Routinen und AbenteuerArtistin

Musikarbeiter unterwegs … von der Straße(nmusik) zum festen (Musik-)Wohnsitz

Alicia Edelweiss ist eine großartige junge Musikerin, die in Wien arbeitet und lebt. Ihr ­Debütalbum heißt Mother, how could you, Ende Juli konzertiert sie beim Popfest.Von Rainer Krispel (Text) und Mario Lang (Foto).

Die Zeit raubvögelt wie blöd. Neben und – bald! – nach so fragwürdigen Vergnügungen wie Fußball-Weltmeisterschaften rückt so das Popfest (26. bis 29. Juli) rasend näher. Kuratiert von der Musikjournalistin Katharina Seidler und Nino Mandl, als Der Nino aus Wien schräg-schillernde Lyrik-’n’-Lied-Lichtgestalt der jüngeren A-Land-Musikjahre, wird das (wieder) eine geballte Gelegenheit, sich in die Welt dieser Artikelserie einzuklinken. Schon vor der Pressekonferenz nimmt dafür ein, dass nicht nur der Musikerinnen-Anteil wie selbstverständlich passt (Aivery, Dives, Mavi Phoenix …), sondern noch dazu die beste Band des A-Landes, Naked Lunch, endlich wieder in Wien und erstmals dort spielt. Dass die Kärnten-Überwinder und Welt-Durchdringer, Oliver Welter, Herwig Zamernik & Co schon davor, am Tag des Erscheinens dieser AUGUSTIN-Ausgabe, einen neuen Song veröffentlichen, Here Come The Bells, stellt diesem schreibenden Fan (Vor-)Sommer-Ekstase in Aussicht. Ähnliches versprechen beim Popfest Naked-Lunch-Kolleg_innen, die noch nicht ganz so bekannt sein mögen. Wie Alicia Edelweiss.

Definition von Freiheit.

«Teilweise komödiantisch, teilweise auch sehr tragisch», umschreibt Alicia ihre Songs und das Spektrum ihrer Musik, die das Leben der Mittzwanzigerin seit einigen Jahren begleiten und reflektieren, und deren öffentliches Aufführen eine zentrale Rolle in eben diesem spielen. Erste Lebensjahre in Kärnten, dann im Niederösterreichischen bis zur Matura, die Großmutter Chorleiterin in der Dorfkirche, mit einer Gitarre, die zu erstem Kennenlernen und Klimpern einlädt. Die Mutter hat Wurzeln in Wales und Spanien, der Vater ist ein Hiesiger, ihre Liebe fanden sie beim Reisen, beide Elternteile singen gerne. Alicia – den Namen suchte sie sich selbst mit fünf aus ­– lernt zwei Jahre Gitarre, später erarbeitet sie sich selbst Akkordeon, Klavier und Ukulele, begleitet damit eine Stimme, die schön klingt und der mensch gerne zuhört. Schulausbildung fertig, treiben sie Sehnsucht und Ängste hinaus; reisen will sie, aber wie, ohne Geld? Zwei Punx weisen den Weg, Alicia wagt, «dort einzusteigen, was vorbeikommt», und «aufs Leben zu vertrauen», bereist so Europa. In Barcelona hilft ein Freund beim Schritt zur Straßenmusik: «Du bist nie bereit, Du musst dich hinstellen und machen.» Das Repertoire umschreibt sie zwischen Freak Folk und Folk, nennt Moldy Peaches, Joplin und Dylan als weiterführende Orientierungspunkte.

Ängste als Kompass.

In Portugal, einer weiteren Station ihres vagabundierenden Lebensstils, zwingt sie ein Freund geradezu eigene Songs zu schreiben. Über die Bandcamp-Seite der Künstlerin zu hören und beziehen, dokumentiert diese Phase I should have been overproduced (2012) mit sieben Liedern. Mit den Songs – das positive Feedback auf der Straße, wo diese naturgemäß roadgetestet wurden, zerstreute diverse Unsicherheiten und Bedenken Alicias, etwa, dass ihr Englisch nicht gut genug sei – ging der Gedanke an die Rückkehr nach Wien einher. Hier lebt sie mittlerweile gerne, genießt es, einen Ort zu haben, ihre Wohnung, wo sie Routinen leben kann, die ihr, wie sie sagt, gut tun. Zu schreiben, täglich, den verbalen Stream of Consciousness fließen zu lassen, wobei Texte meistens die Basis ihrer Songs sind: «Ich weiß’ schon, wenn was ein Song ist.» Die Musik entsteht am Akkordeon, das Wegfallen des täglichen Beschaffungsdrucks (Essen, Schlafplatz, Dusche) macht Raum für künstlerische Arbeit. In einem Jahr entstand, mit einem Mikrophon aufgenommen, Mother, how could you, eine Sammlung von zehn Liedern, «a sick tragic comedy in ten acts», deren Titel übrigens Alicias Mutter vorgeschlagen hat (Freud hätt’ a Freud!), wahlweise mit einem selbstgestalteten Booklet oder als reiner Tonträger erhältlich. Alicia, die als musikalische Sidewoman in der Ansa-Panier von Voodoo Jürgens einiges zu spielen hat, kultiviert einen ganz eigenen Stil, der erstaunliche Dinge sagt («We’re all fucked up», «The Prostitute and the Manager»). Dem Vernehmen nach – ich hab’ sie noch nicht live gesehen, hoffe aber, dass ich bald werde – arten Alicias Konzerte gerne aktionistisch aus, «wenn der Raum und die Menschen passen». Mittlerweile gibt es einen 50-minütigen Film über sie: «The Sound Of Alicia Edelweiss», der ihre einnehmenden Eigenheiten und Idiosynkrasien zu dokumentieren versucht. Der Lust am Zirkus geht sie seit einiger Zeit nach, was neue Perspektiven birgt und zeigt, dass der Edelweiss’sche Abenteuer-Spirit alive and kicking ist. Whatever happens (next), beim Popfest wird sie mit ziemlicher Sicherheit mit Lukas Lauermann und Matthias Frey aka Sweet Sweet Moon spielen. Garantiert speziell!