Aus der Niederschrift des Gefangenen Franz Schmidt (4)
Zur Erinnerung: Franz Mayr durchlebt eine Kindheit im ländlichen Elend der Dreißiger Jahre. Aus existentieller Not seiner Mutter wird er zum Gemeindekind, später zum Adoptivkind in einer Umgebung die ihn vom frühesten Kindesalter an anfeindet. Aus Hunger und Angst wird er zum Wursträuber, aus Loyalität zum ersten platonischen Schwarm und aus Unachtsamkeit zum Brandstifter. Der zum Tatzeitpunkt noch nicht 14-jährige wird dafür zu 8 Jahren Haft verurteilt wegen Vernichtung deutschen Eigentums, denn wo früher Österreich war, ist jetzt Hitler-Deutschland….und so blieb ich bis zum Kriegsende im Kreisgericht Wels. Wir Insassen litten fürchterlichen Hunger, denn es gab für die Gefangenen kein Brot mehr wir bekamen nur in Wasser gekochte Rüben mit 3 4 Stück(!) Bohnen.
Zu Ostern 1945 das war im April hatte ich nochmals Glück das 3. Reich zu überleben.
Als das Gefängnis bombardiert wird, wäre eine Gelegenheit zur Flucht. Er nutzt sie aber nicht.
Einige kamen durch, andere wurden wieder eingefangen und wurden niedergeprügelt.
Am 5. Mai ist aber auch in diesem Landstrich der Krieg zu Ende. Die Amerikaner öffnen die Gefängnistore und er macht sich durch die Nachkriegswirren auf den Heimweg. Vier Tage braucht der entkräftete Bub für die 60 km. Alle 50 m muss er Halt machen wegen eines schlimmen Durchfalls. Die Nächte verbringt er im Wald. Er hat Angst, um ein Nachtquartier zu bitten. Das unerbittliche Gefühl, man müsse ihm ansehen, dass er aus dem Gefängnis kommt, lässt ihn die Menschen meiden. Diese Gewalt, die das unsichtbare Stigma über ihn hat, soll ihm ein Leben lang bleiben, und es in äußerst verhängnisvoller Weise bestimmen. Aber er schafft es nach Hause.
Vater öffnete das Fenster und fragte: Was ist denn schon wieder los da unten? Dann aber sah er mich stehen und schrie! Muatta, Resl der Franzl is do gschwind machts eahm auf! Ja Bua wo kumst den du daher?…
Am Morgen …ging ich hinaus und stellte mich demonstrativ zwischen unserem und dem Spielhaus auf und schaute hinüber. Es war mir bewusst, dass diese Demonstration zugleich eine Provokation war aber ich konnte mir nicht verkneifen die Reaktion vom 100 % Nazi zu sehen.
Sie fiel anders aus, als ich gedacht habe. Er ließ sich nicht sehen. Aber die Spielin winkte mir durch das Fenster zu! Ich traute meinen Augen nicht! Ich glaubte ich hab mich verschaut! Aber sie winkte tatsächlich und lachte über das ganze Gesicht.
Einige Tage später traf ich sie als sie von der Kirche kam und da sagte sie: Wir danken dir Franzl, dass du uns zu einen Neuen Haus verholfen hast, das Alte wär uns so auf kurz oder lang auf den Kopf gefallen.
Hat man noch Worte? Ich werde zu 8 Jahren Jugendgefängnis verurteilt und die Nachbarn freuen sich darüber, dass sie ein Neues Haus, das viel größer gebaut wurde als das Alte war, bekommen haben.
Außer den Pflegeeltern hat nur ein Bub einer ebenfalls gemiedenen Familie mit ihm Umgang. der Baumann Otto mein Einziger Freund den ich jemals hatte. Mit ihm durchstreift er den Wald, sobald es dort wieder einigermaßen sicher ist. Der Krieg hat dort einiges hinterlassen.
Da gab es Militärkarabiner, Maschinenpistolen Panzerfäuste Handgranaten und Kistenweise, Gewehrmunition, Otto und ich nahmen uns so einen Karabiner, ich habe schon zwei Tage vorher 3 solcher Karabiner nach hause geschleppt und am Dachboden von unserer Wagenremise unter den Dachbalken versteckt und auch eine Kiste mit 1.000 Schuss Munition. Davon erzählte ich aber dem Otto nichts! denn was einer nicht weiß, kann er nicht weitererzählen. Der Besitz von Waffen am Anfang der Besatzungszeit war mit der Todesstrafe bedroht. Ich konnte mit so einen Karabiner schon umgehen, denn bei der DJ (Deutsche Jugend) lernten wir schon die Handhabung mit so einen Gewehr. Im Wald wollten Otto und ich mit einen solchen Karabiner einen Baum mit ca 30 cm Durchmesser abschießen. Wir legten uns in 40 Meter Entfernung auf den Bauch und feuerten Schuss auf Schuss auf den Baum. Die Kugeln durchschlugen den Baum glatt und auf der Rückseite riss es ganze Fetzen Holz heraus. … auf einmal, wir hatten von allem nichts bemerkt, ging es tak-tak-tak, um uns herum flog der Dreck auf und wir hörten ein Hands up! Wir sind einer amerikanischen Militärpolizei die mit ihren Jeep eine Kontrollfahrt unternommen haben, in die Hände gefallen. Die Militärpolizisten sie waren zu dritt schossen mit ihren Maschinenpistolen rund um uns zwei 14 jährige Weltschützen die einen Baum abschießen wollten, in den Rasen hinein. … Plötzlich schoss es mir durch den Kopf, dass ja für den Besitz von Schusswaffen die Todesstrafe proklamiert war! An das hatten wir zwei Bengel überhaupt nicht gedacht!
Die zwei Kinder landen im Bezirksgericht Vöcklabruck. Nach zwei Tagen werden sie entlassen. Das Urteil lautet: Ein Jahr bedingt auf einen Monat. Die Tragik an der Sache ist, dass Franzl jetzt auch bei der Familie seines einzigen Freundes nicht mehr gern gesehen ist.
In unserer Unmittelbaren Nachbarschaft hatte ich keinen Zutritt und mit den Worten: Schau dass du Heimkommst, wurde ich überall verjagt. Die allgemeine Not macht die Leute nicht gerade tolerant und hilfsbereit, die meisten Männer sind in Kriegsgefangenschaft und es ist nicht einmal Saatgut für die nächste Ernte übrig. Als der Pflegevater einen seiner Ochsen schlägt, um den Hungernden der Gegend erschwingliches Fleisch zu beschaffen, wird er vom Nazi-Nachbarn beobachtet und angezeigt. Enteignung und Gefängnis für ihn sind die Folge. In der ganzen Kindheit des Franz Schmid dürfte er kein Geben und Nehmen ohne Gewalt und Not erlebt haben und keine Anerkennung, die nicht erkauft werden muss. Diese Konstellation trägt heftig zum nächsten, diesmal weichenstellenden schuldhaften Verhängnis in seinem Leben bei. Davon im nächsten Beitrag.