Ein verlassenes Haus wird zum Leben erweckt. Und eröffnet Fragen nach Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Kleinstädten: Das temporäre Kulturzentrum Haus lebt in Hartberg.
TEXT: RUTH WEISMANN
Wozu sind Häuser da? Um sie zu benutzen. In vielen Kleinstädten in Österreich stehen Gassenlokale und oft ganze Gebäude jedoch leer, während am Ortsrand die Reihenhaussiedlungen und Gewerbeparks wachsen. Auch in Hartberg in der Oststeiermark.
In dieser knapp 6.800 Einwohner:innen zählenden Bezirkshauptstadt hat der Fotograf und Künstler Simon Brugner zusammen mit seiner Lebensgefährtin Petra Hinterleitner das einstige Tuchmacher- und spätere Bäckerhaus, ein Barockhaus, gekauft. Das denkmalgeschützte Gebäude, erzählt Brugner, war günstig, denn niemand wollte es haben. «Damit kann man nichts mehr machen, das kann man nicht sanieren, das gehört weggerissen», habe er von vielen Seiten gehört. «Aber wir dachten uns: Damit kann man alles machen, man muss es einfach nur benutzen.»
Blätterteig der Zeit.
Seither «lebt» das 300 Jahre alte Haus mit der grünen Fassade, den Gewölben und dem großen Innenhof wieder. Denn im Wort «revitalisieren», so erklärt Simon Brugner, stecke nicht das Wort «bauen», sondern das Wort «leben»: Haus lebt also. Es geht ihm einerseits darum, eine zur unbelebten Kulisse mutierten Kleinstadt, die einst eine wichtige Rolle als Grenzstadt des Habsburgerreichs spielte, mit utopischen Ideen vom gemeinsamen Leben ohne neue Bodenversiegelung zu füllen. Aber noch wichtiger ist: Das Projekt ist ein Nachdenken darüber, was wir mit alter Substanz machen können. Ein offener Prozess, dessen Ziel nicht ein perfekt renoviertes Gebäude in neuem Glanz ist, das dann erst recht wieder hauptsächlich als Fotohintergrund dient. Sondern vielmehr ein Ort einer möglichen Zukunft genauso wie ein Ort der Reflexion über die Vergangenheit – vom Haus selbst, von Kleinstädten und Städten generell. Die Herausforderung sei auch, dabei nicht in die reine Nostalgiefalle zu tappen, meint Brugner. «Die Vergangenheit gegen den Strich bürsten», heißt das im Haus lebt-Jargon.
Die vorläufige Lösung: Einen Raum der stetigen Transformation schaffen. Einen Ort des Bauens und der Kunst, einen Ort der Menschen und einen Ort des Alltags und des Rückzugs. Der Untertitel ist Programm: Über die Zeit, das Unfertige und das Entstehende erfährt, wer durch das Gebäude geht und sich der «Reise durch den Blätterteig der Zeit», wie Brugner es poetisch nennt, stellt.
«Wir haben Schichten weggenommen, damit das Haus atmen kann und wieder großzügiger wird» erklärt Brugner den Umbauprozess. Gemeinsam mit vier weiteren Künstler:innen (Valentin Aigner, Georg Holzmann, Aki Namba, Simon Oberhammer) haben sie diesen Sommer dazu genutzt, Decken zu entfernen und Verbauungen abzutragen, die im Laufe der Zeit hinzugekommen sind. «Die Schichten aus der neueren Zeit sind immer etwas problematisch, etwa Rigips oder Zement, weil sie die Feuchtigkeit dahinter absperren», so Brugner. Neben dem «Rückbauen» der Architektur sind subtile skulpturale Interventionen mit vorhandenen Materialien dazugekommen. In den letzten zwei Jahren haben Brugner und Hinterleitner im Haus gelebt und gearbeitet, es ausgeräumt und geputzt, den Innenhof teilweise entsiegelt und begrünt sowie eine Bühnenstruktur und eine Bar für das Café im Innenhof gebaut.
Offenes Haus.
Einem Gebäude wieder Leben einzuhauchen benötige nicht viel Geld, meint Brugner. Und auch ein kleines Werkzeugtascherl reiche, um Mauern zu durchbrechen oder eine Theke aus vorhandenen Brettern aufzustellen. «Man braucht nur den Willen und ein bisschen Fantasie. Nicht unbedingt Großinvestoren.»
Im Vorjahr gab es eine erste Veranstaltungsreihe, die bei den Hartberger:innen sehr gut ankam. Auch aus Graz, Wien und von anderswo reiste man an. Heuer ist Haus lebt im Parallelprogramm des Kulturfestivals steirischer herbst ’22 und steht an drei langen Wochenenden für Besucher:innen offen. Brugner und Hinterleitner haben viele Künstler:innen und Kulturarbeiter:innen zur Mitgestaltung eingeladen. Skulpturale Installationen greifen subtil in die Schichten aus Zeit und Geschichte ein und die Veranstaltungen beschäftigen sich u. a. mit ausgehöhlten Ortskernen als interaktive Comedy-Gameshow, der Pizzaofen-Skulptur als Zentrum des Frühshoppens, der Baugeschichte des Hauses für Erwachsene und Kinder, der Frage nach Bestand und Zukunft, der Ortsgeschichte als Kriegsgeschichte, dem europäischen Zustand heute und einigem mehr.
23. September – 9. Oktober
Do – So, 10–19 Uhr
Michaeligasse 10, 8230 Hartberg
Eintritt frei
Foto: Simon Brugner