Roter Mond und Steirische Schafnasevorstadt

Von der Amtsstube auf die Streuobstwiese: der Pomologe Fritz Marth

Sommer und Sonne, also bald wieder frisches Obst aus heimischen Gärten: Im südburgenländischen Deutsch Kaltenbrunn (Bezirk Jennersdorf), einer Gemeinde mit rund 1800 Einwohner_innen, befinden sich die steil abfallenden Obstgärten des Pomologen Fritz Marth. Wir treffen dort u.a. auf «Graf Moltke» und «Clinton» in Fruchtform.

 

Foto: Wenzel Müller

Die Familie Marth hat ihr Mittagessen in den frühen Nachmittag verlegt, um den aus Wien kommenden Besuch mitverköstigen zu können. Drei Generationen sind am riesigen runden Tisch versammelt, der unter anderem «Hoansterz» (= Heidensterz, also Buchweizensterz) trägt und natürlich selbst gemachte Saftspezialitäten wie eine Mischung aus Apfel und Aronia (Apfelbeere) oder gleich zwei verschiedene Uhudlertraubensäfte.

In der Wohnküche der Marths stehen aber nicht nur selbst produzierte Säfte, auf einem Nebentisch befinden sich irritierenderweise auch welche aus dem Supermarkt!? Der Obstbaukundler Fritz Marth hat nämlich ein neues Steckenpferd, er versucht, mit einem elektrochemischen Messverfahren die Qualität von Säften und Obstwein zu bestimmen. Er möchte sich nicht nur auf sensorische Eindrücke verlassen müssen, obwohl er ausgebildeter «Mostsommelier» ist (Most im Sinne von Obstwein und nicht Traubensaft). Erste Ergebnisse hätten des Pomologen These, dass sensorisch hoch bewertete Produkte auch bei elektrochemischen Prüfverfahren sehr gut abschneiden würden, bestätigt, und umgekehrt: «Energy Drinks haben fürchterlich abgeschnitten», so der Sommelier.

Seit Kindesbeinen an arbeitet der Deutsch Kaltenbrunner in der Landwirtschaft, aber erst vor wenigen Jahren, mit Eintritt in die Pension, vollzog Fritz Marth offiziell die Umstellung auf bio, obwohl er bereits in den 1980er Jahren mit seiner Gattin Ilse Seminare für biologische Landwirtschaft besucht hatte. Und in den 90er Jahren setzte er beim Bau seines Wohnhauses auf Schafwolle aus dem Waldviertel als Dämmmaterial.

Auf die Frage, ob das im Südburgenland üblich gewesen sei, muss Fritz Marth grinsen und verneint. Er erzählt mit etwas Stolz, dass er den Hauszubau nach allen baubiologischen Regeln ausgeführt hätte. Der Besucher aus Wien hegte bei diesem Haufen an ökologischer Korrektheit in Sachen Bauwesen den Verdacht, der Häuslbauer könnte bei der Anti-Zwentendorf und/oder Hainburg-Bewegung mitgemischt haben. «Überhaupt nicht, das war für mich zu weit weg», entgegnet der Südburgenländer. Fritz Marth latscht auch nicht in Sandalen und in Schafwolljacke herum. Laufschuhe und Funktionskleidung sind ihm viel vertrauter, denn er ist seit über vierzig Jahren aktiver Orientierungsläufer, der im Alter von 64 Jahren noch immer seine tägliche Runde dreht. Als junger Sportler nahm er gar bei einer Weltmeisterschaft teil und sollte auch noch Sportfunktionär werden.

Vom Südburgenland ins Mühlviertel

Mit den Worten «ich wollte alles kennenlernen» erklärt der fitte Pensionist seine breit gefächerten Interessen. So dürfte es ihm auch als Jugendlicher getaugt haben, vom Südburgenland ins Mühlviertel, in die Webereifachschule Haslach, geschickt worden zu sein – in guter Familientradition: «Ich bin der vierte Marth in Haslach gewesen.» Weil ihm die Fachschule aber «zu wenig» war, ging er vom Mühlviertel nach Wien, in die HTL für Textilindustrie, und das Architekturstudium sollte noch folgen, doch ein Unternehmen vor seiner burgenländischen Haustür habe ihm einen Job angeboten, was «natürlich optimal» gewesen sei.

Nach zehn Jahren als Textilingenieur in leitender Position wechselte Fritz Marth die Branche, er wurde Amtsleiter in Deutsch Kaltenbrunn und blieb es dreißig Jahre lang bis zu seiner Pensionierung. Von diesem Posten kann man aus kürzester Entfernung den strukturellen Wandel im Südburgenland beobachten. Viele Kleinbauern hätten die Landwirtschaft aufgegeben, um als Bauarbeiter nach und von Wien in Bussen zu pendeln. Ein paar seien auch mit ihren Motorrädern nach Vorarlberg zum Hochspannungsleitungsbau und zum Tunnelbau gefahren. Doch in den letzten Jahren habe sich der Trend umgekehrt: Aus dem Westen Österreichs, aber auch aus Deutschland würden Menschen kommen, um im Südburgenland zu arbeiten, denn der Tourismus werde immer wichtiger, insbesondere Thermen wie jene in Stegersbach.

Alles rot

Er selbst sei eineinhalb Jahre vor dem eigentlichen Pensionsantrittsalter, und somit finanzielle Einbußen in Kauf nehmend, in Rente gegangen, um sich voll der Biolandwirtschaft widmen zu können. Mittlerweile betreut er drei Anwesen: das elterliche, das einer Tante und das selbst errichtete Zweifamilienhaus, dabei ist Fritz Marth alles andere als ein Großbauer, denn nur rund 15 Hektar inklusive Wiesen und Wald umfassen diese drei kleinteiligen Liegenschaften.

Es gebe im Ort nur einen Biolandwirt, nämlich ihn, er werde aber von den konventionellen akzeptiert, erzählt der ehemalige Gemeindeleiter auf dem Rundgang um seinen Elternhof, der auch der Kleintierhaltung dient. Dort laufen beispielsweise Hühner herum, die Eier mit grüner Schale legen! Der Biobauer zeigt auch auf die vielen Geräte, die herumstehen, und erklärt, dass er viel mehr Maschinen als ein großer konventioneller Landwirt brauche, da sein Angebot vielfältiger sei: Es erstrecke sich von der Heuerzeugung für Pferde über Kartoffelanbau bis hin zur Safterzeugung.

So richtig in Redeform gerät Fritz Marth beim Schlendern über die Streuobstwiese beim Hof seiner Tante, die sich teilweise über einen steilen Hang erstreckt und wo zwischen den Obstbäumen immer wieder Uhudlerreben mit klingenden Namen wie «Clinton» oder »Concordia» auftauchen. Über fünfhundert Bäume sind darauf zu zählen, davon rund hundert, die erst in den letzten fünf Jahren gepflanzt wurden. Er sei der einzige in Österreich gewesen, der einen Graf-Moltke-Birnbaum gehabt hätte. Einer Baumschule im Waldviertel habe er einen Edelreiser gegeben, die bereits den Graf-Moltke vermarkten würde. Neben dieser seltenen Birne habe er Bidling (nicht veredelte große Zwetschke/Pflaume), Spendling (gelbe Zwetschke), Marille, Pfirsich, doch gut dreiviertel des Bestandes machen Apfelbäume aus. Fritz Marth zählt einige für die Region typische Sorten wie Jonathan, Bohnapfel, Steirische Schafnase, Kronprinz Rudolf, Ilzer Rosenapfel oder Steirischer Maschanzker (Eisapfel) auf.

Im Augenblick beschäftige er sich mit dem Roten Mond, denn – wie der Name schon andeutet – gebe sein rotes Fruchtfleisch auch einen roten Saft ab: «Er hat rotes Laub, rotes Holz, also alles rot», erläutert der Pomologe und wendet sich seiner 90-jährigen Tante zu, der schön langsam der Geduldsfaden reißt, weil der Neffe noch immer nicht den Riesenhaufen aus dürren Ästen angezündet hat. Die Altbäuerin kontrolliert die zündelnde Arbeit des Neffen und sagt zum Gast auf ihrem Hof: «Heutzutage ist alles elektrisch, da kennen sich die Menschen mit dem Feuermachen nicht mehr aus.»

www.biohofmarth.at