«Ruhe ist ein Privileg»Artistin

Zoe Gudović, mit dem Projekt Rest is Resistance (Foto: © Carolina Frank)

Zoe Gudović benutzt das öffentliche WC als Schauplatz ihrer Kunstperformances. Auf ihre fröhliche Art macht sie deutlich: Auch ein Klogang ist politisch.

 

Du beschreibst dich als lesbische Künstlerin, Feministin, Aktivistin und Kulturmanagerin. Du bist auch Dragking und Radiomacherin. In deiner neuen Performance «Rest is Resistance» («Ruhe ist Widerstand») wirfst du die Frage auf: Wem ist das Recht auf Ruhe vorbehalten, wem vorenthalten? Kommst du überhaupt zur Ruhe, wenn du so aktiv bist?

Zoe Gudović: BIPoC und Menschen mit Migrationsbiografie werden so ausgebeutet, im Bau oder in der Reinigung. Dann zu hören, dass Migrant:innen faul sind und nicht arbeiten wollen, sie sollen mehr leisten, das macht mich extrem wütend. Ernsthaft?! Wir arbeiten hart, wir haben keine Zeit zum Nichtstun. Als Migrantin in Wien muss ich ständig ­beweisen, dass ich nicht faul bin. Wenn ich nichts leiste, werde ich nicht gesehen.

Deine aktuelle Performance «Ruhe ist Widerstand» ist ein «Toilettenspektakel». Wie kommt es dazu, dass du Kunst auf öffentlichen WCs machst?

Ich bin 1977 im ehemaligen Jugoslawien, heute Serbien, in Belgrad geboren und aufgewachsen, in einer kinderreichen Familie der Arbeiter:innenklasse. Wir lebten zu sechst in einer 36-Quadratmeter-Wohnung. Ich teilte ein Bett mit einer Schwester. Die Toilette war der einzige Raum, wo ich ein Stück Freiheit ­genießen konnte, den ich für mich ­alleine hatte, wo ich zur Ruhe kam, das erste Mal masturbiert habe. Dort habe ich gelesen und mein Studium gemacht.
Es war nicht nur für mich so, für alle Familienmitglieder. Mein Vater baute einen Aschenbecher und rauchte dort. Dementsprechend war die Toilette der am meisten begehrte und am meisten besetzte Raum in der Wohnung. Es ist für mich der Raum der Intimität, aber auch ein gemeinsamer, ein öffentlicher, denn alle teilen ihn. Auf der Toilette, ­unabhängig von Klasse und Herkunft, sind wir alle gleich. Die Toilette war und ist mein Tempel.

Inwiefern ist Ruhe Widerstand?

Ruhe ist ein Privileg. Immer wieder hören wir die Botschaften: Ruhe, Müßig­gang, Meditation, Introspektion tun uns gut, wir sollen richtig atmen, nach innen schauen. Das ist aber ein bürgerliches Privileg. Was machen, wenn die einzige Möglichkeit, es ruhig zu haben, der Klogang ist? Mich interessieren jene, die dieses Privileg nicht ­haben. In ­einer ­Fabrik in Serbien müssen die arbeitenden ­Frauen ein rotes Band um den Oberarm tragen, wenn sie ihre Menstruation haben, um öfter aufs WC gehen zu dürfen. So erniedrigend!

Mit «Toilettenspektakel» verbindet man etwas Lustiges, Unterhaltung und Spaß. Kommen deine durchaus ernsthaften Inhalte dabei an?

Ich will damit provozieren. Ich weiß nicht, inwiefern die Ernsthaftigkeit wirklich wahrgenommen wird. Was ich will, ist, diese Trennung «wir oder sie» zu brechen. Das ist wesentlich in meiner Arbeit. Die Toilette ist der Schauplatz, nicht die Message.
Es stellen sich für mich die Fragen: Wie kann ich Kunst nutzen, um ­soziale Transformation anzustreben? Wer hat überhaupt das Recht auf Kunst? Es ­interessiert mich wenig, in großen Kunsthäusern zu performen, die nicht wirklich öffentlich sind, denn nicht alle ­haben Zugang dazu. ­Institutionalisierte Kunst schließt einkommensschwache Menschen aus. Meine Performances sind öffentlich, für alle, deshalb führe ich sie im öffentlichen Raum auf. Die Frage des Gehörens – wem gehört was und wo? – brachte mich dazu, Kunst in öffentlichen Toiletten zu machen.

«Ruhe ist Widerstand» ist nicht deine erste Toilettenperformance.

Richtig. In Belgrad und auch in Wien hatte ich schon einige. Die erste ­führte ich vor fünf Jahren in München auf, im Kunstprojekt Das KloHäuschen in der Großmarkthalle. Dort war eine karitative Essensausgabe für vorwiegend Migrant:innen und Geflüchtete unmittelbar vor einem öffentlichen WC. Dieser traurigen Szene wollte ich mit einer fröhlichen Performance entgegentreten. So baute ich eine Jukebox auf, lud die Leute ein, Musik von ihren Ländern zu bringen. Wir haben zusammen getanzt, es war großartig.

Die Veranstaltung findet am 6. Mai in Floridsdorf statt. Warum Floridsdorf?

Als ich ganz neu in Wien war, habe ich Freund:innen dort besucht, wir spazierten durch den ganzen Bezirk und ich habe mich wortwörtlich verliebt in diesen Stadtteil. Ich wohnte damals im ­6. ­Bezirk, und niemand von jenen, mit denen ich in den zentralen Bezirken Wiens sprach, ­konnte ­begreifen, warum ich so ­fasziniert von Floridsdorf war, die ­meisten sind nie dort gewesen. Aber ich will – wenn ich ­irgendwo neu bin – den Puls der Stadt spüren. Daher zieht es mich in die Peripherie. Ich beobachte dabei: Wer ist im Zentrum, wer wird an den Rand gedrängt?
Ruhe ist Widerstand war ursprünglich für ein öffentliches WC in Floridsdorf geplant. Da ich jedoch die Genehmigung dafür nicht bekommen habe, werde ich selber eine Toiletten-Installation bauen und dort meinen Dragking-Charakter Zed Zeldich Zed performen.
Über 70 Musiker:innen und Künst­ler:innen treten mit mir auf, das Programm erweitere ich ständig, alle sind so enthusiastisch! Zugesagt und fix mit ­dabei sind der Chor Hor 29. Novembar, ­Maracatu Nossa Luz, Jornadas de ­Resonancia, Feministisches* Bloco Descolonial. Am DJ-Pult das Freie Radio Orange 94.0. Es wird ein Schattentheater geben und – ganz toll: ein Openmic für die Jugendlichen, die auf dem Skatepark abhängen und mich gefragt haben, ob sie mitmachen können. Aber klar! Zudem organisieren wir eine partizipative Ausstellung. Im April werde ich mit Boban Ristić, einem der beteiligten Künstler:innen, Objekte der lokalen Community sammeln, Dinge, die sie mit ihren Wurzeln im Stadtteil verbinden, diese stellen wir am 6. Mai aus. Wir wollen Floridsdorf ins Zentrum des städtischen Geschehens bringen.

Auf Radio Orange hast du eine eigene Sendereihe, in der du feministische
Themen behandelst. Die Radiosendung hast du aus Serbien nach Wien «mitgebracht».

Vor fast 20 Jahren startete ich in Belgrad die Radiosendung «Ženergija», ein Wortspiel aus Frau und Energie. Ich ­musste damit aufhören, sie streichten sie aus dem Radioprogramm, weil ich ­Lesbe bin. Bevor ich nach Wien kam, habe ich junge Mädchen in die Radiosendung eingebunden, ihnen das Radiomedium schmackhaft gemacht und sie setzen die Sendung fort mit «Ženergija Hub». ­Jeden Donnerstag gehen sie in Belgrad live auf Sendung, gleichzeitig bin ich live in Wien auf Radio Orange mit «Ženergija». Das freut mich sehr. Wir haben die Verantwortung zum Teilen, gerade als Feministinnen. Wir brauchen viele Stimmen, ­Feminismus hat weder Platz noch Zeit für Konkurrenz.
Mit «Ženergija» will ich ein Audiotagebuch führen, das nicht in Schulbüchern vorkommt. Über Frauen, über Queers. In Serbien war ich in Gefahr, als lesbische Aktivistin. Allerdings nicht nur in ­Serbien. Gerade gestern (29. März, Anm. d. R.) wurde das Tipp-Haus des Vereins Türkis Rosa Lila angegriffen. Das Haus, in dem ich mein erstes Zuhause in Wien gefunden habe, das seit 40 Jahren verschiedene LGBTQ+-Menschen aus aller Welt willkommen heißt, wurde brutal angegriffen. Es wurden Leuchtraketen, Tränengas und Flugblätter mit rechten Parolen geworfen. So etwas ist ein Angriff auf mich als Mensch. Ich bin, wie ich bin, ich kann es nicht ändern. Und ich will und werde mich nicht ändern, nur um heteronormative Vorstellungen zu befriedigen.
Ich bin aber auch eine Optimistin. Ich will all diese Negativität in was ­Gutes verwandeln. Ich bin nicht alleine, so ­viele gibt es, die so sind wie ich. Wir sind nicht falsch. Mich inspirieren zwischenmenschliche Begegnungen auf ­Augenhöhe. Mich fasziniert die Magie des öffentlichen Raums, insbesondere öffentlicher Toiletten, sie gibt der Kunst eine besondere Bedeutung. Kunst ist im ersten Moment unproduktiv. Aus der Faulheit kommt Kreativität. Die besten Ideen haben wir übrigens, wenn wir faul sind.

Hast du die besten Ideen, wenn du auf der Toilette bist?

Ja. Und ich nehme mein Handy nie mit. In diesem Moment bin ich nur für mich da. Das ist mein Rat an alle: «When you clean yourself, be yourself!» Sei du selbst, wenn du dich selbst putzt!

 

Performance, Toilettenspektakel Rest is Resistance
6. Mai, 16-22 Uhr
21., Outdoor-Sportpark Bodenstedtgasse
(bei U6-Station Floridsdorf)
Facebook-Event: Rest is Resistance / Ruhe ist Widerstand
www.fb.me/e/JUxzeuIN

«Ženergija» auf Radio Orange 94.0
Jeden Donnerstag 19 Uhr
www.o94.at/programm/sendereihen/zenergija

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