Schach, Oida!vorstadt

Eine Willkommenskultur auf 64 Feldern macht sich in der Stadt breit

Schach ist eine universelle Sprache, hat keine Heimat, braucht keine Integration, es reicht aus, sich über die basalen Regeln zu verständigen. Kurto Wendt (Text) und Bianca Traxler (Fotos) besuchten am Weltflüchtlingstag eine Schachveranstaltung.

Foto: Bianca Traxler

Am 20. Juni, dem Weltflüchtlingstag, hat Wien über tausend Mal, bei über 50 Veranstaltungen in allen Bezirken «#WELCOMEoida. In unserer Stadt sind Flüchtlinge willkommen – Wien bleibt solidarisch!» gesagt. Bei der Abschlusskundgebung, dem Umbrella March, wurde das Projekt New Here vorgestellt. New Here ist ein interaktiver, Piktogramm-basierter Wienstadtplan, der es Neuankömmlingen – auch mit Hilfe von Übersetzungen – erleichtert, sich selbstbestimmt in Wien zu orientieren und Angebote für schutzsuchende Menschen in der Stadt bündelt. Der Stadtplan steht unter www.newhere.org zur Verfügung und hat bereits jetzt eine beeindruckende Vielfalt für alle Lebensbereiche erreicht. Eines der 50 Ereignisse war «Welcome Oida – Chess.»

Der Schachclub «Roter Bauer 7*Stern» lud zu freiem Schach und einem abschließenden Blitzschachturnier ein, und mehr als 40 Spieler_innen kamen, die Hälfte davon Newcomers, um gemeinsam ernsthaften Spaß und spaßige Ernsthaftigkeit zu erleben.

Eine der Organisator_innen, die Niederländerin Kineke Mulder, die 1991 nach Wien kam und über die Schachrätsel im «Standard» von Michael Ehn die Liebe zum Schach fand, war eine der Ersten, die bei «Train of Hope» am Hauptbahnhof mit drei Garnituren Schach aufgetaucht ist und 10 bis 15 Stunden pro Woche einfach spielte. «Freundinnen sagten zu mir, wir müssen uns genau überlegen, was wir tun und wie wir helfen können. Du hast es leicht, du spielst einfach Schach», schildert die Graphikerin und Webdesignerin ihre Lage im September 2015, «egal ob Kinder oder alte Menschen, Schach zieht viele in den Bann, ein paar Minuten oder Stunden gemeinsam an was anderes denken und Spaß zu haben, schafft auch die Basis dafür, andere Probleme bewältigen zu können.»

Im letzten halben Jahr lernte Mulder dabei immer mehr Menschen kennen, die dasselbe an anderen Enden der Stadt machten: Joe Wallner, selbst FIDE-Meister und Schulschachverantwortlicher, der immer wieder mit Schachgarnituren und einem Gartenschach aushilft und vor allem Khaled Mahdi und Albadri Abd al Sattar, die im «Verein für soziale Gerechtigkeit» als Schachtrainer für Newcomer arbeiten. Beide sind in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts von Ägypten und dem Irak nach Wien migriert und wurden sofort fixe Größen in der Wiener Schachszene. Ihre Sprachkenntnisse und ihre Migrationserfahrungen machen sie genauso wie die freiwilligen Dolmetscher_innen auf den Bahnhöfen zu zentralen Figuren in der Unterstützungsbewegung für die Neuankommenden.

Schach braucht keine Integration und keine Wertekurse, lokal erworbene Fähigkeiten müssen nicht in andere kulturelle Kontexte transferiert werden, niemand maßt sich an, die Qualifikationen anderer zu entwerten. Es gibt auch keine Wartezeiten, um am Meisterschaftsbetrieb teilzunehmen, egal wie der jeweilige staatliche Aufenthaltstitel ist.

Einfache, universelle Regeln, die für alle gelten, Respekt vor den Mitspielenden und Fairness, mehr braucht es nicht. «Die Kinderfreunde helfen uns jetzt, die Schachregeln bilingual in Arabisch/Deutsch zu drucken», freut sich Kineke Mulder über dieses Zusatzmittel für den Spracherwerb, und zwar in beide Richtungen.

Mit Schach Leute kennenlernen

Sie alle waren auch ins Café «7*Stern» gekommen, neben einigen Mitgliedern des dort angesiedelten Clubs «Roter Bauer» und Menschen aus verschiedenen Flüchtlingsunterkünften. Einer von ihnen, Eyad Salaymeh, vor 14 Monaten aus Damaskus geflohen und in Österreich gelandet, nimmt jede Gelegenheit war, Schach zu spielen. «Es ist sehr schwer in Wien Leute kennenzulernen, mit Schach ist es viel leichter», erläutert er sein Motiv. «Und immer wieder sehe ich auch neue, freundliche Orte.» Salaymeh wartet auf sein Asylverfahren und hat noch keinen Hinweis bekommen, wann ein Ergebnis zu erwarten ist. «Schach wäre ein schöner Beruf, aber ich bin leider viel zu schwach», scherzt Salaymeh. Unter den Anwesenden ist er, von der Spielstärke aus betrachtet, im besseren Mittelfeld anzusiedeln. Der Jüngste ist gerade mal sechs Jahre alt, die Älteste weit über 60. Vier Stunden lang wurde gespielt und gelacht und am Ende der Partien fast immer E-Mail- oder Facebook-Adressen ausgetauscht.

Zum abschließenden Blitzschachturnier, beim Blitzschach hat jede_r für die gesamte Partie 5 Minuten Bedenkzeit, traten 16 Spielende an und nach 62 Spielen konnte sich Aco Alvir als Sieger durchsetzen. Er ist aktuell Wiener Meister – und auch kriegsbedingt in den 90er-Jahren aus Bosnien nach Wien geflohen.

Weil es so nett war, hat der «Rote Bauer 7*Stern» beschlossen, «Welcome Oida – Chess» an jedem 20. Juni zu einem Jour fixe zu etablieren. Wer nicht so lange warten will, kann einen der Schachorte aufsuchen, an denen regelmäßig gespielt wird. Hervorzuheben vielleicht «Fremde werden Freunde», die jeden Donnerstag im Hof 4 des Alten AKH von 18 bis 21 Uhr zu den Figuren greifen, oder eine der vielen anderen Destinationen, die auf der Seite des Wiener Schachverbands aufgelistet sind.