Rund 3.000 obdachlose Menschen haben im vergangenen Winter das «Winterpaket»-Angebot des Fonds Soziales Wien genutzt. Anfang Mai, wie jedes Jahr, wurden die zusätzlichen Schlafplätze aufgelöst. Nun kündigt der FSW neue Sommer-Angebote an. Ein adäquater Ersatz?
Es klingt wie eine gute Nachricht, die der Fonds Soziales Wien (FSW) am 3. Mai per Presseaussendung verbreiten ließ. Ein neues Nachtzentrum soll im Sommer in der Hernalser Sautergasse eröffnet werden, mit einer Kapazität für «50 Personen gleichzeitig», wie Markus Hollendohner, Leiter der Wiener Wohnungslosenhilfe im FSW, verkündete. Das sei quasi eine Fortführung von aus einer «Notsituation» heraus geschaffenen Maßnahme in Folge von Messerattacken mit Todesfolge auf obdachlose Personen im vergangenen Sommer. Damals seien neue Schutzräume geschaffen worden, dieses Angebot werde nun dauerhaft fortgeführt. Bis Redaktionsschluss war allerdings das geplante Nachtquartier nicht eröffnet worden.
Zwei Pressemitteilungen, zwei Zahlen
Eine völlig andere Botschaft enthielt eine Aussendung der Initiative Sommerpaket, die nur einen Tag vorher, am 2. Mai, verschickt wurde, ein wichtiger Stichtag im sozialarbeiterischen Wiener Kalender. Denn an diesem Tag beendet alljährlich der FSW für die Sommerzeit das sogenannte «Winterpaket» und schließt zahlreiche Notquartiere für obdach- und wohnungslose Menschen. «Damit werden mehr als 800 Menschen auf die Straße gesetzt, wo sie wieder schutzlos Kälte, Hitze und Gewalt ausgesetzt sind. Gleichzeitig verlieren dadurch auch Sozialarbeiter:innen und Betreuer:innen ihre Anstellung», so die Kritik der Initiative, die unter anderem den Weiterbetrieb des Winterpakets auch in den Sommermonaten seit Jahren fordert.
800 Schlafplätze fallen für den Sommer weg, 50 kommen hinzu. Das sind für den Sommer immer noch 750 Plätze weniger als im Winter. Warum ist das so? Für den FSW ist das Winterpaket eine «humanitäre Notmaßnahme», die außerdem ein «Alleinstellungsmerkmal» sei.
Ein Aktivist der Initiative Sommerpaket bestätigt den prekären Charakter des Winterpakets. Die meisten Notquartiere seien «Zwischennutzungen in teils unsanierten Häusern am Stadtrand, die aufgrund von Lage und Zustand nicht oder nur beschränkt kommerziell nutzbar sind.» Im Sommer stünden diese Notquartiere großteils leer, nur einige würden zwischengenutzt, so der Aktivist weiter. Die vom FSW gewählte Formulierung des «Alleinstellungsmerkmals» will er auch nicht so stehen lassen, ähnliche Angebote gebe es zum Beispiel in der deutschen Großstadt Hamburg.
Ein Aktivist übrigens, der lieber anonym bleibt, wie viele Sozialarbeiter:innen, die sich für das Sommerpaket engagieren. Er berichtet von Repressionen und «schwarzen Listen» gegen Mitarbeiter:innen, die sich aktivistisch organisiert hätten. Seitens verschiedener für den FSW tätiger großer Sozialträger habe es Einschüchterungen gegeben – unter anderem nach einem von Sozialarbeiter:innen selbstständig, und ohne offizielle gewerkschaftliche Unterstützung organisierten Streik für den Erhalt einer Notschlafstelle in der Gudrunstraße in Favoriten im März 2021. Die Beschäftigten im Winterpaket arbeiten prekär, ihre Stellen werden im Sommer nicht verlängert. Warum? «Weil das Winterpaket eine zeitlich begrenzte humanitäre Notmaßnahme ist», wie es von Wohnungslosenhilfe-Leiter Markus Hollendohner auf Augustin-Nachfrage heißt.
Wer hat (keinen) Anspruch?
Dabei ist es noch nicht einmal so, dass es innerhalb des FSW kein Problembewusstsein gäbe. Zumindest auf dem Papier. So benennt das vom FSW herausgegebene Papier Strategie. Ziele. Maßnahmen aus dem Jahr 2022 eine Reihe von Herausforderungen für die Wiener Wohnungslosenhilfe: «Die starke Zuwanderung nach Wien hat auch Folgen für die Wohnungslosenhilfe.» Menschen, die die österreichische Staatsbürgerschaft oder Gleichstellung nicht besitzen und auf der Suche nach Arbeit nach Wien kommen und hier obdachlos sind, erhalten keinen Wohnplatz in der Wohnungslosenhilfe, heißt es darin. Und: «Diese nicht Anspruchsberechtigten machen einen Großteil der akut wohnungslosen Menschen in Wien aus. […] Weiterführende Unterstützung bei der Lösung ihres Wohnproblems bekommen sie nicht. Viele von ihnen bleiben jahrelang in Wien, und ihre gesundheitliche und soziale Situation verschlechtert sich immer weiter.» Für die Nutzung des Winterpakets hingegen bestehen keine Zugangsbeschränkungen, umso wichtiger wäre ein solches Angebot dauerhaft über das ganze Jahr.
Die Hauptbetroffenengruppe ist somit gleichzeitig die mit der geringsten Versorgung. Der FSW propagiert in seinen Broschüren zwar das Konzept «Housing First», für Menschen ohne sicheren Aufenthaltstitel gibt es aber nur Trostpflaster, etwa das neue Chancenhaus im Alsergrund mit 70 Plätzen, das zwar für den Frühsommer angekündigt ist, bisher aber nicht eröffnet wurde. Laut FSW soll hier gemeinsam mit den dort ankommenden Menschen an «Wohnperspektiven» gearbeitet werden. Für Menschen ohne Aufenthaltstitel bleibt nach einer Prüfung, ob Ansprüche auf Sozialleistungen in Österreich bestehen, oft nur eine Beratung über Rückkehrmöglichkeiten in die sogenannten «Heimatländer».
Zudem beklagt zwar der FSW in seinem Strategiepapier, dass die «durchschnittliche Nettomiete für eine Wohnung» von 2007 bis 2016 «um mehr als 43 Prozent» gestiegen sei und «immer mehr Mietverträge nur noch befristet abgeschlossen werden», doch während die Mieten steigen, steht die Wiener Wohnungslosenhilfe vor Budgetproblemen.
Dasselbe Geld, mehr Leistungen?
Tatsächlich ist es aber der Existenzweck des FSW, mit geringen Budgetmitteln zu operieren. Genau dafür wurde er im Jahr 2000 vom Wiener Gemeinderat eingerichtet. Zunächst ging es darum, die Suchtkrankenhilfe in eine privatwirtschaftliche Organisationsform, und genau das ist der FSW, auszulagern. Als der Anfang einmal gemacht war, gab es für die Wiener Stadtpolitik kein Halten mehr. Immer größere Bereiche der Wiener Sozialarbeit, wie eben auch die Wohnungslosenhilfe, wurden von der direkten Kontrolle durch den Magistrat in den FSW ausgegliedert. Im Jahr 2003 sagte der damalige FSW-Geschäftsführer und heutige Gesundheitsstadtrat Peter Hacker der Wiener Zeitung: «Mein Ziel ist es, um dasselbe Geld wie bisher mehr Leistungen anbieten zu können.» Und: «Arbeitszeit kostet Geld, und das müssen die Mitarbeiter im Sozialbereich langsam lernen.»
Für die Ausgestaltung der Wohnungslosenhilfe bedeutet dies, dass immer mehr Trostpflaster aneinandergeklebt werden. Das neue Angebot in der Sautergasse und das Chancenhaus im Alsergrund seien solche Trostpflaster. So kritisieren die Aktivist:innen der Initiative Sommerpaket zudem die dezentrale Lage des Nachtszentrums in einem Wiener Außenbezirk, dessen Straßenbahnanbindung derzeit außerdem aufgrund von Bauarbeiten für die neue U-Bahnlinie U5 zu großen Teilen unterbrochen ist.
Laut Markus Hollendohner von der Wohnungslosenhilfe im FSW handelt es sich bei dem Angebot in der Sautergasse nicht wirklich um eine Schlafstelle. «Primär sind es Aufenthaltsplätze mit Ruhemöglichkeiten. Das heißt, im Aufenthaltsraum kann mit mobilen Trennwänden und Betten unterstützt werden. Zusätzlich gibt es getrennte Rückzugsmöglichkeiten für Frauen und Männer in Ruheräumen mit circa zehn Schlafplätzen.» Das Angebot richte sich an alle Geschlechter. Abseits der Rückzugsräume handele es sich «aufgrund des besonders niederschwelligen Zugangs nicht um ein Angebot mit genderspezifischen Schutzkonzepten.»
Auch dies kritisiert der Aktivist der Initiative Sommerpaket im Gespräch mit dem Augustin: «Obdachlosigkeit von Frauen ist versteckter. Und Frauen wollen oft lieber Angebote wahrnehmen, die nur für Frauen da sind. Das gilt auch für andere vulnerable Gruppen, wie zum Beispiel LGBTQIA+-Personen.» Diese Problematik kennt auch der FSW selbst, wie es in seinem Strategiepapier zu lesen ist: «Gerade Frauen begeben sich, um nicht auf der Straße übernachten zu müssen, in Zweckpartnerschaften und andere Abhängigkeitsverhältnisse. Ihre Wohnungslosigkeit wird erst sichtbar, wenn sie sich an ein Unterstützungsangebot wenden. Das macht es schwierig, Angaben über die Zahl betroffener Menschen zu machen.»
Umso sichtbarer scheint der Bedarf nach einer Ausweitung von dauerhaften, nicht prekären Angeboten für alle in Wien lebenden Wohnungs- und Obdachlosen. Doch dafür fehlt der Stadtregierung der politische Wille, für dessen Steigerung es eine starke soziale Erzwingungsbewegung braucht.