielle Situation oder die bereits getätigten Aussagen vor der Polizei an. Eine politische Prozessführung und kein «Verraten von Genoss:innen» sind dafür allerdings Grundvoraussetzungen.
Einen der größten Repressionsfälle der letzten Jahre hat die Rote Hilfe auch finanziell unterstützt: den Antifa2020-Prozess. Sieben Aktivisten wurden aufgrund mehrerer vermeintlichen Auseinandersetzungen mit den rechtsextremen Identitären einer Liste an Straftaten verdächtigt, von Raufhandel bis zum Mafia-Paragrafen 278a. Im August 2020 wurden sie von bis zu acht Beamt:innen des Landesamtes Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LTV) observiert und teilweise öffentlich festgenommen. Der Akt misst horizontal am Schreibtisch ca. einen Meter. Am Ende bleiben davon durch Indizien belegte Körperverletzung und Sprengung einer Versammlung über. Kostenpunkt für alle Angeklagten: im höheren fünfstelligen Bereich.
Repression kann ziemlich teuer werden. Bereits eine Akteneinsicht mit Rechtsbeistand beläuft sich auf mehrere hundert Euro, erzählt der Verteidiger im Prozess Matej Zenz. Selbst bei einem Freispruch werden maximal 10 bis 20 Prozent der Kosten rückerstattet. Er meint: «Ein Prozess an sich kann aufgrund des Kosten- und Zeitaufwandes bereits eine Strafe sein.» So würde etwa Sprengung einer Versammlung selten verurteilt werden, sei aber ein gängiges Mittel, um Gegendemonstrationen aufzulösen. «Nach so einem Prozess überlegen es sich junge Menschen, ob sie nochmal auf eine Demo gehen», erklärt Zenz. In letzter Zeit würden Demo-Anmelder:innen bei Ausschreitungen oft Anzeigen bekommen. Rechtlich sei das nicht durchsetzbar, meint Zenz. Einschüchtern tut es trotzdem. Matej Zenz und Marie sind sich einig: Österreich ist grundsätzlich ein funktionierender Rechtsstaat. Für politische Repression lassen sich jedoch regelmäßig Einzelfälle finden. Beginnend beim – von Amnesty International verurteilten – Einsatz auf der Mayday-Demo 2021 über Lobau und blockgas bis zur legendären Tierschützer:innen-Causa, um nur wenige zu nennen. Bei Demos gebe es immer wieder Unverhältnismäßigkeiten. «Das sägt im Kleinen die Demonstrationsfreiheit an», sagt Zenz.
Genau hier will die Rote Hilfe ansetzten. «Wir wollen sagen: Du bist nicht alleine, wir helfen dir bei jedem Schritt», bekundet Marie. So könne man längerfristiges linkspolitisches Engagement aufrechterhalten und nicht auf Einschüchterungstaktiken eingehen. Ein Betroffener im Antifa2020-Prozess bestätigt, Solidarität und Bildung hätten absolut geholfen. Kurze Zeit später ist er wieder auf eine Demo gegangen.