Schlechter Lohn in MalmöArtistin

«Ein Studium war der verzweifelte Versuch, mein Leben in den Griff zu bekommen … ein weiterer Punkt auf meinem Lebenslauf, der mich nirgendwohin führen würde. Aber vielleicht war es besser als nichts.» Daria Bogdańska ist Mitte zwanzig, als sie nach Malmö zieht. Sie hat die Aufnahmeprüfung auf eine Comic-Hochschule geschafft – «I know it sounds idiotic» – und darum ihre temporären Lager in Barcelona abgebrochen. Malmö präsentiert sich ihr von seiner sympathischsten und punkigsten Seite: Sie bekommt ein Zimmer in einer Veganerinnen-WG, geht in die besten Squats der Stadt zum Tanzen, verliebt sich (trotz Fernbeziehung zu Erik) erfolgreich in den putzigen Krisse und findet auf einen Schlag eine ganze Menge musik- und bierliebender Freund_innen.

Halber Lohn. Aber auch in Schweden kostet das Leben Geld, und zwar nicht wenig. Sodass Daria nicht nur unter falschem Namen (Steuernummer bekommt sie so leicht keine) für die Verkehrsbehörde Fahrräder zählt, sondern auch in
einem indischen Restaurant als Kellnerin anheuert. Für fünfzig Kronen die Stunde (das sind etwa 50 % dessen, was ihr laut Kollektivvertrag zusteht), brutto für netto versteht sich. Ihre Kollegin Ida, Schwedin, bekommt ein bisschen mehr. Ihre Kollegin Nirja aus Bangladesch bekommt ein bisschen weniger – und kommt vor lauter Arbeiten kaum zum Studieren, obwohl sie Prüfungen abschließen muss, um ihr Visum nicht zu verlieren. Dann ist da noch Raha, der Küchenchef, und Domi, der Abspüler, und Daniel, der Einzige, der sich von Daria mitreißen lässt, als sie beginnt, sich für Gewerkschaften zu interessieren. Zum ersten Mal in ihrem Leben, obwohl sie das, was sie dort von «betrieblicher Organisierung» erfährt, doch eigentlich in allen bisherigen Jobs schon versucht hatte: im Hipster-Fairtrade-Café (da wollte sie für Teamsitzung und Putzdienst Stunden schreiben), als Fahrradbotin (da wollte sie nach Jahren eine Lohnerhöhung) und im Edelfahrradladen (da hatte sie kein Verständnis dafür, dass der Kollege mit dem gleichen Jobprofil mehr Geld bekam) – «aber es war immer aufs Gleiche hinausgelaufen», nämlich fristlose Kündigung.

Auf die Barrikaden. Daria Bogdańska hat diese Comic-Hochschule tatsächlich absolviert. In ihrer Graphic Novel «Von unten» zeichnet sie die Geschichte ihres Arbeitskampfs im Malmöer Restaurant Curry Hut. «Ich stieß auf Artikel
über Menschen ohne Papiere, die in Stockholm und Umeå schwarz arbeiteten und sich gewerkschaftlich organisierten. Ich schrieb sie an. Was du auch machst, es gibt immer jemanden, der es schon vor dir getan hat.» Nur die anarchosyndikalistische Gewerkschaft ist bereit, Daria und Daniel zu unterstützen; der behäbige Apparat der Landsorganisationen i Sverige, der Dachorganisation der Branchengewerkschaften, bräuchte dazu einen Beschluss, aber die Jahressitzung war gerade und überhaupt, ohne Steuernummer … «Sie sagten, ich bräuchte erstmal einen Vertrag und solle dann nochmal anrufen.»

Ausführlicher Krimi. Wie der Arbeitsrechtskrimi zu Ende geht, ob Daria sich zwischen Krisse und Erik entscheiden muss und was die Gewerkschaft von ihr lernt, erfährt die Comicleserin in einem 200-seitigen Erstlingswerk. Das hat Höhen und Tiefen im Flow und fühlt sich manchmal durchaus auch wie eine zu ausführlich geratene Erzählung von einer Person an, neben der man nach dem dritten Bier zufällig am Rand der Tanzfläche zu stehen kommt; aber einzigartig ist
das solide gezeichnete Buch in seiner Verknüpfung des ganz normalen und lustigen Lebens mit den massiven Härten des prekären Arbeitens. Darum sollten auch Sie, liebe Leser_innen, die Arbeiterkammer-Bibliothek ihres Vertrauens um Aufnahme in den Bestand ersuchen – vielleicht gleich in mehreren Sprachen.

Daria Bogdańska: Von unten
avant-Verlag 2019
200 Seiten, 22,70 Euro