Roter Teppich für Konzernetun & lassen

Die Privatisierung der Belghofergasse

«Wessen Straße ist die Straße», fragte einst Bertolt Brecht. ­«Unsere», antwortet der in Meidling beheimatete Pharmakonzern Boehringer Ingelheim. Der lässt sein Fabrikgelände derzeit massiv erweitern. 700 Millionen Euro werden dafür ausgegeben. Wenn alles fertig ist, sollen 500 neue Beschäftigte eingestellt werden. Christian Bunke berichtet.

Illu: Much

Nun ist der Standort des Boehringer-Konzerns eigentlich in zwei Hälften entlang der Altmannsdorfer Straße geteilt. Zwischen den beiden Hälften verläuft die Belghofergasse. Durch sie führt ein Radweg, der den über die Bahngleise führenden Belghofersteg mit der Altmannsdorfer Straße verbindet. Auch von Anrainer_innen genutzte Parkplätze sind hier zu finden. Und ein Wohnhaus.

Als 2016 erste Anrainer_innenversammlungen auf dem Werksgelände stattfanden, wurden manche stutzig. Auf den Grafiken der vom Unternehmen vorgestellten Powerpoint-Präsentation über die Zukunftspläne fehlte die Belghofergasse. Aus dem zweigeteilten Standort wurde einer. Auf Nachfragen wurde damals beschwichtigt. Ja, man plane langfristig eine Zusammenlegung des Standortes. Diese werde aus Sicherheits- und logistischen Gründen angestrebt. Nein, mit einer Zusammenlegung der beiden Unternehmensteile sei derzeit nicht zu rechnen. Es handle sich um eine langfristige Geschichte. Außerdem wolle man niemanden delogieren.

Neues Strukurgebiet.

Jetzt schreiben wir das Jahr 2018 und aus «langfristig» ist «heute» geworden. Im Februar kündigte Boehringer Ingelheim an, eine Änderung des örtlichen Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes anzustreben, um das Werksgelände entlang der Belghofergasse in ein industrielles Strukturgebiet umwandeln zu können. Dies sei nötig, damit der östliche Abschnitt der Belghofergasse in das Werksgelände integriert werden könne. Der Pharmakonzern möchte eine Straße privatisieren.

Das sei nichts Außergewöhnliches, meint Unternehmenssprecher ­Matthias Sturm. Auch andere Konzerne wie Manner oder Ottakringer hätten bei Standorterweiterungen schon Ähnliches gemacht. Unter den Bewohner_innen der Belghofergasse begann es jedoch wieder zu rumoren. Fragen traten auf: Was passiert mit dem Radweg? Was geschieht mit den Bewohner_innen des sich im Werksgelände befindlichen Wohnhauses? Werden wegfallende Parkplätze ersetzt werden? Und wie kann es sein, dass die Stadt Wien einem Pharmakonzern einfach so eine Straße schenkt?

Zu Letzterem heißt es bei Boehringer, man bekomme genau gar nichts geschenkt. Man müsse das Straßenstück von der Stadt Wien kaufen. Das sei alles andere als günstig. Auch das Wohnhaus habe man kaufen müssen. Anrainer_innen mutmaßen, der Konzern habe Bewohner_innen unter Druck gesetzt, um sie zum Auszug zu zwingen. Konzernsprecher Sturm möchte das entkräften.

Konkret geht es um drei Bewohner_innen von Eigentumswohnungen. «Wir haben lange mit den Eigentümer_innen geredet, es wurde aber niemand bedrängt», so Sturm. Zwei Bewohner_innen habe man bei der Wohnungssuche geholfen. «Wir haben beiden Vorschläge geschickt und mit einer Besitzerin die Wohnung, die es letzten Endes auch geworden ist, gemeinsam besichtigt. Der andere Besitzer hat sich für eine Wohnung entschieden, die er sich selbst ausgesucht hat. Er wird in Meidling bleiben.»

Auch die dritte Besitzerin hat an Boehringer verkauft. «Sie wird aber altersbedingt in ihrer Wohnung bleiben», so Sturm. «Sie wird künftig keine Miete, sondern nur Strom und Gas zahlen. Die anderen Betriebskosten wie Abfall, Wasser und Abwasser übernimmt Boehringer. Der Zutritt für ihre Angehörigen ist ebenfalls gewährleistet.»

Roter Teppich für Unternehmen?

Doch nicht nur die Bewohner_innen des betroffenen Hauses sind von der Privatisierung der Belghofergasse betroffen. Hier befinden sich auch rund 130 über Nacht nutzbare Parkplätze, die nun größtenteils wegfallen. Das betrifft auch angrenzende Straßen. Wird das Konzept wie geplant umgesetzt, werden laut Boehringer «nur rund 30 bis 40 Pkw-Stellplätze in der Dr.-Boehringer-Gasse erhalten bleiben. Gleichzeitig verweist der Konzern darauf, dass die eigenen Angestellten nicht auf den Straßen der Umgebung parken werden. Nachtschichtarbeiter_innen werden im firmeneigenen Parkhaus parken. Ältere Anrainer_innen haben mit dieser Nachricht nur wenig Freude. «Abends finde ich derzeit nur entlang des Werkgeländes einen Parkplatz», sagt einer. «Das wird zukünftig wegfallen.»

Die Versprechen des Konzerns werden in der Nachbarschaft mit Skepsis beäugt. «Wer Arbeitsplätze verspricht, kriegt den roten Teppich ausgerollt», meint ein Bewohner des westlichen Teils der Belghofergasse. Bei ­Boehringer sieht man das anders: «Wir sind den Anrainern gegenüber immer transparent gewesen», so ­Matthias Sturm.

Im Büro von Planungsstadträtin Vassilakou gibt man sich eher wortkarg. «Das ist ein laufender Prozess, der noch Jahre dauern kann», so Bürosprecher Andreas Baur. «Boehringer wird jedenfalls den zu ermittelnden Marktwert für die Straße zahlen müssen. Das Gutachten muss aber noch erstellt werden. Sonst gibt es nichts zu sagen.»