Schluss mit „good for nothing“tun & lassen

Joana Adesuwa Reiterer gegen Frauenhandel und Aberglauben

AfrikanerinWien.jpgIn dem mehrfach ausgezeichneten Sachbuch Ware Frau beschreiben Corinna Milborn und Mary Kreutzer anhand konkreter Geschichten vom Handel mit afrikanischen Frauen das perfide Zusammenwirken von Geschäftemacherei, sexueller Ausbeutung und Rassismus. Die Idee zum Buch stammte von der in Wien lebenden Nigerianerin Joana Adesuwa Reiterer, die die AutorInnen auch bei der Recherche in Europa und Nigeria unterstützte.

Ausgehend von ihren persönlichen Erfahrungen Joanas in Österreich lebender damaliger Ehemann entpuppte sich bei ihrer Ankunft in Wien als Frauenhändler wurde sie nach ihrer Flucht aus dieser Ehe zu einer engagierten politischen Aktivistin im Kampf gegen Menschenhandel und für Menschenrechte. 2006 gründete sie den Verein EXIT mit dem Ziel, Menschenhandel in der europäischen und afrikanischen Öffentlichkeit zum Thema zu machen. In ihrem vor kurzem erschienen autobiografischen Buch Die Wassergöttin verdeutlicht sie, wie patriarchale Gesellschaftsstrukturen und die teils traditionellen, teils aus dem Westen importierten Kirchen und Kulte in fataler Weise den Frauenhändlern in die Hände spielen. Im Augustin-Gespräch erklärt sie, warum sie in Wien eine NGO gründete.

Du wurdest schon als Kind von deinem Vater beschuldigt, eine Wassergöttin zu sein. Was bedeutet das?

Ogbanje, also Wassergöttin zu sein bedeutet, aus dem Wasser zu stammen und von Wassergöttern besessen zu sein. Dieser Glaube ist ein Teil des traditionellen Juju-Kultes, in Europa besser unter Voodoo bekannt. Ogbanjes wird zugeschrieben, besondere Kräfte zu besitzen und ihren Familien Wohlstand bringen zu können. Voraussetzung ist aber, dass sie sich dazu bekennen. Tun sie das nicht, bringen sie statt Glück Verderben. Die Frauen müssen sich immer wieder sehr kostspieligen Juju-Ritualen unterwerfen, um ihre Kräfte entfalten und erhalten zu können. Auf der anderen Seite gibt es Tausende von Pastoren von meist aus den USA stammenden Pfingstkirchen, die Hexen- und Geisteraustreibungen machen. Beide, die Pfingstprediger und die Juju-Priester, verdienen sehr viel Geld. Das ist ein Riesengeschäft.



Wie kam es zu dieser Entwicklung und was sind seine Ursachen?

Früher ging es bei den Ritualen um Heilen, Fruchtbarkeit, Zusammenleben etc., heute geht es vor allem ums Geld. Ursachen für diese Entwicklung sind nicht Armut und Mangel an Bildung, denn auch Gebildete glauben daran. Es ist eher eine generelle Verunsicherung durch tief greifende gesellschaftliche Veränderungen und fehlende Identität. Die Menschen suchen nach einer einfachen Lösung für ihre Probleme, nach Erklärungen, und die Priester und Pastoren bieten ihnen diese. Wenn jemand Misserfolg hat, sucht er die Verantwortung nicht bei sich, sondern sucht einen Sündenbock. In der nigerianischen Gesellschaft, die eine sehr patriarchale ist, wird die Schuld bei denen gesucht, die sich schlecht wehren können, bei Frauen und Kindern. Die Vorwürfe richten sich nie gegen Männer. Betroffen sind besonders jene, die irgendwie nicht der Norm entsprechen.



Was hat dich motiviert, dieses Buch zu schreiben?

Ich wollte eigentlich gar kein Buch schreiben. Ich begann meine Geschichte niederzuschreiben, um sie zu verstehen. Es ging mir sehr schlecht damals. Zwei Jahre davor war ich mit 22 Jahren frisch verheiratet und voller Hoffnung nach Österreich gekommen. Ich hatte bereits ein bewegtes Leben in Nigeria hinter mir. Ich hatte wegen der Anschuldigungen meines Vaters früh meine Familie verlassen, hatte kurz studiert, ging dann nach Nairobi, lebte dort unter der Brücke, wurde dann Schauspielerin, spielte Hauptrollen in zwei Filmen, hatte eine Modeboutique, organisierte Modeschauen. Dann lernte ich meinen Ex-Mann Tony kennen. Er lebte damals schon in Österreich. Ich dachte, er sei Reiseunternehmer. Erst in Österreich wurde mir klar, dass er Frauen nach Europa holt und sie an Zuhälterinnen weiterverkauft. Er hatte geplant, dass ich für ihn die Mädchen auf dem Strich beaufsichtige solle. Ich hatte Glück. Ich erfuhr auf einer Parkbank, auf der ich weinend saß, von einem fremden Mann, dass es Frauenhäuser gibt, wohin Frauen flüchten können. Während des Schreibens tauchten viele Dinge auf, die ich dann genauer recherchierte. Nach und nach erkannte ich, dass viele Frauen und Kinder betroffen sind, dass das ein großes gesellschaftliches und politisches Problem ist. Und darüber wollte ich aufklären, also beschloss ich, dass es ein Buch wird.

Du hast vor drei Jahren den Verein EXIT gegründet, um über das Problem des Frauenhandels aufzuklären. Wie sieht die Situation der betroffenen Frauen aus?

Viele der nigerianischen Frauen, die hier auf dem Strich arbeiten, haben bis zu 90.000 Euro Schulden, durchschnittlich sind es 45.000. Die Schulden entstehen durch Kosten für den Schlepper, der sie dann um 15.000 an die Zuhälterin verkauft, Kosten für Kleidung und Wohnung, rechtlichen Beistand beim Asylverfahren, Kosten für das Juju-Ritual, das sie vor ihrer Abreise machen müssen, Zinsen etc. Bei dem Ritual versprechen sie, alles bis auf den letzten Cent zurückzuzahlen, andernfalls würde ihre Familie in Nigeria Schaden erleiden. Das ist ein äußerst wirksames Mittel, die Frauen unter Druck zu setzen. Die Frauen sind hier ihren Zuhälterinnen vollkommen ausgeliefert. Es wird ihnen eingeschärft, mit niemandem über ihre Situation zu sprechen, sie würden sofort in Schubhaft landen und abgeschoben werden. Viele dieser Frauen wurden ebenfalls bezichtigt, Hexe oder Wassergöttin zu sein. Das erwähnen sie oft nur nebenbei, weil sie dem keine besondere Bedeutung beimessen.

Was würde diesen Frauen helfen oder wie kann die Situation insgesamt verändert werden?

Die Frauen auf dem Straßenstrich kann man zwar über Streetwork erreichen, aber es nützt gar nichts, solange man ihnen nichts anbieten kann. Der einzige Weg für eine Frau hier in Österreich auszusteigen, ist, dass sie mit der Polizei kooperiert und alles erzählt. Aber wieso sollte sie das machen, wenn sie damit ihre Familie in Nigeria in Gefahr bringt? Die Polizei kann die Familie in Nigeria nicht schützen. Und danach wird sie vielleicht auch noch abgeschoben. Es muss ein Angebot für die Frauen geben, zum Beispiel eine einfache Ausbildung zu machen, sodass sie einen legalen Aufenthaltsstatus und Arbeitsmarktzugang erlangen können. Italien ist sehr stark von Frauenhandel betroffen, und dort macht man das. Man hat gemerkt, dass die Frauen, wenn sie nicht gezwungen werden auszusagen, um zu bleiben, mit der Zeit selber erkennen, wie sehr sie ausgebeutet wurden. Viele machen von sich aus später die Anzeige. Aber in Österreich ist das schwierig. Hier hat man Angst, wenn man das einer erlaubte, dann kämen hundert. Wir haben auch mit der Polizei gearbeitet und Sensibilisierungsarbeit gemacht. Aber das ist viel zu wenig. Es müssten in der Grundausbildung Schulungen zu Menschenhandel gemacht werden, damit die angehenden PolizistInnen lernen, wie man Betroffene identifizieren kann und was man tun kann.

EXIT hat in den letzten Jahren seine Schwerpunkte etwas verlagert. Anfangs war das Ziel die Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit, dann kam Beratung von betroffenen Frauen in Österreich dazu. Was sind eure weiteren Pläne?

In den nächsten zwei Jahren wollen wir weiterhin intensiv Öffentlichkeitsarbeit und Beratung in Österreich und in Nigeria machen. Wir sehen z. B., dass viele nigerianische Eltern ihre Kinder drängen, die Schule abzubrechen und nach Europa zu gehen. Die Bilder von Europa müssen entzaubert werden. In Österreich wollen wir die Sensibilisierungsarbeit bei den Behörden verstärken. Außerdem haben wir ein Ausbildungsprojekt für ausstiegswillige Frauen gestartet, das gleichzeitig ein Empowermentprojekt ist. Die Frauen lernen Schmuck zu machen, erwerben betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse, haben Deutschunterricht und das ist ganz wichtig lernen ihren Alltag in Österreich selbständig zu meistern, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, Fremde auf der Straße anzusprechen, sich in der Stadt zu orientieren. Nach Abschluss der Ausbildung bekommen sie einen Mikrokredit von 300 Euro als Grundausstattung für die selbständige Schmuckproduktion. Diese Frauen haben das Gefühl, dass sie nichts wert sind, dass sie nichts können, good for nothing eben, weil man ihnen das immer eingeredet hat. Ich erinnere mich an ein sehr bewegendes Erlebnis: Eine Frau machte zwei Ketten, die sie schon immer haben wollte. Sie in ihrem Stolz und ihrer Freude über die fertigen Schmuckstücke zu sehen, war ein großer Moment: Die Frau hat gemerkt, dass sie ein Mensch ist und nicht einfach ein Objekt, das man benutzen kann.

Mit Joana Adesuwa Reiterer sprach Martina Handler

Info

Joana Adesuwa Reiterer: Die Wassergöttin. Wie ich den Bann des Voodoo brach, München 2009

Website: www.adesuwainitiatives.org Spenden für das Schmuckdesign-Ausbildungsprojekt sind sehr willkommen.