Scheitern als Gesamtkunstwerktun & lassen

Am 18. Dezember 2024 starb der Talkmaster, Performer, Augustin-Kolumnist und SM-Aktivist Hermes Phettberg mit 72 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung.

Beginnen wir die Rückschau auf ein kaum in wenige Worte zu fassendes Leben im Jahr 1995, im annus mirabilis seiner Existenz: Man muss im Nachhinein von ­einem Erscheinen sprechen, das sich in dieser Form nicht angekündigt hat, von einem kometenhaften Aufstieg zum Fernsehstar, zum Publikumsliebling der vollkommen anderen Art. Ein mehr als mehrgewichtiger Talkmaster mit dem sprechenden Namen Hermes Phettberg betritt via ORF und 3sat die Bühne der deutschsprachigen Unterhaltungsbranche, und zwar in Form einer nicht für möglich gehaltenen Travestie. Prominente aus Kunst und Medien werden vorgeladen, um im Trash-­Ambiente ­einer Off-Inszenierung Rede und Antwort zu stehen. Nein, eigentlich dienen sie bloß dazu, die neurotische Persönlichkeit des Talkmasters zum Vorschein zu bringen. Dieser bricht mit sämtlichen Regeln des Geschäfts: Seine Gäste lässt er kaum ausreden, er verzettelt sich, verhaspelt sich, räuspert sich und scheitert ein ums andere Mal an dem Versuch, sich zu sortieren. Er zelebriert sein Messietum in der Sprache, wild über sich und die Welt assoziierend, gedankenflüchtig, dann wieder abgründig schlagfertig, entwaffnend in seinem seelischen Exhibitionismus und doch ständig sich entziehend, mit der Zuneigung hadernd, die ihm zum ersten Mal in seinem Leben so massenhaft entgegenschlägt.
Phettbergs Nette Leit Show ­lautete der Titel des Formats, konzipiert vom Regisseur und Autor Kurt Palm, dramaturgisch umgesetzt im Kontext des Off-Theater-Projekts «Sparverein Die UnZertrennlichen», angelehnt an jene skurrilen Talkshow-Formate, die Palm im Rahmen eines Aufenthalts in New York in den späten 1980ern entdeckt hatte. «Nette Leit» — eine augenzwinkernde Verballhornung von «Late Night» – realisiert mit geringstem Aufwand, einzig vertrauend auf die Persönlichkeit des Talkmasters, zu dieser Zeit in Wien bekannt als exzentrische Randfigur an der Schnittstelle von Performance, Theater und politisiertem Aktivismus in der allmählich aus den dunklen Nischen tretenden SM-Szene. Fotos kursierten vom nackten, gefesselten Phettberg, behandelt mit Peitschen, verstörten nachhaltig und waren für die Öffentlichkeit kaum unter einen Hut zu bringen mit dem charmant vor sich hin philosophierenden, über sich selbst stolpernden Phettberg, der aus seinem Herzen und schon gar aus seiner Herkunft alles andere als eine ­Mördergrube ­machte. In diesen Zwiespalt hinein arbeitete er mit Wucht und Furcht gleichermaßen. Das Scheitern coram publico zelebrierte er als seine höchstpersönliche Variante des Gesamtkunstwerks.

Geburt und Wiedergeburt.

Geboren am 5. Oktober 1952 unter dem bürgerlichen Namen Josef Fenz, aufgewachsen im dörflichen Ambiente von Unternalb bei Retz im Weinviertel, ein in der Selbstrückschau vollkommen verschüchtertes, passives Kind, mit jedem Schritt aus dem elterlichen Nest hinaus mehr überfordert, tagträumend, Halt suchend und Ausschau haltend nach einer gesicherten Existenz. Das Anderssein vollzog sich zunächst als Scheitern an den Formen des Normalseins: eine berufliche Existenz gründen, dazu möglichst eine Partner:innenschaft samt Familie, ebenso unauffällig wie vorbildlich. Man kann nicht sagen, dass er es nicht versucht hätte: Im jahrelangen Prozess des Suchens nach einer angemessenen Position wächst das innere Chaos, das unbestimmte Gefühl, anders zu sein und in dem «Normalsystem» keinen Platz zu haben, die wütenden Versuche, die in ihm aufkeimende sexuelle Devianz «wegzutherapieren», schließlich das – nach außen hin – endgültige Scheitern an der bürgerlichen Existenz: die Frühpensionierung aufgrund anhaltender Depressionen in den späten 1980ern.
Parallel zu diesem Scheitern vollzieht sich die Verwandlung des Josef Fenz in die Kunstfigur des Hermes Phettberg, eine Art Wiedergeburt, die mitnichten eine Flucht oder einen Abbruch ­aller bisherigen Entwürfe bedeutet, sondern ein Zu-sich-Kommen als radikales Veräußerlichen des inneren Schmerzes, aber auch der vom heterosexuellen Mainstream abweichenden Begierden: Es folgt die Mitgründung der «LIBERTINEN Sadomasochismus-Initiative» im Umfeld des WUK, die rasch einsetzende Ernüchterung über die konsumistische Haltung vieler Mitstreiter:innen, die Entwicklung zum kompromisslosen Botschafter sexualpolitischer Anliegen und nicht zuletzt: der Beginn einer singulären, permanent von Abstürzen bedrohten Karriere als Performer, Akteur und Autor in der freien Wiener Theater- und Medienszene. Seine Kurzzeit-Prominenz als Talkmaster überstrahlt fatalerweise die Sonderstellung, die Phettberg in diesen Jahren einnahm und für die es, abgesehen vielleicht vom Filmemacher, Schauspieler und Autor ­Peter Kern (1949–2015), kaum vergleichbare Typen gab.
Die Ästhetik des Trash stellt sich aus heutiger Perspektive als Geburt ­einer intermedialen künstlerischen Praxis dar, die nicht bloß die Grenzen zwischen Off- und Mainstream-­Kultur, zwischen Thea­ter, Performance, Fernseh- und Filmformaten überwand, sondern bereits früh in die Sphären des Internets bzw. der unabhängigen Medienkunstproduktion vordrang und sich dort Schauplätze für ­Inszenierungen schaffte, die weitaus unverdaulicher und kompromissloser waren als die vergleichsweise domestizierten Talk-Formate (nach Nette Leit Show folgte noch Beichtphater ­Phettberg im Privatsender ATV). Zwischen SM-­Akten, Video-Dark­rooms, Realtime-Performances und Schreibexzessen entspann sich ein ganzes Netz aus Selbstentäußerungen, die zwischenzeitlich andockten an wahlverwandte Ästhetiken und Performances – ­Hermes als geliebter wie gefürchteter Gast, als Ghost seiner selbst, wieder und wieder beschworen in der Unbeugsamkeit seines Begehrens.

Schlussmonolog.

Hervorzuheben bleibt eine Performance-Serie, in der sich sein nie versiegender künstlerischer Ausdruckswille gleichsam urgestaltlich manifestierte: das über einen längeren Zeitraum im Keller des Café Prückel wöchentlich ­stattfindende Hirnstromprotokoll. Hermes, in einem Bett auf der Bühne liegend, an seinem Haupt ­einen Jeansboy drapiert, unablässig über Gott, die Welt und das Nichts räsonierend, sich verlierend im Dschungel seiner eigenen Assoziationen, im hochgradig sonderbaren, verletzlichen Chaos seiner Existenz. Hermes als postmoderner Wiedergänger des legendären Schlussmonologs der Molly Bloom in James Joyces’ Roman Ulysses.
In dieser Produktion aus dem Jahr 2002 nahm er in gewisser Weise die Performance seiner letzten Jahre vorweg: Seit 2006 litt Hermes an den Folgen mehrerer Schlaganfälle, die seine Mobilität und auch seine Sprachfähigkeit sukzessive massiv einschränkten. Über die letzten ­Jahre hinweg konnte er sein Bett nicht mehr verlassen, kommunizierte allerdings durch die Unterstützung von Sir eze, seiner Begleiter:in, Mitbewohner:in und Unterstützer:in, weiterhin mit der Welt. ­Sir eze kümmerte sich um seinen Alltag mit großer Hingabe, zudem fungierte sie als Übersetzer:in des gegen Ende für Uneingeweihte kaum mehr verständlichen Hermes. eze ist es zu verdanken, dass er so lange in seiner geliebten Wohnung in der Grabnergasse in «West-Gumpendorf» bleiben konnte. Sir eze sowie dem Performer und Pfleger Hannes Moser und zahlreichen anderen Menschen sei an dieser Stelle dafür gedankt, Hermes Phettberg bis zuletzt eine ­sozial und freundschaftlich eingebundene Existenz ermöglicht zu haben.

Foto: Nina Strasser
Bildbeschreibung: «Ein Erscheinen, das sich in dieser Form nicht angekündigt hat» – Hermes Phettberg
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