25 Jahre arbeitete Richard Schuberth neben seinen literarischen und anderen Tätigkeiten auch beim AUGUSTIN. Jetzt hat er uns zur Erstveröffentlichung diese satirische Erzählung zur Verfügung gestellt.
Ich hasse Sally. Sally wohnt in meinem Text. Dort wo eigentlich ich wohnen sollte. Aber seit Sally sich darin breitgemacht hat, mag ich nicht mehr wohnen drin. Wenn alle Kapuzineräffchen wie Sally sind, dann – drücken wir es vorsichtig aus – gäbe es wohl größere Tragödien als eine Affenart weniger auf der Welt. Sally ist böse. Zuerst hat sie mich aus meinem Text vertrieben und dann in der Ägäis ertränkt. Ja, mich. Ich bin Jungschriftsteller. Zumindest war ich es. Bevor ich Wasserleiche wurde. Meine Finger sind geschwollen wie die Köpfe ertränkter Katzenbabys. Und selbst wenn ich sie bewegen könnte, auf keiner Tatstatur dieser Welt ließe sich mit geschwollenen Katzenbabyköpfen schreiben, ohne dass ein getipptes E zu einem ERT, ein P zu einem OPÜ wachsen würde. Ich schreibe nur so leise, weil Sally meine Metaphern hasst. Ich habe Angst, dass sie mich wieder beißt.
Das alles muss Ihnen recht sonderbar vorkommen. Darum eines nach dem anderen. Das erste Mal begegnet bin ich Sally heute Nacht, als ich mit einem meiner besten Absätze fertig geworden war. Doch ich sollte meine Freude bald bereuen. Ich hatte geschrieben:
Jussuf wittert den Geruch des Schnees, den der Wind in synkopischen Schüben über die Hochweide weht. Er nimmt die Brille ab. Er beäugt gegen das von Wolkenwatte gedämpfte Sonnenlicht die Sprünge im Glas. Ausgreifenden Armen einer sich im Winde biegenden Weide gleichen sie. So will es Jussuf scheinen. Tränenlos wacht er über die seinen. Die Ohren haben sich gegen das Stöhnen der Kinder verschlossen, wie Austern verschlossen gegen das Wimmern, das Bibbern, Bangen, Beben. Fünf Kilometer noch bis zur mazedonischen Grenze, sagt er. Bleich prangt Maryams Antlitz über dem Preußischblau des Tommy-Hilfiger-Anoraks, den sie bei der Sammelstelle in Kavala ergattern konnte. Kaum eine Regung verrät den Kindern, dass Mama noch lebt. Hängende Augenwinkel, hängende Mundwinkel sind seit Kos ihr ins Gesicht gemeißelt. Es wird schneien, spricht Dschafar. Die Gänseblümchen, die er für die Schwestern gepflückt hat, können deren Weinen nicht dämpfen. In Ahnung des Schnees haben sie ihre Blüten zusammengekrallt wie die Grenzpolizisten ihre Herzen. Kein Stern zu Betlehem leuchtet überm trüben Horizont. Schneien wird es. Der Himmel wird ein weißes Grabtuch weben und über die Hügel legen, die sich ausnehmen, als hätte Europa sie mit tyrannosauerierrexgroßen LKWs am Vortag hier abgeschottert, um Jussuf und die Seinen am Fortkommen zu hindern.
Super.
Ja, ich weiß: Ab den Gänseblümchen wird’s grenzwertig. Obwohl, und es gibt immer ein Obwohl, das aus einem syrischen Poesieverständnis heraus sicher nicht als Kitsch empfunden würde. Die beiden Relativsätze sollte ich noch in Hauptsätze auflösen. Die Leser wollen abgeholt werden.
Ich muss der Schilderung der weiteren Ereignisse vorausschicken, dass ich ein Anhänger bildhafter Sprache bin. Einer Sprache, die forschend, suchend, natternd in die Zwischenräume und Verwerfungen der Realität dringt, um sie zu sprengen, neue Räume aufzutun, kurzum, einer anderen Sprache, als sie in St. Pölten, wo ich wurde, wuchs und litt, gepflogen wird. Dabei steht der Sinn mir nicht danach, in neurasthenische Empfindsamkeit mich einzuigeln, sondern durchaus mich den Fragen der Zeit stellen will ich. Nicht über das Ertrinken meiner Seele in einem Tautropfen schreiben, sondern – das find ich megawichtig, mehr denn je – über syrische Refugees.
Nur für den Fall, dass sie dem Affen mehr glauben als mir. Denn Sally, auch das will ich eingestehen, kann sehr charmant sein. Umso mehr muss man sich hüten.
Als ich also versuchte, den Satz zu löschen, blockierte etwas die Löschtaste, ein Sesamkorn, ein Brotkrümel vielleicht oder … Da, schnell, schlängelnd, schwarz verschwand es im beleuchteten Untergrund der Taste. Ekel befiel mich. Ein Silberfischchen? Können Staubmilben so groß werden? Ich rieb mir die Augen. Drei Nächte nicht geschlafen, einen Hektoliter grünen Tees; der Text musste am Montag fertig sein, ich hatte es dem Kultursonderbeauftragten der neu installierten Abteilung im Innenminsterium »Flucht und Rückkehr« für seine Anthologie versprochen. Lange fixierte ich den illuminierten Tastenrand und gab mich Fantasien über Zauberwelten im Inneren des Keyboards hin, als plötzlich das Display, es hatte sich auf Standby geschaltet, aufleuchtete und ich mysteriöse Bewegungen in meinem Text gewahrte. Der sprichwörtliche springende Punkt – er hüpfte von Buchstabe zu Buchstabe. Von wegen sind Macbooks virensicher. Ich vergrößerte das Bild. Was wurde mir da für Streich gespielt? Ein schwarzes Äffchen hantelte sich von Serife zu Serife des Wortes »Grenzschutzpolizist« und hängte sich mit dem Schwanz kopfüber ins B von »Betlehem«. Beim Versuch, das Programm zu schließen, fuhr mich ein lautes Fauchen an, und ein zähnebleckender Affenkopf füllte den Bildschirm aus. Ich schlug den Laptop zu und zog den Stecker. Hatte ich halluziniert oder war ich Opfer eines launigen Virus geworden? Unsinn. Sachte öffnete ich das Gerät. Fester presste ich den Daumen auf die Starttaste als sonst, schaltete es aus und ein. Das Textprogramm stellte sich wieder her, die Zeilen boten sich mir dar wie im Moment, als die Vision begonnen hatte. Doch was war das? Einzelne Buchstaben flossen nun nach unten ab, die verbliebenen hakten sich ineinander und tanzten – ja, sie tanzten so etwas Ähnliches wie Can-Can vor mir, ehe sie sich zu folgender Botschaft fügten: Ein Weilchen noch, mein Junge, dann komme ich zu dir.
Alle Versuche, das Programm zu beenden, waren vergeblich. Ich sprang hoch, der Sessel kippte aus meinen Kniekehlen, ich warf mich mit dem Rücken gegen die Wand. Die Lettern fügten sich wieder zum vorigen Text, bloß verschoben sich die Zeilen nach zwei Seiten eines sich in die dritte Dimension hebenden Scheitels, eine krustige Spalte klaffte am Bildschirm, eine behaarte Pfote umklammerte deren unteren Rand, und die verbissene Fratze eines Äffchens schob sich mit dem Druck seines Nackens durch die Öffnung, bis diese so weit gespreizt war, dass das Teufelsvieh mit einem Satz aus dem Laptop auf den Tisch springen konnte. Der Schreck drosselte meinen Schrei. Das Teufelchen, es handelte sich ohne Zweifel um ein Kapuzineräffchen, eine Art, die ich unter anderen Umständen ausgesprochen süß finde, stand auf den Hinterbeinen, reckte den unruhig wiegenden Kopf in meine Richtung vor, als würde es gleich zum Sprung auf mich ansetzen, und stieß, als es meine Angst merkte, kreischendes Lachen aus. Dann stemmte es seine Pfoten in die Hüften und begann ein lustiges Tänzchen, wie ich es von englischen Matrosen aus den Abenteuerfilmen meiner Kindheit kannte. Die Performance beendete es mit zwei Salti, einen nach hinten und einen nach vorne, ehe es sich mit graziös abgespreizten Armen vor mir verbeugte. Angst und Beigeisterung spielten mit meinen Händen wie mit einer Marionette und ließen mich heftig applaudieren. Das Vieh winkte mich zu sich. »Komm her!«, befahl es. Mein Gott, es konnte sprechen! Noch nie war meine Wahrnehmung so klar wie in diesem Moment, da ich erkannte, dass ich den Verstand verlor. Es streckte mir die Pfote entgegen, ich ergriff sie, und war gerührt von der Wärme ihrer Ballen und dem weichen seidigen Haar.
»Hi, ich heiße Sally«, sagte es.
»Sally?«, wiederholte ich ungläubig.
»Ja, ich wohne in deinen Texten. Sag mal, Kamerad, hast du eine Zigarette für mich?«
Eine Zigarette? Obwohl Nichtraucher seit Mai, hatte ich eine Packung für Gäste und den Notfall im Schrank. Sei’s drum, dachte ich, eine im Wahntraum gerauchte Tschik macht einen nicht ungesünder, als man ohnehin ist, und so rauchten Sally und ich, und ich muss gestehen, dass ich es sehr kokett fand, wie sie den Stängel zwischen Daumen und Zeigefinger klemmte und bei jedem Zug die Augen zusammenkniff. Ein, zweimal kam ich auch in den seltenen Genuss eines Kapuzineräffchenhustens.
»Weißt du«, unterbrach Sally die Stille, während sie den Stummel auf dem Ballen ihrer rechten Pfote ausdämpfte (Sally war nämlich Linkshänderin), »wir haben ein Problem mit dir.«
Wer ›wir‹ seien. Na alle, die in meinen Texten wohnten. Sie hätten sie, Sally, delegiert, um es mir zu sagen. Was sagen? Sally blickte scheu zu Boden, dann hob sie ihr Haupt, legte es frech zur Seite, kniff ein Auge zu und grinste.
»Wir halten deinen Stil nicht mehr aus. Der ist echt zum Kotzen.»
Ein schrilles Lachen war das Einzige, was mir dazu einfiel. Alles klar: in Albträume sublimierte Selbstzweifel. Kein Dichter, der so was nicht mal träumt. Da musste ich durch. Doch war ich noch genug bei Sinnen, um die Sache vielleicht auch im Traum zu meinen Gunsten zu entscheiden. Versuchen musste ich’s.
»So, so, Literaturkritikerin bist du also. Ein Affe mehr in dieser Zunft.«
Sally kreischte drauf los und machte zwei Salti rückwärts, plötzlich hielt sie inne und befahl: »Gib mir zu essen! Ich habe einen Mörderhunger.«
Als ich mit Kuchen aus der Küche kam, hatte sie sich eine Weitere angezündet. Ich konnte nicht umhin, das Bild eines den Rauch der Bedeutsamkeit in den Raum schwallenden Affen zu bewundern. Beim Anblick des Kuchens schnalzte Sally die Zigarette mit dem Nagel des Zeigefingers von der Daumenkuppe. In weitem Bogen flog der Stummel durch den Raum und landete auf dem Flokati. Ich hatte einige Mühe, ihn von den angesengten Fellspitzen zu klauben.
»Um das Bild eines den Rauch der Bedeutsamkeit in den Raum schwallenden Affen zu bewundern«, hörte ich Sallys Stimme hinter mir.
»Woher zum Teufel …?«
»Da staunst du. Ich kann Gedanken lesen. Kitschi-Kitschi. Kitsch-Kitsch-Kitsch«, wiederholte sie und schlug dabei neckisch die Backenzähne aufeinander. «Du gehörst zu den Leuten, die nicht stehen bleiben, sondern innehalten, nicht wahr?«
Wollte Sally mir gar Phrasen vorwerfen? Da sprach die Richtige! Ihr vorgeblich genervtes Augenzuhalten und Kopfschütteln gehörten überhaupt zu den abgedroschensten Gesten der Affendressur.
»Das war nur ein erster Entwurf. Ich hätt’ es nie niedergeschrieben.«
»Und als du mich zuvor angeschaut hast«, fuhr Sally fort, »dachtest du: ›Sallys aufgestelltes Silberhaar siebte die Schwaden, die von ihrer Kippe stiegen wie blaue Wünsche.‹ Aber warte, noch besser ist das: ›Um den Filter schürzten sich Sallys Lippen schamlos wie eine Fotze im Hochsommer.‹«
»Das ist eine Lüge, und ersteres eine Alliteration, das ist der gleiche Anlaut …«
»Kommt das von Aliterat?«
Ich schmiss den Pokal der Rauriser Literaturtage nach ihr. Er traf sie nicht. Vor Triumph jaulend lief sie im Stand.
»Wer bist du verdammt?«
»Ich bin bloß ein stinknormaler Dämon, der in deinen Texten wohnt. Ich hab’ keine spezifische Form. Ich hätt’ dir auch als kalte Pizzaschnitte erscheinen können oder als Tilda Swinton.«
Ich durchschaute Sally. Sie erwartete, dass ich sage: Tilda wär’ mir aber lieber gewesen, um mich deshalb zu verspotten. So sagte ich bloß: »Oder als Seufzer eines ertrunkenen Liebenden?«
Sally schüttelte so energisch den Kopf, dass ihre Schnute flatterte.
»Nein, als Seufzer nicht.« Ihre Salti gingen mir allmählich auf die Nerven.
»Das war Selbstironie, du … Affe.«
»Selbstironie«, sprach das Kapuzineräffchen in näselnd-blasiertem Ton, »ist die leicht durchschaubare Methode der Täuschung, mittels welcher der Narr durch Eingeständnis der harmlosesten Aspekte seiner Narretei die Umwelt glauben machen will, keiner zu sein.«
Dann setzte es in weiten Sprüngen vom Schreibtisch über die Couch und landete in meinem Gesicht, in das sich seine Pfoten krallten.
»Ich erscheine dir als Äffchen, weil Äffchen besser beißen als Pizzaschnitten und Tilda Swintons, sei froh, dass ich dir nicht als Uschi, die Riesenratte erschienen bin.«
Sally biss mir in die Stirn, es schmerzte kaum, war mehr ein lustvolles Brennen, trotzdem stolperte ich nach hinten und fiel rücklings aufs Sofa. Sie hüpfte auf meinem Brustkorb wie auf einem Trampolin.
»Wir halten deine Metaphern nicht aus, die ganze Art, wie du deine Geschichten mit Bedeutsamkeit anpinselst, wie du auf der Suche nach dem mot juste jedes mot extraordinaire aufklaubst, das andere an den Wegrand geworfen haben.« Bei jeder dieser französischen Wendungen warf sie den Kopf ruckartig zur Seite und fuhr sich geziert durch den Scheitel.
»Na bin ich nicht gut, Richie Boy? Deshalb also man hat mich geschickt, um dich zu beißen.«
Darauf schlug mir Sally ihre Fangzähnchen ins Genick. Das mochte zärtlich aussehen, tat aber richtig weh.
»Synkopisch wehende Schübe«, äffte sie, »wie traurige Weiden ausgreifende Brillensprünge, existenzielle Verlorenheit, die sich wie erbleichte Plastikfetzen in kahlen Weißdornkronen verfängt … Kein schwerer Atem in deinen Texten, der nicht wie von einem Metronom getaktet ist.« Bei jedem dieser angeblichen Beweise meiner stilistischen Renommiersucht biss sie zu. Leicht nur. Die Demütigung biss tiefer ins Fleisch.
»Mann, hast du nur eine syrische Flüchtlingsfamilie erfunden, um sie den Spießrutenlauf durch deine Metaphern machen zu lassen, als reichten die Knüppel der Grenzbullen nicht. Und kein Gummiknüppel, der bei dir nicht minutenlang nach Stilblüten stinken darf. Weil deine und die Sinne deines Publikums abgestumpft sind, muss die totale Sinnlichkeit her. Das Leid der Syrer ist euch zu abstrakt, es will mit Thymian und Oregano gewürzt sein. Wie hast du geschrieben?: Der dumpfe Duft von wildem Oregano beizt Maryams Schmerz von Kavala bis Prosotsáni.«
Schützend wehrten meine Hände Sallys Versuche ab, mich zu kitzeln und zu pieksen.
»Na los, lach schon. Ich weiß, dass du kitzlig bist. Wie Polizistenherzen zusammengekrallte Gänseblümchen, wie Stethoskope an vereisten Fenstern klebende Frostlilien. Selbst deine kurzen Sätze sind Nippes, und dein kalter Ton der Entfremdung ist warm wie ein Biedermeierkamin. Und alle zwei Absätze: Es ist ihm, als ob – es ist ihm, als ob – es ist ihm, als ob Sally ihm gleich die Eier abbisse.«
Blitzschnell sprang sie auf Höhe meines Schoßes zurück, den ich mit beiden Händen verdeckte wie …
»Botticellis Venus ihre Scham«, frohlockte Sally und biss mir in die Nase. »Von den faulen Früchten deiner gehobenen Wikipedia- und Synonymwörterbuchbildung hab ich noch gar nicht gesprochen.«
»Zieh doch zu Hemingway um, wenn es dir in meinen Texten nicht passt!«, schrie ich.
»In deinen aber lebt sich’s billiger.«
Sally hatte mit der Ohrfeige nicht gerechnet. Der Anblick ihrer tränennassen Augen schnitt wie Maschendrahtnetze in mein … doch ich traute mich diesen Vergleich nicht fertigdenken aus Angst vor weiteren Bissen. Mit ängstlich zur Seite geneigtem Köpfchen sah sie mich an. Und ich fiel drauf rein.
»Ach komm, Sally, ein bildloser Text hungert die Fantasie aus.«
»Wer spricht von bildlos? Wir finden bloß deine Bilder schlecht. In manchen von deinen Files gibt’s allerdings auch echt gute. Den da zum Beispiel find ich toll: Du machst Liebe wie ein stolzer, zorniger Kolibri.«
Dieser Satz war nicht von mir, er war von meiner Exfreundin Heidrun.
»Du liest meine Emails.«
»Ich sagte nur: in deinen Files.«
Sally belohnte ihre Frechheit mit drei weiteren Salti.
Ich schenkte uns Whisky ein. Solange ich diesen Dämon nicht von meiner stilistischen Autorität überzeugen konnte, fände ich keine innere Ruhe. Irgendein urmännlicher Instinkt flüsterte mir zudem ein, dass Sally nicht meinte, was sie sagte, sondern mich neckte, weil sie heimlich auf mich stand. Doch unsere Diskussion blieb im Patt. Während sie im Schneidersitz auf dem Couchtischchen hockte, mit leger gekrümmtem Rücken, ihre vierte Zigarette rauchte und mich mit dem Anblick ihrer kleinen Kapuzineräffchenmuschi irritierte, die sich vom schwarzen Haar abzeichnete wie ein auf Kinderhaar geklebter rosa Kaugummi … Aua, schon wieder hatte sie mich gebissen … ins Knie … während das Dreckstück also paffend herumlungerte, gab es eine weitere Expertise kund.
»Schau, Schatzi, du musst deine Texte mit dem Botox der Originalität und der Empfindsamkeit aufspritzen, weil die Geschichten sonst nichts hergeben. Weil dein Scheißleben nichts hergibt. Vom Germanistikstudium bist du direkt auf die Stipendienhalde gekarrt worden. In deinem Curriculum steht’s Schwarz auf Weiß.
»Das kannst du nur behaupten, weil ich meinen Ferialjob als Sperrmüllsammler und die Wahlbeobachtung in Dagestan nicht angegeben hab.«
»Alles egal«, lallte Sally leicht beschwipst, »du bist so eine leere Flasche wie deine Leser. Wenn die nicht aus Plastik, sondern Industrieglas sind, möchten sie gerne mit Kultur beklebt und Exzentrizität bekorkt werden, um zu vergessen, dass man sie täglich mit derselben Instantlimo füllt. Schau mich nicht so an, als würdest du gleich kotzen, weil du das Kondensat deines Selbstwertgefühls vom kalten Novemberfenster geleckt hast, das dir entschwadet war. Sorry.«
Sally biss sich in den rechten Unterarm und warf mir einen aufmunternden Blick zu.
»Mag mich doch ein bisschen, Alter. Ich mein es gut mit dir. Würdest du über mich schreiben, hieße ich übrigens Anaïs. Nicht wahr? An den Namen hast du zuvor gedacht, als mein Silberhaar die Rauchschwaden siebte. Anaïs. Sally ist dir zu prolo.«
»Das ist eine Lüge.« Wieder fuhr ich hoch. Sally flüchtete in Richtung Küche, ich setzte ihr nach. Dann sprang sie in die Gardinen, hantelte sich von Bausch zu Bausch, bis sie nicht mehr weiterkam. Dort, gefangen auf der Stoffplane, offenbarte sie mir ihre ganze ungezieferhafte Natur und weckte ein Gefühl der Stärke in mir. Als sie mich mit dem Besen anrücken sah, ließ sie sich zu Boden fallen, und wir setzten die Verfolgung wieder auf offenem Gelände fort. Wann immer ich innehielt, Verzeihung, stehen blieb, tat sie es mir gleich, und warf mir Blicke zu, aus denen Angstlust blitzte.
»An Penelope dachte ich kurz. Und Chantal.«
»Und Anaïs. Zwei Sekunden lang.«
Das Läuten der Haustürglocke beendete die Jagd. Sally ließ die Augen rollen und trommelte mit den Beinchen auf den Boden.
»Hoho, wer mag das sein zu später Stunde? Hoho, Gäste gar?«
Ich lief zur Tür, Sally kam mir zuvor und hängte sich an die Klinke. Ein Mann mit schwarzem Schnurbart und Stirnglatze trat ein, hinter ihm eine Frau mit Kopftuch, ein etwa achtzehnjähriger Jüngling mit einem Kleinkind auf dem Arm und zwei Mädchen mit zersaustem Haar und großen braunen Augen. Zwischen zehn und dreizehn Jahren mussten sie sein. Alle trugen sie Koffer und volle Plastiksäcke. Der Vater zudem einen Trekkingrucksack über dem silbrig glänzenden Jackett. Sofort sprang Sally in die Arme des jüngsten Mädchens. Dieses liebkoste sie, während ihr Schwesterchen zögerlich den Schwanz streichelte. Sally zauberte Lächeln auf die müden Gesichter der Familie.
Na warte, ich mach Affenrisotto aus dir!
Der Familienvater streckte mir die Hand entgegen.
»You are Richard, the writer?«
»Ja, I mean, yes, and you must be Jussuf … the refugee.«
»Exactly. And this is my wife Maryam, my son Dscháfar, my little ..«
»Little Leyla«, sprach ich, »and these two little beauties must be Njena and Magfira. Do you want some sweeties? Ha?«
Die Mädchen nickten schüchtern. Sally zeigte mir die Zunge.
„I thought, Dschafár has its accent on second syllable. Dschafár. To me this sounds more poetic.“
„Might be, but it is Dscháfar.“
„Are you sure?“
Es sei ihm eine Ehre, sagte Jussuf, nicht nur seinen Erfinder und den seiner Familie persönlich kennenzulernen, sondern nach dieser beschwerlichen Reise bei ihm wohnen zu dürfen. Ich legte meine rechte Hand auf die Brust, wie ich es in irgendwelchen Orientfilmen gesehen hatte, und neigte meinen Kopf mit schlichtem Lächeln. Dann bat ich Familie Al-Heqimi auf der Sitzgruppe Platz zu nehmen. Tee? Kaffee? Behutsam nahm ich Njena das Äffchen ab und trug es in die Küche. Dort schleuderte ich es zu Boden, was ihm nichts anhaben konnte, denn sofort war es wieder auf den Beinen, rannte seinen unbestimmbaren Zickzackkurs und verspottete mich. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Küchentür und sank wimmernd zu Boden.
»Das kannst du mir nicht antun. Ab Dienstag meinetwegen. Bitte! Bis dahin müssen sie in eine Notunterkunft. Ich brauche dieses Wochenende. Bitte!«
Sally stemmte ihre Handgelenke in die Hüften wie ein kleines Gör, das Mama spielt und ihr Brüderchen maßregelt: Ich solle endlich, belehrte sie mich, Verantwortung für die Geschöpfe meiner Fantasie tragen. Außerdem dürfe ich den Leuten nie die Linke geben, ich wisse schon, warum. In diesem Augenblick wurde mir klar, dass Sally sterben musste. Ich bat sie, die Gäste zu unterhalten. Während ich den Tee zubereitete, schob ich das Tablett mit dem Heidelbeerkuchen in den Gefrierschrank, ließ dessen Tür weit offen, und legte eine Rolle Isolierband griffbereit auf den Ausziehtisch.
Qualvoll schleppte sich das Gespräch, und je lieber und höflicher diese Menschen wirkten, desto mehr verabscheute ich sie, weil sie fleischgewordene Rufzeichen hinter meiner Selbstsucht waren. Am meisten aber verabscheute ich Sally, die mir das alles eingebrockt hatte.
»Well, unbelievable what you must have suffered on your journey.«
»Come on, Mr. Richard«, sagte Jussuf, »you must know far better than us.«
»A beautiful parka you wear, Mrs. El-Heqimi.»
»Thank you, it’s from Tommy Hilfinger.«
»Hilfiger, Mrs, El-Heqimi, Hilfiger. And you, Mr. El-Heqimi, I guess, we have to organise you new glasses.«
»Oh no, I like these cracks, reaching out like wind bent willow branches, as you beautifully remarked, Mr. Richard.«
Unsere Höflichkeitsfloskeln versickerten in trübem Schweigen, das Frau El-Hequimi mit erstaunlich akzentfreiem Deutsch unterbrach.
»Eine schöne Wohnung haben Sie, Herr Richard.«
Maryam El-Heqimi unterrichte Deutsch und Französisch an einer Privatschule in Aleppo. Ob ich mich nicht daran erinnere. Natürlich, ich hatte den Absatz gestrichen, weil er mir zu unwahrscheinlich vorgekommen war. Die Al-Heqimis waren also megakultivierter Mittelstand. Das waren nicht die Syrer, über die »Krone« und »Bild«, das waren jene, über die »taz«, »Zeit« und »Standard« schrieben, das waren die Syrer, über die – ich schrieb.
Maryam ergriff meine Hand und bedankte sich im Namen ihrer Familie dafür, dass sie bei mir wohnen dürfe, und ihre Augen- und Mundwinkel würden gar nicht mehr hängen und seien auch nicht mehr in ihr Gesicht gemeißelt. Die Breite, die sie und ihre Familie durchmessen hätten, sei so episch, und die Tiefe, die sie durchschwommen hätten, so lyrisch gewesen. Und überhaupt, diese blumige Sprache – sie und ihre Kinder könnten so viel lernen von mir.
»Komm Magfira, sag Herrn Richard, was du dem Herrn Grenzpolizisten in Austria gesagt hast.«
»Ihre Augen, lieber Herr Polizei, träufeln breitbeinige Verachtung auf uns.«
Lachen, Applaus, auch der Polizist habe gelacht, Magfiras Kopf gestreichelt und sie alle durchgewunken. Sally wälzte sich auf dem Wohnzimmertischchen, stieß ihr unerträglich schrilles Gelächter aus und schlug sich dabei auf den Bauch. Immer musste sie im Mittelpunkt stehen, und die Araber fanden sie natürlich goldig.
Nicht alle schätzten meine Sprache, verriet ich mit konspirativem Ton. Sally zum Beispiel sei meine schlimmste Kritikerin. Jussuf schüttelte den Kopf und schnalzte mit der Zunge.
»Na los, Sally, sag schon unseren Gästen, was du von meiner Literatur hältst.«
»Ich nehme an«, sagte Frau El-Heqimi, »Sally kritisiert an Ihren Texten, was Robert Musil als Poeseln bezeichnet hat.« Sie kräuselte ihre Lippen zu einem schalkhaften Lächeln und gab mir mit einer in Mitteleuropa unüblichen Handbewegung zu verstehen, dass das nur ein Ulk gewesen sei.
»Ich bewundere Ihre Bildung, Frau El-Heqimi«
Sally unterstrich ihr Geschrei mit energischem Nicken.
»No, no, monkey can do a lot of things like man«, sagte Jussuf fachmännisch, um die drohende Dominanz seiner Gattin zu zügeln, »but can’t talk like man. Never ever.«
Nun, ergänzte ich, wenn Sally schon nicht reden könne, so wenigstens den köstlichen Heidelbeerkuchen aus dem Gefrierschrank holen. Eine herrische Geste mit dem Kopf genügte, Sally, die ja auf wohlerzogenes Hausäffchen machte, ließ sich nicht bitten, lief zur Küchentür, drehte sich um und warf den Syrern zu deren Entzücken Mundküsse zu. Dann verschwand sie in der Küche. Ich entschuldigte mich und folgte ihr. Ich hatte ihre Schwäche erraten: Seelenruhig saß sie im Mittelfach und tat sich am Kuchen gütlich, gelbe Bröselchen hafteten an ihrem schmatzenden Mäulchen. Zu spät erkannte sie meinen Plan, ich warf mich gegen die Tür des Eiskastens, so fest, dass ich ihn mit ganzen Kräften am Kippen hindern musste. Kreischen drang daraus, Trommeln und Treten. »Du hast ihr Baby ermordet, du Drecksau«, hörte ich ihre dumpfe Stimme, während ich mit den Zähnen das Isolierband löste und bis zur Papperolle um den Schrank klebte. Dann lehnte ich den Fleischerblock dagegen. Mission completed. Räuchern und salzen würde ich die Tiefkühlbestie, und mir jeden Tag mit der Prosciuttohobel ein zartes Scheibchen von ihr munden lassen.
Es war mir egal, ob die El-Heqimis mir glaubten, dass Sally schlafen gegangen sei. Auch das ständige »Where is monkey?« der Kinder rührte nicht an meinem frostigen Herzen. Jetzt da sie weg war, wurde mein Verhältnis zu den Syrern herzlicher. Wir tranken – Shiraz, und ich las ihnen aus meinen Büchern vor, um von diesen bestimmt poesiebegabten Menschen das Selbstvertrauen restituiert zu bekommen, das Sally mir mit ihrer Bosheit genommen hatte. Maryam übersetzte meine Sätze ins Arabische, ihr Mann und die Kinder belohnten meine besten Formulierungen mit Lauten der Zustimmung und des Entzückens. Wie dumm würde Sally jetzt wohl schauen.
Etwa eine Stunde später packte es mich wie Affenpfoten. Das Gewissen. Ob sie schon tot war? Wie sehr ich an Sally hing, merkte ich, als sich Jussuf schreiend an den Nacken griff, nachdem er einen seiner arabischen Sinnsprüche aufgesagt hatte, Hoffnungen seien wie Pferde, die der untergehenden Sonne nachgaloppierten, oder so ähnlich. Es sei ihm, sagte er, als hätte ihn etwas gebissen. Ich sprang auf, schrie laut »Sally« und rannte in die Küche. Bitte nicht, bitte nicht, bitte nicht, murmelte ich, während ich mit dem Stanleymesser das Isolierband an der gummierten Türkante durchschnitt. Ich riss die Tür auf. Wo war Sally? Ein lautes Schluchzen drang aus dem Wohnzimmer. Ich lief zurück. Sally hing mit dem Schwanz kopfüber vom schwankenden Luster und hielt mit beiden Händen das Macbook.
»Wir kommen zum letzten Akt, mein Junge. Ich lese ihnen gerade vor, wie stilsicher du ihr Baby ertrinken lässt.«
Sie deklamierte mit höhnischer Stimme:
»Kleine Babylungen, kaum entrollt wie junge Farne, um die Luft der Hoffnung in sich zu saugen, füllen sich mit salziger Gischt. Maryam will springen, man zerrt sie über die Wülste des Schlauchbootes zurück, das auf den Wellen schaukelt wie eine tote Kröte. Die Wellen, sie stürzen planlos übereinander, als wüssten sie nicht, woher sie kommen. Poseidon und Jean-Claude Juncker haben sie gemacht, dort am Strand von Kos, laut lachend pracken sie ihre Tennisrackets aufs Meer. – Gar nicht so schlecht, Richie Boy«, konzedierte mir Sally mit zwinkerndem Auge, und las weiter ohne Rücksicht auf die weinende Maryam.
»Aziza, kleine Aziza, Wölkchen, Vögelchen, Himmelblau, das letzte Bild, das deine Netzhaut netzt, sich in dein erstarrtes Bewusstsein ätzt. Versinken, wie ein Traum, der nur zwanzig Tage dauerte, kalt ist diese Fruchtblase, die dich in sich saugt, eine letzte knickende Woge schließt die längst erloschenen Äuglein, kleine Finger greifen im ewigen Meer nach dem Mutterfinger, der sich weit weg dort auf schaukelndem gelben Gummi in schwarzes Mutterhaar krallt. Sinken, sinken – verfluchte Ägäis.«
Ich riss Sally im Laufen vom Luster und warf sie samt dem Macbook aus dem Fenster, das Maryam zuvor geöffnet hatte, doch Sallys Schwanz hatte sich mir um den Nacken gewickelt und riss mich mit. Wir schlugen nicht auf der Straße auf, sondern auf einem wogenden Meer. Ein Schlauchboot meterhoch über mir auf dem Wellenkamm, Schreie, helfen wollende Arme streckten sich in den Himmel. Dann hob die Welle uns empor. Ich schnappte nach Luft. Etwas drückte mich unter Wasser. Ich tauchte auf. Sally hockte auf meiner Brust und hielt sich an meinen Ohren fest.
»Kleine Dichterlungen, kaum entrollt wie junge Farne, um die Luft der Hoffnung in sich zu saugen, füllen sich mit salziger Gischt«, frohlockte sie und drückte mich wieder unters Wasser. Sie zog mich hoch und tauchte mich unter, hoch und unter, und äffte mein Husten, Glucksen, Krächzen, Gurgeln nach.
»Na, was sind denn das für Dadagedichte?«
Ein paar Mal noch wiederholte sie das Spiel. Schluss.
Die Sonne brennt auf tiefblaues Meer. Am Horizont das Weichbild eines Frachtschiffs. So friedlich, so still. Der Dichter dort unten, das bin doch ich, weiß, Arme und Beine von sich gestreckt, sachte schaukelnd. Mir ist das peinlich, denn ich bin artfremd in diesem Biotop. Was bilden sich diese versehentlich ertrunkenen Touristen bloß ein, auch im türkisen Grab der vierhunderttausend Unglücklichen herumzutreiben. Das wollte ich nicht, glaubt mir. Was kann ich dafür, dass mein Name in der Zeitung stehen wird und eurer nicht? Doch nein, das stimmt auch wieder nicht. Meine Beine und Arme sind in Ledergurten an ein Stahlrohrgitter fixiert. Ich lebe ja, schwer sind meine Lider zwar und leise murmle ich vor mich hin, aber ich bin am Leben. Ein dunkelhaariger Mann in weißem Mantel schiebt mir eine Nadel in die Armbeuge. »Ich muss den Ficus gießen, Herr Doktor. Bitte.« – »Keine Sorge, die Familie, die jetzt bei ihnen wohnt, kümmert sich schon um die Pflanzen.«
Der Doktor drückt einen Tupfer auf die Einstichstelle. Himmelherrgott, nie wieder geh ich aus meinem Körper raus. Wie verächtlich ich den Mann ansehe. Dieser blasierte Kotzbrocken da im Bett soll ich sein?
»Hauen Sie doch einfach ab.«
Der Doktor versteht nicht und beugt sich über die Bettplanke zu mir herab.
»Hauen sie nach Syrien ab, wo Sie hingehören!«
Der Doktor lächelt. Im Weggehen sagt er mir:
»Das wird schwer gehen. Ich bin Österreicher. Meine Eltern kommen aus dem Iran. Schlafen Sie jetzt.«
Doch wer oder besser was sitzt auf seiner linken Schulter und lässt die Beine über dessen Rücken baumeln? Es ist Sally, sie schickt mir Kusshände und zeigt mir den hochgestreckten Daumen.
»Noch viel Spaß werden wir miteinander haben, mein Guter.«