Schlechter Sex nach dem Mauerfalltun & lassen

Sachbuch: Frauen, Sozialismus und ökonomische Unabhängigkeit

«Ich fick heut Abend mit ihm und zahl’s dir morgen zurück.» Was wie eine zuversichtliche Sexarbeiterin klingt, ist tatsächlich eine Hausfrau im Gespräch über ihren Ehemann. Sie ist für unbezahlte Hausarbeit und Kinderbetreuung verantwortlich, er erwerbstätig. Anstatt das Einkommen zu teilen, übt er übers Geld seine Macht aus. Dabei mögen sie sich sonst eigentlich ganz gern.
Die Erzählung ihrer Schulfreundin ist für die Autorin Kristen R. Ghodsee kein Einzelfall. Der Kapitalismus, argumentiert sie, lebt von der Ungleichverteilung nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen: in der Paarbeziehung. Das heterosexuelle Intimleben ist wie der ­Arbeitsmarkt von einem ökonomischen Machtgefälle geprägt, das die Entscheidungsfreiheit massiv einschränkt. Ficken für die Kreditkarte, Ficken für die Green Card. Darum, so Ghodsee, ist Sex im Kapitalismus schlicht nicht so gut wie im Sozialismus. Auch wenn es kitschig klingt, meint sie, «hatten August Bebel und Alexandra Kollontai im Grunde doch recht. Im Allgemeinen sind intime Beziehungen, die relativ frei vom Transaktionsdenken der sexualökonomischen Theorie sind, ehrlicher, authentischer, und, nun ja, einfach besser.»
Ihr Buch Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben verharrt nicht in Nostalgien über die befreite Frau auf der anderen Seite des eisernen Vorhangs; aber es verlangt den Leser_innen doch die Einsicht ab, dass die ökonomische Gleich(er)stellung der Geschlechter im Realsozialismus auch zur Befreiung der Körper führte. Und dass es ein schlauer Schachzug war, die Konsequenzen vom (unverhüteten) Sex mitzudenken: Zwar musste – wie heute in EU und USA – in vielen osteuropäischen Ländern gegen ein Abtreibungsverbot gekämpft werden; aber Mutterschutz und Kinderbetreuung waren ausfinanziert.
«Manche mögen besseren Sex für einen ziemlich trivialen Grund für einen Wechsel des Wirtschaftssystems halten.» Ghodsee, die als Amerikanerin für ein amerikanisches Publikum schreibt – vor allem für eine Horde an Millennials, die den Sozialismus à la Alexandria Ocasio-Cortez gerade für sich entdecken – überzeugt mit ihrer seriös recherchierten und gewitzt formulierten Ökonomiegeschichte die letzten Zweifler_innen.

Kristen R. Ghodsee: Warum Frauen im ­Sozialismus besseren Sex haben – Und andere Argumente für ökonomische Unabhängigkeit
Suhrkamp 2019
278 Seiten, 18,50 Euro

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