Schach in der SchuleDichter Innenteil

Wenn ich es mir genauer überlege, so ist eine Schule ein Ort, wo man lernt, seine Fähigkeiten auf vielfältig Weise zu entwickeln und zu verbessern, um einmal für sich und seine Umgebung ein gutes Leben zu schaffen.

Grafik: © Karl Berger

Ich ging in eine Schule, die von afghanischen Flüchtlingen (Hazara) in der Stadt Quetta in Pakistan gegründet worden war. Die Schule war durch die Gebühren von Schüler_innen unterstützt worden. Alle von afghanischen Flüchtlingen gegründeten Schulen waren für Burschen und Mädchen, außer einer, die war nur für Mädchen.

Einige engagierte Lehrer an unserer Schule hatten einen Schachwettbewerb organisiert. Das war sicher eine sehr gute Idee, denn diese Aktivität konnte den Schulalltag etwas auflockern und beleben. Man muss wissen, dass an afghanischen Flüchtlingsschulen großer Mangel an Ressourcen herrscht. Die Flüchtlinge müssen überdies für das Schulgeld selber aufkommen (ich verdiente mein Schulgeld zunächst als Straßenverkäufer in meiner Freizeit, später als Hilfslehrer für Englisch), es fehlte an allem: an Lehrern, an Sportplätzen, an Unterrichtsmaterialen, Labors, Bibliotheken usw. Für hunderttausende Menschen dieser Stadt gab es keinen einzigen Sportplatz oder Park. Wir Burschen, die keinen Platz für irgendeine sportliche Betätigung hatten, stürzten uns sofort auf diese neue Aktivität, fern dem Schulalltag und außerhalb des Lehrplans. Außerdem konnte sich jeder ein kleines Schachspiel leisten. Und klarerweise spielten wir auch während des Unterrichts, wenn dieser allzu langweilig war. Gerne verließ ich meinen Platz in der zweiten Reihe ganz links und gesellte mich zu den Schachspielern in den hintersten Bänken.

Wir Schüler haben uns echt gefreut, endlich etwas Neues zu machen. In jeder Klasse hatten sich schließlich jeweils drei bis fünf für den Wettbewerb angemeldet.

Die erste Runde des Wettbewerbs war fast erledigt, da erreichte uns eine Verlautbarung des Schuldirektors. Er habe sich bei einigen Mudschtahids umgehört (das sind islamische Rechtsgelehrte, hoch gebildete Mullahs, denen die Befähigung zum Idschtihad, d.h. zur selbständigen Auslegung der Koranverse, zuerkannt wird und die entscheiden, was für ihre Anhänger erlaubt und nicht erlaubt ist, was halal oder haram ist. Dazwischen liegt makroh – das heißt, es ist nicht empfehlenswert, aber auch nicht verboten.) Diese Mullahs hatten verschiedene Ansichten: Für die einige Wenige war das Schachspiel als Wettkampf um einen Preis bereits haram, für die meisten Anderen makroh. Da die Schule nicht wusste, welchem Mudschtahid zu folgen wäre, wurde das Schachwettspiel sicherheitshalber verboten. So könne niemand unwillentlich gegen seinen religiösen Glauben verstoßen. Darüber hinaus, so meinte der Direktor, lerne man durch Schachspielen das Taktieren, von diesem das Lügen und die Fähigkeit, Andere zu hintergehen. Daher finde er am Schachspielen keinen Wert und hieß den Wettbewerb für beendet.

Für uns, die Teilnehmer_innen (ja, auch Mädchen konnten daran teilnehmen) war das eine herbe Enttäuschung. Wir fühlten uns beleidigt und verletzt. Für viele von uns war es ein guter Ersatz für Computerspiele, weil es ein Spiel war, das unseren Geist forderte, unser Hirn trainierte und zu Konzentration zwang. Außerdem machte es Spaß, an verschiedenen Treffpunkten andere Schüler kennenzulernen. Es animierte uns auch, in der Schule gute Vorschläge für den Unterricht einzubringen.

Für mich persönlich ist diese Entscheidung noch immer nicht nachvollziehbar. Vor allem, wenn ich daran denke, dass bei unseren Schulveranstaltungen für Mädchen das Tanzen und Singen auf der Bühne sowie ein kleines Drama-Stück vorgesehen war.

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