«Rotes Moskau» und «Wiener Blut»vorstadt

Immer der Nase nach (Ietzter Teil)

Was erzählen uns Parfüms über ihre jeweiligen kulturellen und ideologischen Hintergründe? Welche regionalen Duftmarker sind in das kollektive Gedächtnis eingegangen? Im letzten Teil der Serie unternimmt Stephanie Weismann (Text) eine Schnupperfahrt von Paris bis Moskau.

Geschmack und Gerüche haben einen bedeutenden Einfluss auf unser Imaginarium von Menschen, Ländern und Kulturen – sie prägen unsere Vorstellungen vom Land, «wo die Zitronen blühen» bis zum «kohlegeschwängerten Ostblock». Unsere Geruchsvorlieben und -eindrücke sagen viel über kulturelle und regionale Eigenheiten aus. Wir wissen etwa von der Bedeutung regionaler Geruchs- und Geschmacksvorlieben für die internationale Tabakproduktion. Tabakmischungen werden auf ihre jeweilige Klientel abgestimmt: Europäische Marlboros schmecken und riechen anders als amerikanische. Auch die Duftnoten von Putzmitteln variieren stark von Land zu Land: Sauberkeit und Frische vermitteln wahlweise Chlor, Fliedergeruch oder Zitronenduft.

Die kulturelle (und politische) Bedeutung von Düften.

Seit jeher galt Parfümierung als Markierung eines Ausnahmezustands beziehungsweise als Statussymbol. «Per fumum» bezeichnete ursprünglich die Aromatisierung des Rauchs am antiken Opferaltar, mutierte dann zum moschusschwangeren Luxusaroma der europäischen Aristokratie und reicht bis zur obligatorischen Parfümwolke des weiblichen Großbürgertums in den ersten Reihen des Musikvereinssaals. Seit jeher versuchte man sich für besondere Gelegenheiten olfaktorisch abzuheben. Heute sind Körperdüfte allgegenwärtiger und breiter verfügbar, was die Regale der Drogerieketten bezeugen – und ihr Gebrauch nicht mehr auf Ausnahmesituationen reduziert.
Ein Großteil der Parfümproduktion stammt immer noch aus Frankreich, der unbestrittenen Wiege der Parfümeurs-Kunst. Das Prestige französischer Duftprodukte ist ungebrochen, und doch gab und gibt es auch in anderen Ländern laufend Versuche, eine lokale Parfümproduktion zu etablieren. Man denke etwa an das berühmte «Kölnisch Wasser 4711», das im frühen 18. Jahrhundert seinen Siegeszug antrat und in der Folge eine ganz eigene Parfümkategorie des «Eau de Cologne» prägte. Auch im guten alten Österreich-Ungarn wirkten zahlreiche Parfümeure, die als k. u. k.­ Hoflieferanten ihre eigenen Düfte kreierten, darunter etwa das Lavendelwasser von
J. B. Filz am Graben, das nicht zuletzt einen prominenten Auftritt in Doderers Wien-Roman Die Strudlhofstiege hat (und 2009 zum 200-jährigen Firmenjubiläum neu aufgelegt wurde).

Ein Parfüm namens «Kolchose».

Kosmetik- und Parfümindustrie sind wesentliche Träger von kulturellen Imaginarien, aber auch ideologische Zugpferde. In der Sowjetunion etwa wurde kurz nach der Revolution massiv in die Kosmetikindustrie investiert. Kosmetika waren ein maßgeblicher Teil des zweiten Fünfjahresplans (1933 bis 1937), der sein Augenmerk vor allem auf Konsumartikel und sozialen Fortschritt legte. Auch der sozialistischen Traktoristin sollte «Weiblichkeit» in Form von Wohlgeruch nicht verwehrt bleiben. Die Massenproduktion von Kosmetika sollte es Sowjetbürgerinnen und -bürgern ermöglichen, erschwingliche Seifen, Crèmes und eben auch Parfüms zu erwerben – ohne auf den bolschewistischen Geist zu vergessen. So wurde in der jungen Sowjetunion etwa auch ein Parfüm namens «Kolchose» kreiert (das jedoch zugegebenermaßen nicht in das kollektive Gedächtnis der Sowjetunion einging).
Als das sowjetische «Ostalgie»-Produkt firmiert stattdessen das Parfüm «Rotes Moskau» (Красная Москва) von 1925, das zugegebenermaßen auf die Rezeptur des vorrevolutionären «Le Bouquet Préféré de l’Impératrice» von 1912 zurückgreift. Der Parfümeur des ursprünglichen «Zarinnen-Bouquets», welches dann in «Rotes Moskau» umgefärbt wurde, floh übrigens aus dem revolutionären Russland und fand sich in Paris im Parfümeursteam von Chanel Nº 5 wieder. Parfümgeschichte zeugt also immer auch von transnationalen Duftverbindungen.
Es verwundert nicht, dass auch andere Staaten daran interessiert waren, eigene Parfüm-Kosmetik-Linien zu lancieren. Parfüms symbolisieren seit jeher Wohlstand und Kultiviertheit und stehen als Geschenk für besondere Anlässe immer noch hoch im Kurs. Die sozialistische Parfümproduktion zielte mit ihrer staatlichen Produktion auf egalitäre Beduftung. Auch wenn es zur wahren Gleichberechtigung dann doch noch gefehlt hat, der internationale Frauentag am 8. März kommt in den (ehemals) sozialistischen Staaten einem offiziellen Feiertag gleich. Zu dieser Gelegenheit wurde bzw. wird «frau» im östlichen Europa zumeist mit Blumen, Schokolade und eben auch Duftartikeln von Seife bis Parfüm beschenkt.

Die sozialistische Version von Chanel Nº 5.

Die Volksrepublik Polen hatte lange Zeit die dürftige Wahl zwischen sowjetischen Parfüms (die sich eines zweifelhaften Renommees erfreuten) oder bulgarischem Rosenöl – «westliche», das heißt vor allem französische Parfüms standen stets weit höher im Kurs, waren aber nur schwer zu bekommen. In Reaktion auf diverse Engpässe und innenpolitische Spannungen wurde den polnischen Genossinnen und Genossen in den 1970ern eine staatseigene Parfümreihe vorgestellt – und damit ein Hauch «europäischer» Wohlstandsgesellschaft vermittelt. Dank ausländischer Anleihen und der Grenzöffnung zur DDR (und damit einem flexibleren Warenverkehr) wurden Konsumgüter von Kinderkleidung bis zum Waschpulver zugänglicher. Wenn’s im Staat kriselt, beschenkt man die Leute mit Konsumartikeln, das hat sich bewährt. Im Zuge dieser staatlich geförderten Hebung des Lebensstandards stieg der größte polnische Kosmetikproduzent Pollena (der bisher Artikel des täglichen Bedarfs von Seife bis Haarshampoo herstellte) in die Parfümproduktion ein. Das dort kreierte Parfüm «Vielleicht …» («Być może») – ein Klassiker der volksrepublikanischen Duftlandschaft – wird gemeinhin als «sozialistische Version von Chanel Nº 5» beschrieben. Das zweite Kultparfüm der polnischen Volksrepublik nennt sich «Pani Walewska». Der Duft von «Frau Walewska» wird heute eher mit Großtantengeruch assoziiert, fand damals aber großen Anklang. Der Name leitet sich von der polnischen Geliebten Napoleon Bonapartes, Maria Walewska, ab. Das Parfüm spielt also bezeichnenderweise auf Polens Platz in Europa (trotz Ostblock) an. Polen als Geliebte (und Sehnsuchtsobjekt) Europas rekurriert damit auch auf die traditionellen polnisch-französischen Verbindungen (über das Liebeslager Napoleons hinaus).

Rhapsody mit Paprika-Note.

Die große Zeit der Staats-Parfüms ist heute vorbei, die sozialistischen Größen von «Rotes Moskau» bis «București» erfreuen nur noch Nostalgiker_innen und Freaks auf Ebay. Die großen Parfümnamen waren insofern von großer kultureller Bedeutung, als sie noch eine ganze Epoche und den Zeitgeist ihrer Entstehung repräsentierten – unabhängig ob in West oder Ost. Jedoch etablieren sich zunehmend kleine Parfümdesigner mit Neuauflagen historischer Rezepturen oder aber Anspielungen auf ein regionales Duft-Imaginarium – sie kreieren Parfüms, die nicht unbedingt auf den Drogerieketten-Markt abzielen. Auf Neuinterpretationen von Düften aus der Kaiserzeit hat sich das Unternehmen «Wiener Blut» spezialisiert. Das Geschäft mit kulturellen Topoi funktioniert, unlängst wurde der Duft «Freudian Wood» herausgebracht, der auf die klassischen Wien-Assoziationen um Psychoanalyse und Psychosen anspielt. In Ungarn kam 2006 das erste «nationale» Parfüm aus dem «Land der Magyaren» unter dem Namen «Hungarian Rhapsody Nº 5» auf den Markt. Es wird als Mitbringsel neben «großen Hungarika wie Pick-Salami und edelsüßem Tokajer Wein» empfohlen und riecht neben bekannten Parfümingredienzen auch ein wenig – nach grünem Paprika!

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