Schmähstad?tun & lassen

Am 24. Mai endet die Ära Häupl in Wien

24 Jahre lang war Michael Häupl Bürgermeister der Stadt Wien. Allzu schlecht wird man ihn nicht in Erinnerung behalten. Das hat weniger mit ihm selbst, als mit seinem Nachfolger zu tun, findet Samuel Stuhlpfarrer.

Foto: Mario Lang

«Michael hãupl stagedived am rathausplatz», schrieb die Autorin Stefanie Sargnagel, die gelegentlich auch für den AUGUSTIN illustriert, am 1. Mai mittags auf Facebook. Und tatsächlich: Hätte er es gewollt, die Besucher_innen des traditionellen Mai-Aufmarsches vor wenigen Wochen hätten den Gerade-Noch-Bürgermeister wohl auf Händen getragen. Mit nach Parteiangaben 120.000 Personen nahmen in diesem Jahr signifikant mehr Menschen als zuletzt daran teil – wohl auch deshalb, weil es Abschied-Nehmen hieß. Nach 24 Jahren als Bürgermeister und gar einem mehr als Parteichef der Wiener SPÖ tritt Michael Häupl am 24. Mai von der politischen Bühne ab.

Ungemach. Schon vor zwei Jahren, am 1. Mai 2016, war es Häupl, der der zerstrittenen Partei einen Anstrich von Einigkeit verleihen sollte. Am Rathausplatz duellierten sich damals Gegner_innen und Unterstützer_innen des glücklosen SPÖ-Bundesparteichefs Werner Faymann. Die «Parteilinke» und die Jugendorganisationen forderten dessen Rücktritt, einzelne Bezirksorganisationen akklamierten dagegen trotzig «Werner, der Kurs stimmt» – eine verwegene Losung angesichts einer zu diesem Zeitpunkt zweistelligen Serie an Wahlniederlagen für die SPÖ unter Faymanns Ägide. Ganz gegen die Gepflogenheiten sah die Parteiregie nicht den Kanzler, stattdessen den Bürgermeister als letzten Redner vor. Die schon im Vorfeld erwarteten und gegen den Kanzler gerichteten Buh-Rufe sollten nicht am Ende der Veranstaltung stehen.

Nur acht Tage darauf verkündete Faymann seinen Rücktritt. Schon in der Frage seiner Nachfolge konnte sich Häupl – gegen dessen Willen seit Viktor Klima kein SPÖ-Parteichef bestellt wurde – parteiintern nicht mehr durchsetzen. Der von ihm favorisierte Medienmanager Gerhard Zeiler zog frühzeitig zurück. Christian Kern, der spätere Bundeskanzler und bis heute SPÖ-Chef, machte statt ihm das Rennen. Häupl selbst drohte nun aus den eigenen Reihen Ungemach. Eine Gruppe aus Faymann-Getreuen rund um die Gemeinderäte Harald Troch (Simmering) und Gerhard Schmid (Hietzing), den ehemaligen Landesparteisekretär Christian Deutsch und Doris Bures zieh den Bürgermeister der mangelnden Unterstützung für den Kanzler. Unter der Oberfläche ging es freilich um mehr.

Rückzug.

Schon die Neuauflage der rot-grünen Koalition nach den Gemeinderatswahlen vom Herbst 2015 hatte insbesondere in den Flächenbezirken für Unmut gesorgt. Wenig goutiert wurde ebendort auch der zurückliegende Wahlkampf, der von der Migrationsbewegung des Sommers 2015 wesentlich geprägt war. Die Stadt Wien und Michael Häupl hatten sich dafür entschieden, den damals ankommenden Menschen einigermaßen anständig zu begegnen. Man stellte in vergleichsweise kurzer Zeit Notunterkünfte zur Verfügung, organisierte relativ unbürokratisch Ankunft, Versorgung und Weiterreise. Das und die akzentuierte Absage an eine Koalition mit der FPÖ wollten die Wähler_innen der SPÖ nicht überall gutheißen. Zwar büßte sie bei den Gemeinderatswahlen vom 11. Oktober 2015 weit weniger Wählerstimmen ein als im Vorfeld angenommen, jenseits des Gürtels waren die Verluste teilweise dennoch erheblich.

Bundespolitischen Rückenwind erfuhren Häupls Kritiker_innen aus dem Burgenland. Dort hatte Landeshauptmann Hans Niessl die Partei ohne großes Aufsehen im Frühjahr 2015 in eine Koalition mit den Freiheitlichen geführt. In der Person von Wohnbaustadtrat Michael Ludwig stand auch in Wien ein Mann parat, der sich einem solchen Kurs zu verschreiben bereit war. Sicherheit, versprach Ludwig, würde künftig an erster Stelle stehen und Vorrang für Wiener_innen gegenüber neu zugewanderten Menschen in der Stadt spürbar werden. Nach wiederholten Ablöseforderungen aus den eigenen Reihen sah sich Häupl im April letzten Jahres schließlich dazu gezwungen, seinen Rücktritt anzukündigen. Den Zeitplan durfte der einstmals mächtigste Mann in der SPÖ noch vorgeben, die Regelung seiner Nachfolge selbst lag da schon nicht mehr in seinen Händen. Das machte selbst – den üblicherweise um keinen Kalauer verlegenen – Michael ­Häupl schmähstad.

Thronfolge.

Die bisweilen erbitterte Auseinandersetzung um die sozialdemokratische Thronfolge verschleierte, wie weit nach rechts die Partei in Summe bereits gerückt war. Auch Ludwigs letztlich aussichtsloser Herausforderer, der Klubobmann der SPÖ im Parlament Andreas Schieder, bekannte noch im Jänner, dass er eine Vorzugsbehandlung für österreichische Staatsbürger_innen in puncto Mindestsicherung begrüßen würde. Nutzen sollte es dem verlegenen und verleugneten Kandidaten des Häupl-Lagers nicht. Mit rund 14 Prozentpunkten Rückstand landete er am SPÖ-Landesparteitag im Jänner dieses Jahres schließlich deutlich hinter Ludwig.

Häupls unmittelbare Umgebung ist in der SPÖ seither außen vor. Die Stadträt_innen Sandra Frauenberger und Andreas Mailath-Pokorny kündigten schon vor Wochen ihre Rücktritte an. Häupls «rechte» Hand, Finanzstadträtin Renate Brauner, wird Ludwigs erster Regierung ebenso wenig angehören. Mit Harry Kopietz muss ein weiterer Häupl-Vertrauter seinen Platz, diesfalls den im Landtagspräsidium räumen. Auch der zwischenzeitlich aufgeschobene Abgang von Christian Oxonitsch als SPÖ-Klubobmann im Rathaus dürfte unmittelbar bevorstehen.

Damit verbleiben mit Ulli Sima (Umwelt) und Jürgen Czernohorszky (Jugend und Bildung) nur zwei Stadträt_innen aus Häupls Team in der Regierung Ludwig. Ob die in Peter Hacker (Soziales) und Veronika Kaup-Hasler (Kultur, parteifrei) gesetzten Hoffnungen, der Law-and-Order-Politik Michael Ludwigs etwas entgegenzusetzen, begründet sind, ist mehr als zweifelhaft. Ludwig selbst hat schon angekündigt, wovon er im Zweifelsfall ausgeht: «Dann entscheidet der Bürgermeister.»

Rotes Dilemma.

Auch wenn Michael Häupl seither bei nahezu jeder Gelegenheit die Geschlossenheit der Wiener SPÖ betont: Schieders Niederlage war auch die seine. Sein Umgang mit ihr dagegen nicht untypisch für den Mann, der nahezu ein Vierteljahrhundert an der Spitze dieser Stadt gestanden ist.

1993 wählte die SPÖ den damals 44-jährigen Umweltstadtrat zu ihrem Vorsitzenden. Ein Jahr darauf beerbte er Helmut Zilk als Bürgermeister – Teil des Nachlasses war die absolute Mehrheit in Wien, die er bei den ersten Wahlen als Spitzenkandidat im Jahr 1996 sogleich auch verlor. Es war die große Zeit Jörg Haiders und seiner FPÖ. Von weniger als zehn Prozentpunkten im Jahr 1987 kletterte das dritte Lager neun Jahre später auf nahezu 28 Prozentpunkte. Die SPÖ verlor im gleichen Ausmaß und insbesondere in jenen Milieus, derer sie sich bis dahin stets sicher sein konnte – unter Arbeiter_innen und im Gemeindebau. Häupl musste in eine Koalition mit der ÖVP. Sein damaliges Gegenüber Bernhard Görg, gab dieser Tage in der Wiener Zeitung bereitwillig Auskunft über den Langzeit-Bürgermeister. Machtbewusst sei Häupl nie gewesen, ein Vollblutpolitiker dagegen schon. Davon, so Görg, gäbe es in der Politik zwei Arten: «Die einen, wie zum Beispiel Wolfgang Schüssel, visieren zunächst Inhalte an, und dann kommen die Wahlen. Bei Häupl war es immer umgekehrt: Er hat immer für die Wahlen gelebt, und die Inhalte haben sich dann sozusagen ergeben.» Görgs Befund beschreibt die Umstände von Häupls Abgang trefflich. Vor allem aber formuliert er ein klassisch sozialdemokratisches Dilemma. An die Stelle utopischer Vorstellungen ist die Verwaltung des Niedergangs getreten. Es ist kein Zufall, dass Häupls erfolgreichste Zeit – 2001 und 2005 gelang es ihm, die Absolute wieder zu gewinnen – in eine Phase schwarz-blauer Bundesregierungen fiel. Genauso wenig, dass sich der Niedergang der SPÖ in Wien erst 2010 und erneut 2015 unter einem sozialdemokratischen Bundeskanzler ereignete.

Blödheiten.

Die Sympathien, die Michael ­Häupl zuletzt auch weit jenseits der SPÖ entgegenschlugen, haben viel, aber nicht ausschließlich mit seinem Nachfolger zu tun. Der studierte Biologe Häupl hat Humor und kann seine Gedanken in ganzen Sätzen formulieren – auch ohne, dass sie ihm vorab aufgeschrieben werden müssen. Und: Er war nicht für jede Blödheit zu haben. Davon zeugt etwa der Umgang mit jener knappen Million Menschen, die im Sommer 2015 in Wien eine offene und freundliche Aufnahme erfahren haben. Dass Häupl die nicht zuletzt von seiner eigenen Partei betriebenen ständigen Verschärfungen der Fremdengesetze bis hin zur «Obergrenze» mitgetragen hat, sollte man darüber nicht vergessen.

Anzurechnen ist Häupl dagegen, dass er sich dem Ausverkauf der städtischen Infrastruktur verwehrt hat. Während die SPD in Berlin etwa Anfang der 2000er-Jahre im großen Stil kommunale Wohnbauten privatisierte, wurde der Bestand in Wien wenigstens erhalten. Neue Wohnungen baut die Stadt allerdings auch nicht mehr. Der letzte Gemeindebau wurde 2004 im 23. Bezirk errichtet.

Der Ungleichbehandlung von Mindestsicherungsbezieher_innen sowie Bettel- und Kopftuchverbotsforderungen erteilte Häupl bis zuletzt Absagen – auch wenn er die zig-fach widerlegte Mär von der «organisierten» Bettelei übernahm. Wenn es um den Umgang mit «Randgruppen» ging, neigte man im Rathaus generell der Erzählung des Boulevards zu. Zuletzt am Beispiel Praterstern. Noch vor seinem Amtsantritt wollte Michael Ludwig mit dem sektoralen Alkoholverbot am und rund um den Praterstern eine erste Duftnote seiner Agenda setzen. Ausnahmen gibt es freilich für die gastronomischen Betriebe und die jährlichen Events auf der angrenzenden Kaiserwiese, etwa beim «Oktoberfest». Akzentfrei und in Tracht darf man auch weiterhin am Praterstern speiben. Immerhin für diese Blödheit war Michael ­Häupl am Ende doch noch zu haben.