Am privaten Wiener Wohnungsmarkt wird zuverlässig und schambefreit diskriminiert. Davon profitieren Eigentümer_innen, die Behausungen fern aller Standards zu hohen Preisen vermieten. Besonders betroffen sind muslimische Frauen und deren Kinder.
Text: Mareike Boysen
Illustration: Thomas Kriebaum
Ayaan F.* ist das Interesse an ihrer Person nicht ganz geheuer. «Ich lebe in einer schlechten Wohnung. Sie ist sehr alt, und es ist immer etwas kaputt», sagt die 22-Jährige in Richtung des Aufnahmegeräts. In der Drei-Zimmer-Wohnung im dritten Stock eines Wiener Zinshauses, die sie gemeinsam mit der fünfköpfigen Familie ihrer Freundin bewohnt, komme es wöchentlich mehrfach zum Stromausfall. Von den notwendigen Sanierungsarbeiten, die ihnen der Vermieter bei ihrem Einzug vor zwei Jahren versprach, habe er bis heute wenige durchgeführt. Das Protokoll eines städtischen Gutachters vermerkt lose Kabel an den Wänden und Schimmelbefall. Seit zwei Monaten gebe es außerdem kein Warmwasser mehr. Nur seien solche Wohnverhältnisse, sagt F., in der Community eher die Regel als die Ausnahme. «Für somalische Menschen in Wien ist es schwer, überhaupt eine Wohnung zu finden.»
Unterstützung erhofft sich F. durch die Wohnberatungsstelle WIWA der Diakonie. Hier, im Dachgeschoss der Künstlergasse 11 in Rudolfsheim-Fünfhaus, ist an einem Montagvormittag kurz vor Herbstbeginn einiges los. F. sitzt im Besprechungsraum. Sie trägt ein gemustertes Kopftuch und einen selbstgenähten Mund-Nasen-Schutz. In der vorigen Woche, berichtet sie, habe der Wohnungseigentümer ihren auf drei Jahre befristeten Mietvertrag vorab gekündigt. Eine Erklärung zum Verzicht auf Rechtsschritte, die er ihr vorlegte und die ihr Mietrückstände unterstellte, hat F. nicht unterschrieben. Zumal sie immer pünktlich gezahlt habe. Stattdessen hat sie einen Termin mit einem Wohnrechtsexperten der Diakonie vereinbart und will die Kündigung anfechten. Dabei wäre sie am liebsten längst ausgezogen, sagt F. Allerdings habe sie in dreieinhalb Monaten der Wohnungssuche nichts als Absagen erhalten.
Geschäft mit der Würde.
«Es ist Verzweiflung, die unsere Klient_innen in menschenunwürdige Wohnverhältnisse drängt», sagt Elisabeth Jama, langjährige Leiterin der Diakonie-Wohnberatungsstelle Wien. Viele Wohnungen seien von Schimmel oder Schädlingen befallen, sie seien für die Anzahl ihrer Bewohner_innen zu klein, lärmbelastet oder nur über illegale, vertragslose Untermietverhältnisse beziehbar. Aber, so Jama: «Keine Wohnung ist immer die schlechtere Option.» Das Team arbeite präventiv, halte etwa dazu an, Beweise zu sichern oder Rechnungen über geleistete Zahlungen einzufordern, zeige rechtliche Möglichkeiten auf und interveniere auf Wunsch. Schließlich müssten die Klient_innen selbst entscheiden, was sie am ehesten ertragen könnten, erklärt Jama. «Es ist auch verständlich, wenn jemand keine Probleme mit dem Vermieter haben möchte oder nicht riskieren will, dass nach einer Mietzinsrückforderung der Vertrag nicht verlängert wird.»
Die meisten Klient_innen der Wohnberatungsstelle, die sich für die Erstversorgung zuständig sieht, haben den Status subsidiär Schutzberechtigter oder vor kurzem die Asylberechtigung erhalten. Der Großteil stammt aus Afghanistan, dem Irak und Somalia, Informationstexte auf der Website sind auf Paschtu, Arabisch, Russisch und Persisch verfügbar. «Die Sprachbarriere ist ein Faktor, der viele unserer Klient_innen anfällig für Mietbetrüger_innen macht», sagt Jama. «Wer nicht gut genug Deutsch spricht, um auf Wohnungsinserate reagieren zu können, ist meist von Bekannten abhängig, die jemanden kennen, der jemanden kennt und so weiter.» Diejenigen Klient_innen, die bereits ausreichende Sprachkenntnisse erworben hätten, sähen sich durch Wohnungseigentümer_innen mit offenem oder verstecktem Rassismus konfrontiert. «Vielen Vermieter_innen reicht ein nicht österreichisch klingender Name, um eine Interessentin zu ignorieren», sagt Jama. Andere gäben im Telefongespräch an, aufgrund schlechter Erfahrungen nicht an Muslim_innen zu vermieten. Spätestens beim Besichtigungstermin spiele auch die Hautfarbe eine Rolle. «Je dunkler die Haut, desto illusorischer wird es, einen ordentlichen Mietvertrag in Wien zu bekommen.» Begrenzte finanzielle Ressourcen und Rücklagen kämen erschwerend hinzu. «Wir erleben immer häufiger, dass hohe Kautionen, eine Schuldenauskunft, ein Mietpass mit Angaben früherer Vermieter_innen und mindestens drei Lohnzettel verlangt werden», fasst Jama zusammen. Eine Bürgschaftserklärung des Ehemanns, der im Fall von F. in Vorarlberg einen Job gefunden hat, nicht zu akzeptieren, sei, sagt Jama, «das einfachere Nein».
Recht und Frieden.
In einer 2019 veröffentlichten, repräsentativen Studie der Arbeiterkammer gaben 30 % der Personen mit zuschreibbarem Migrationshintergrund an, in den vergangenen drei Jahren bei der Wohnungssuche oder in der direkten Wohnumgebung schlechter behandelt worden zu sein als andere. Muslimische Personen fühlten sich in diesem Bereich zu 35 % von Diskriminierung betroffen. Ein schlüssiger Wert insofern, als der Soziale Survey Österreich, eine an den Universitäten Graz, Linz, Salzburg und Wien konzipierte Umfrage, 2018 ergab, dass 45 % der österreichischen Wohnbevölkerung der Ansicht sei, Muslimen sollten «nicht die gleichen Rechte wie allen in Österreich» zustehen.
Das ist eine Einstellung, der das Österreichische Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) nicht eindeutig widerspricht. Für den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen verbietet § 31 zwar Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der ethnischen Zugehörigkeit, nicht aber, wie es etwa für die Arbeitswelt definiert ist, aufgrund des Alters, der sexuellen Orientierung, der Religion oder Weltanschauung. «Ein großes Versäumnis», sagt Lukas Gottschamel, ZARA-Berater und Jurist. «Die Ausweitung des Diskriminierungsschutzes fordern NGOs seit vielen Jahren, aber es fehlt der politische Wille, sie umzusetzen.» Unter den 36 Mitgliedern des Equinet, eines europaweiten Zusammenschlusses von Gleichbehandlungsstellen, geben sich neben Österreich allein Estland, Griechenland und Spanien mit dem EU-Mindeststandard zufrieden.
68 Fälle von ethnisch und/oder religiös motiviertem Rassismus im Bereich Wohnen sind ZARA im Jahr 2019 gemeldet worden, 2020 waren es 92 Fälle. «Anspannung und Stress, bedingt durch die Corona-Pandemie und die Lockdowns, laden sich oft an Feindbildern ab, die man schon im Kopf hat», sagt Gottschamel. So wurden 2020 auffällig mehr rassistische Beschimpfungen im Nachbarschaftskontext gemeldet. Deren erste Empfänger_innen sind oft Kinder. «Nicht nur sind sie die schwächsten Glieder einer Familie, die insgesamt als ‹fremd› oder ‹ausländisch› wahrgenommen wird», erklärt Gottschamel. «Es kommt außerdem ein Berechtigungsdenken erwachsener Täter hinzu, über Kinder verfügen zu dürfen.» Ein spezieller Stellvertreterkonflikt, der sich immer wieder in behördlichen Beschwerden von Nachbar_innen über Lärm äußert. «Wir hatten einen Fall, in dem es sehr unwahrscheinlich war, dass der angezeigte Lärm aus der Wohnung der beschuldigten Familie gekommen ist», sagt Gottschamel. In den angegebenen Zeitspannen sei nämlich niemand zu Hause gewesen.
Diskriminierungen, die beim versuchten Eintritt in den Wohnungsmarkt passieren, etwa durch ein Inserat, das sich an sogenannte «Inländer« richtet, können aufgrund des GlBG über die Gleichbehandlungsanwaltschaft der Bezirksverwaltungsbehörde zur Prüfung vorgelegt werden. Im Regelfall ziehen sie Ermahnungen oder geringe Verwaltungsstrafen nach sich. «Wer darüber hinaus einen Schadenersatz vor dem Zivilgericht einklagt, trägt immer das Kostenrisiko», sagt Gottschamel. Anders verhält es sich mit Übergriffen durch Nachbar_innen, die laut § 115 des Strafgesetzbuches unter Beleidigungen fallen. Wer im Stiegenhaus oder im Innenhof und damit vor einer (möglichen) Öffentlichkeit von wenigstens drei weiteren Personen etwa rassistisch, sexistisch oder ableistisch beschimpft, verspottet, am Körper misshandelt oder mit einer körperlichen Misshandlung bedroht wird, kann dies bei der Polizei zur Anzeige bringen. Stellt die zuständige Staatsanwaltschaft diskriminierende Motive für die Tat fest, wird sie zu einem sogenannten Ermächtigungsdelikt, worauf die oder der Betroffene im Verfahren kein Kostenrisiko trägt.
Immer wieder müsse er Klient_innen aufgrund ihrer geringen Erfolgschancen von rechtlichen Schritten abraten, sagt Gottschamel. Andere strebten aus Angst vor Repressalien, aus Geld- oder Zeitnot kein gerichtliches Verfahren an. «Sich freinehmen zu können, wenn die Ladung kommt, ist keine Lebensrealität, die auf alle Menschen zutrifft.» Was seine Kolleg_innen und ihn aufgrund des zuletzt erhöhten Aggressionspotenzials im Nachbarschaftsbereich gefreut habe, sagt Gottschamel, «war, dass wir mehr Anrufe von Vermieter_innen bekommen haben, die wissen wollten, wie sie Mieter_innen mit Migrationshintergrund unterstützen könnten.» Manchen empfehle er, über die Hausverwaltung ein Budget für Mediationen zur Verfügung zu stellen. Wobei diese die Bereitschaft aller Seiten erforderten, einen konkreten Konflikt zu lösen. Nur wenn diese Bereitschaft vorhanden sei, könne sich langfristig das Zusammenleben verbessern.
Ein Frauenthema.
«Uns wird von Nachbar_innen berichtet, die unsere Klient_innen ohne Anlass wüst beschimpfen oder ihren Müll demonstrativ vor deren Haustür abstellen», sagt Ümmü Selime Türe, Mitarbeiterin der Dokustelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus. Viele der Personen, die eine Beratung in Anspruch nehmen, leben in Wiener Gemeindebauten. «Bevor sie zu uns kommen, haben sie sich normalerweise an Wohnpartner gewandt und mehrfach die Polizei gerufen. Nur hat sich ihre Lage dadurch nicht anhaltend gebessert. Manche haben sich bereits jahrelang terrorisieren lassen», berichtet Türe. Einmal sei ein Familienvater gekommen, der erfahren hatte, dass seine Frau aus Angst vor einem Nachbarn seit Monaten nicht mehr die Wohnung verlassen hatte. «Sie wollte den Konflikt vermeiden und hat sich deshalb isoliert.» Für viele Betroffene sei aufgrund der hohen psychischen Belastung ein Umzug notwendig, der oft in eine schlechtere Wohnung führe.
Hauptbetroffene von antimuslimischem Rassismus im Wohnbereich sind laut Türe Frauen. Im Report der Dokustelle für das Jahr 2019, der statistische Auswertungen aller gemeldeten Übergriffe beinhaltet, heißt es: «Die Aufschlüsselung der Daten nach Ort des Geschehens, Geschlecht und Tathandlung zeigt, dass als muslimisch markierte Frauen ein bis zu 80,36 % höheres Risiko haben, antimuslimischen Rassismus im Offline-Bereich zu erleben, als muslimisch wahrgenommene Männer.» Die eindeutigere ‹Markierung› erfolgt durch die Kleidung und insbesondere das Kopftuch, das in der Diskriminierungsforschung paradigmatisch für den intersektionalen Ansatz steht. Muslimische Frauen, so die Annahme, werden nicht allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit oder ihres Geschlechts diskriminiert, sondern machen durch die Wechselwirkungen beider Parameter Erfahrungen, die weder ein muslimischer Mann noch eine nicht-muslimische Frau machen würde. Im Bericht Forgotten Women des European Network Against Racism (enar) heißt es, muslimisch gelesene Frauen würden aufgrund tendenziöser Darstellungen in politischen und medialen Diskursen weithin als homogene Gruppe von Außenseiterinnen betrachtet, die alternative, mit dem Westen nicht kompatible «Werte» zu importieren suchten.
Den relativ hohen Frauenanteil unter den Klient_innen der Wiener Diakonie-Wohnberatungsstelle von 60 % hält auch Elisabeth Jama nicht für einen Zufall. «Wohnen ist ein Frauenproblem», sagt sie. «Von den bekannten Hochbetten- und Matratzenlagern sind nicht allein, wie oft angenommen wird, Männer betroffen.» Hinzu kämen frauenspezifische Problemstellungen am Wohnungsmarkt: Alleinerziehende würden von Vermieter_innen ebenso abgelehnt wie als «gebärfähig» eingestufte Frauen. Zumal einige Herkunftsländer mit dem Vorurteil belegt seien, dass in jeder Familie wenigstens fünf Kinder lebten. Eine Schwangerschaft, das habe sich in den Beratungen oft gezeigt, stelle für viele Vermieter_innen einen legitimen Kündigungsgrund dar.
Auch Zola A.* hat erfahren, wie sich ihre Chancen am Wohnungsmarkt durch die Geburt ihrer beiden Kinder zusätzlich verschlechtert haben. Nach langer Suche ist die 25-jährige gebürtige Somalierin vor zwei Monaten in einem Wiener Student_innenheim untergekommen, das ihr die Diakonie vermittelt hat. Da viele ihrer Nachbarn Männer seien, «muss ich ein bisschen aufpassen», sagt sie. «Ich schließe immer die Tür ab.» Die Warmmiete für die knapp 40 Quadratmeter große Wohnung beträgt 741 Euro; der Vertrag ist auf drei Jahre befristet. Damit habe sie es im Vergleich zu vielen ihrer Bekannten gut getroffen, sagt A., die in Österreich den Schulabschluss nachgeholt und eine Lehre zur Bürokauffrau abgeschlossen hat. Die nächsten großen Ziele seien, ein Wohnticket und damit eine Gemeindewohnung zu bekommen. «Es ist schwer, sich hier zu Hause zu fühlen», sagt A., bevor sie auf ihre Vorbildfunktion als alleinerziehende Mutter verweist. «Aber ich muss.»
* Namen von der Redaktion geändert