Absurdes Justiztheater in Wiener Neustadt
Der Fluchthilfeprozess gegen acht Refugees in Wiener Neustadt erweist sich als Vorhaben, Flucht(-Hilfe) und politischen Protest zu kriminalisieren. Zugtickets, Bustickets, Mitfahrgelegenheiten oder Schlafplätze organisieren, Fahrplanauskünfte geben: Solche Organisationsleistungen können heutzutage strafbar sein, wenn du Flüchtling und zu allem Überdruss noch politisch im Refugee-Protest aktiv bist.
Foto: Olja Alvir
§114 im Fremdenpolizeigesetz mit der Überschrift «Schlepperei» dazu sinngemäß: «Wer die rechtswidrige Einreise eines Fremden mit dem Vorsatz fördert, sich durch ein dafür geleistetes Entgelt zu bereichern, ist vom Gericht mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen.»
Von Bereicherung ist im seit Februar laufenden Prozess gegen acht (größtenteils aus Pakistan kommenden) Refugees allerdings noch wenig Rede: Beschuldigte und Kontoauszüge sprechen von Geldsummen zwischen zehn und 50 Euro – als «Dankeschön» oder um Spesen abzudecken, sagen die Beschuldigten. Die größte Kontobewegung, von der im Gericht bisher gesprochen wurde, waren 200 Euro – das Geld konnte aber bisher nicht mit etwaigen «Schlepperaktivitäten» in Zusammenhang gebracht werden. Auch der im Fall leitende Ermittler, Chefinspektor Korner, kann weder in der Anklageschrift noch vor Gericht erklären, von welchem Gewinn oder welcher Bereicherung für die Beschuldigten überhaupt ausgegangen wird.
Ähnlich dünn ist auch die restliche Beweislage: Die Anklageschrift gegen die acht Flüchtlinge stützt sich weitgehend auf Telefonprotokolle. Im Rahmen des ersten Teils des Prozesses im Februar wurde klar, dass es etwa bei deren Übersetzungen zu großen Fehlern gekommen ist. «Leute» oder «Burschen» wurde hierbei etwa mit «Schleppungswillige» übersetzt. Die Längen der Originale in Dari, Farsi, Paschtu und Urdu und die der deutschen Übersetzungen stimmen nicht überein, was auf weitere Fehler, Auslassungen oder Dazudichtungen hinweisen könnte. Es kam auch zu falschen Zuordnungen von Personen bzw. ihren Stimmen und daher Überschneidungen, Mehrfachnennungen und Widersprüchen. Mitunter fällt Zeugen und Ermittlern auch die Identifikation der Beschuldigten im Gerichtssaal schwer.
Der Prozess wurde von der Richterin Petra Harbich daraufhin nach fünf Prozesstagen im März abgebrochen. Sie veranlasste eine Überprüfung der Anklageschrift, mit der sie «in dieser Form nicht arbeiten» konnte. Im Zuge dessen wurden die beschuldigten Refugees auf Antrag der Staatsanwältin nach acht Monaten enthaftet.
(ziti) Der Dolmetscher hat leider nichts verstanden
Der Prozess wurde im Mai wieder aufgenommen – ohne sichtbare Verbesserungen oder merklichen Änderungen. Viele der Telefonate, die belastend sein sollen, waren beim Vorspielen im Gerichtssaal unverständlich, verzerrt, rauschten. Ein Gerichtsdolmetscher meinte bei einem Prozesstag im Juni, er könne zu einem gehörten Gespräch nicht viel sagen, da er nichts verstanden habe und nur Mutmaßungen anstellen könne.
Weitere Streit- und Verhandlungspunkte sind etwa Wohnsituation und Besitz der Refugees. Es wurde im Gericht versucht abzuklären, ob diese überhaupt die Möglichkeiten haben, Fluchthilfe zu organisieren oder beispielsweise selbst Schlafplätze anzubieten. Dazu wurden wenig ergiebig Leitung und Mitarbeiter eines Kolping-Hauses befragt. Ominös bleiben auch die Geschichten von einem mutmaßlichen «Schlepper-Boss» Bobby Shah, der im Hintergrund die Fäden gezogen haben soll. Die Polizei habe diesen laut Anklageschrift und Aussagen ausgefahndet und bereits konkret geplant, ihn festzunehmen – dies ist aber seltsamerweise nie passiert. Warum genau es zu dieser Entscheidung kam und wer den Befehl zum Abbruch der Operation gegeben hat, können weder Chefinspektor Korner noch Bezirksinspektor Kranz sagen.
783 Personen soll der «Schlepperring» 2013 laut Anklageschrift nach Österreich oder weiter gebracht haben. Keine der Personen nannte bei Befragung Namen der in Wiener Neustadt angeklagten Refugees – das bestätigt die Polizei. Einer der Beschuldigten bekannte sich dennoch teilschuldig: Er habe nicht gewusst, dass es in Österreich strafbar sei, anderen Menschen zu helfen, kann und will aber nicht leugnen, dass er es getan habe.
Zurzeit sind die Verhandlungen gegen die acht Refugees im Landesgericht Wiener Neustadt wieder im Gange. Unterstützung und Prozessbeobachtung sind seitens der Beschuldigten ausdrücklich erwünscht. Einen ausführlichen Live-Ticker vom Fluchthilfeprozess gibt es auf Twitter: @Prozessreport