Schlaflos in Villachtun & lassen

Politik verhindert Notschlafstelle

«Betteltourismus» verhindern. Mit ­diesem Argument blockieren SPÖ, FPÖ und ­Grüne die Einrichtung einer Notschlafstelle für Erwachsene in Villach. Das System geförderter Wohnungen sei völlig ausreichend, finden die Parteien. Chris Haderer (Text und Foto) hat sich den Fall angesehen.

Bildunterschrift: Schauplatz Villach: Sascha Jabali, Gemeinderat für die Fraktion Verantwortung Erde (links), und Marjan Kac, Leiter der Tabea Lebenshilfe, sehen dringenden Bedarf an einer Notschlafstelle für Erwachsene

Was die Villacher SPÖ, die den Bürgermeister in der Eisenbahner_innenstadt stellt, überhaupt nicht mag, ist sogenannter «Betteltourismus.» Das unsägliche Wort suggeriert, dass Villach von «Roma und anderen Ethnien förmlich überrannt wird», sagt Marjan Kac, Leiter der «Westbahnhoffnung Tabea Lebenshilfe» am Westbahnhof Villach. Damit das nicht passiert, verweigert die Stadt die Einrichtung einer Notschlafstelle für Erwachsene. Anders als beispielsweise Klagenfurt hat Villach keine Anlaufstelle für die Nacht. Außerdem, so der trockene Kommentar von SPÖ-Vizebürgermeisterin Gerda Sandriesser in einem Interview mit dem ORF, sei kein Bedarf für eine Notschlafstelle gegeben: Jede_r Obdachlose, den oder die es offiziell eigentlich nicht gibt, könne eine leerstehende Sozialwohnung in Anspruch nehmen – er oder sie müsse sich nur offiziell obdachlos melden. Scheitert der Plan nicht an den Kosten für Kaution und Miete, dann vielleicht daran: «Nicht jeder, der seine Wohnung verliert, meldet sich sofort obdachlos. Da spielen Dinge wie Stolz oder die Finanzen eine Rolle. Manche Menschen sind auch gar nicht so einfach integrierbar, sodass es nur mit einer Wohnung alleine nicht getan ist», sagt Sascha Jabali, seit dem Jahr 2015 Gemeinderat für die Fraktion Verantwortung Erde.

Unter der Laube.

Die SPÖ Villach, die FPÖ und die Grünen sehen das Konzept der geförderten Wohnungen als ausreichend an, um Obdachlosigkeit zu vermeiden. «Wenn das so problemlos funktioniert, warum schlafen dann Menschen in Gärten, auf Bahnsteigen, Waggons und in Tiefgaragen», fragt er sich. «Es gibt genug Beispiele: Ein Hotelverwalter hat uns gemeldet, dass bei ihm Menschen in der Garage schlafen. Am Stadtrand gibt es Gemeinschaftsgärten, dort schlafen in den Folientunneln ebenfalls Menschen. Es ist also augenscheinlich, dass es diese Menschen gibt.» Dass es sie gibt, weiß auch Marjan Kac: Bis die ÖBB vor einigen Jahren mit der Kündigung des Mietvertrags für das Gebäude drohte, durfte in der Westbahnhoffnung auch übernachtet werden.

Sascha Jabali hat sich in den letzten Monaten intensiv mit dem Thema Obdachlosigkeit in Villach auseinandergesetzt. Jabali fordert von der Stadt die Einrichtung einer Notschlafstelle für Erwachsene (eine für Jugendliche gibt es bereits). Auf die Tragweite der Problematik wurde der 29-Jährige im April aufmerksam, als ein Obdachloser darum bat, unter der Laube von Verantwortung Erde übernachten zu dürfen. «Ich habe ihm gesagt, kein Problem, wenn es für eine Nacht ist. Letztlich wurden es mehrere Nächte und auch immer mehr Menschen, die sich unter der Laube einfanden» – zu viele für die vorhandene Infrastruktur. «Ich musste die Männer bitten zu gehen – das wollte ich aber nicht tun, ohne ihnen eine Alternative anbieten zu können. Deshalb habe ich mich mit der Thematik zu beschäftigen begonnen. Lange hieß es, dass es in Villach keine Obdachlosen gibt. Deshalb habe ich eine schriftliche Anfrage an den Bürgermeister gestellt, die er binnen zwei Monaten beantworten musste.» Danach hatte es Jabali Schwarz auf Weiß: «24 gemeldete Obdachlose im Juli, 17 im September. Seitdem bemühen wir uns um eine Notschlafstelle.»

Im Juli brachte Jabali beim Gemeinderat einen Dringlichkeitsantrag bezüglich einer Notschlafstelle ein, der von sechs Fraktionen unterstützt wurde – mit Ausnahme der SPÖ. Dadurch gab es keine Zweidrittelmehrheit und damit auch keine Dringlichkeit. «Er wird zu einem gewöhnlichen Tagesordnungspunkt und irgendwann behandelt. Das ist in den letzten drei Gemeinderatssitzungen nicht geschehen.» Trotz dieser Rückschläge sieht Jabali eine Entwicklung: «Mittlerweile behauptet man nicht mehr, dass es diese Menschen nicht gibt. Das hat man eingesehen. Es wird heuer in Villach auch ein Kältetelefon geben. Im Notfall werden Leute in Wohnungen der ARGE-Sozial gebracht, wo dann nach einer Nacht entschieden wird, wie es mit ihnen weitergeht.»

Privat oder öffentlich.

Positive Zeichen, doch mit einer Notschlafstelle habe das nichts zu tun. Dennoch: Das Kältetelefon wird eingerichtet, allerdings ist die Begeisterung für diesen nicht einmal mäßig sozialen Kurs auch in den eigenen Reihen offenbar nicht durchgehend. Mitte November ist der SPÖ-Gemeinderat Dieter Berger zurückgetreten: «Nach der unwürdigen Diskussion über das wichtige Thema der Notschlafstelle war für mich die Entscheidung klar», sagte er im Gespräch mit der lokalen News-Seite 5min.at.

Sollten politische Bestrebungen langfristig zu nichts führen, könnte sich Jabali auch eine privat betriebene Notschlafstelle vorstellen. Notwendig ist sie auf jeden Fall: In der Gegend von Villach liegt seit Anfang November Schnee. Je näher das Jahresende kommt, desto tiefer sinken die Temperaturen. In der vorigen Neujahrsnacht hatte es gute minus siebzehn Grad, im Herbst wurden schon minus neun gemessen.

Am 18. Dezember, ab 15 Uhr auf Radio Augustin: Update über die Situation einer Notschlafstelle in Villach.

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