Schmutz & Schundvorstadt

Die auffällig gelbe Fassade (unten l.) gehört zum Geschäft von Fritz Matula in der Taborstraße (Foto: © Chris Haderer)

Die sogenannten Groschenhefte haben sich bis heute gehalten. Manches daran und darin blieb gleich, manches musste mit der Zeit gehen.

Das «Groschenheft» ist tot, und das schon seit längerer Zeit. Denn bei ­einem Preis von bis zu drei Euro pro Heftroman sei der Begriff obsolet geworden. Ein kleiner, unter den Freund:innen der «Dime Novel» grassierender Scherz, man hört ihn öfters. Bleibt noch der auch recht etablierte Ausdruck «Schundheft», mit dem klargestellt sein will, dass es sich um eher ­schlichte Geschichten handelt und nicht um visionäre Literatur; geschweige denn überhaupt um Belle­tristik – auch wenn das so nicht stimmt.
Heftromane sind als Massenware konzipiert und folgen deshalb ausgetretenen und bewährten Handlungspfaden. In der Menge der wöchentlich aufliegenden Romanhefte, von G-Man Jerry Cotton und Kommissar X über Rätselhafte Rebecca und Rote Laterne bis zum Geisterjäger John Sinclair und den Werken von Hedwig Courths-Mahler sind allerdings auch Autor:innen zu finden, die den Anspruch haben, «solide Unterhaltung mit einem herzeigbaren Weltbild» abzuliefern, wie es der 2008 verstorbene Heftromanautor Ernst Vlcek im Gespräch formulierte. Von Brunn am Gebirge aus schrieb er für Serien wie Perry Rhodan, Dämonenkiller oder Mythor – um seine «Leser zu unterhalten, nicht ihnen hochgeistige Philosophie vorzusetzen. Das ist mein Job.»

Heftroman-Verbot

Der Schund im Schundheft ist mittlerweile öfters der Aufmachung geschuldet als dem Inhalt. In den Nachkriegsjahren gab es in Österreich eine fast unüberschaubare Zahl von Kleinverlagen, die Heft­romane mit erstaunlich großer Bandbreite, sowohl inhaltlich als auch die schreiberische Qualität betreffend, publizierten. Als nach 1945 eine Fülle von neuen Medien und Lebensansichten in das kulturell eher statische Österreich schwappten, mussten Kinder und Jugendliche allerdings vor den minderwertigen Leseabenteuern geschützt werden. Mit dem «97. Bundesgesetz vom 31. März 1950 über die Bekämpfung unzüchtiger Veröffentlichungen und den Schutz der Jugend gegen sittliche Gefährdung» wurden «Schundhefte» praktisch über Nacht verboten. Der Kampf gegen Schmutz und Schund wurde 1965 wiedereingestellt, betraf bis dahin «allerdings nur öster­reichische Verlage, sodass der heimische Markt mehr oder weniger kampflos den deutschen Nachbarn überlassen wurde», erzählt Peter Soukup, Vorstand des «Vereins der Freunde der Volksliteratur».
Die Wurzeln des Vereins reichen bis ins Jahr 1961 zu seiner Gründung in Graz zurück; die Ziele haben sich mehrfach geändert und jetzt verbindet er eine kleine Gemeinschaft von deutschsprachigen Heftroman-Fans, von ­denen etwa 80 in Österreich zu Hause sind. «Es sind alle schon ältere Semester», sagt Soukup. Die Auseinandersetzung mit der vergangenen und gegenwärtigen Heftromanlandschaft findet bei Treffen im Zipfer-Eck in Meidling statt und in den mehrmals jährlich erscheinenden Blättern für Volksliteratur. Darin erscheinen Artikel und Abhandlungen über längst verblichene Serien wie Tom Shark oder Captain Future. Es ist eine für Hardcore-Fans ­gemachte Publikation, «denn jüngere Leser kennen ­diese Titel nicht mehr». Hoffnungsfrohe Versuche, das klassische Heft-Format in kleinem Rahmen zu reaktivieren, flackern immer wieder auf – zuletzt mit der Pulp-Reihe von Evolver Books, quasi eine Hommage an die amerikanischen Pulp-Magazine, die auf billigem Papier durchaus Literarisches unters Lesevolk brachten.
Im deutschen Sprachraum war es eher üblich, Mittäter:innenschaften am Schundroman zu verschweigen – so soll auch Johannes ­Mario Simmel – Bestsellerautor der 1980er-Jahre und unter anderem für seine geheimdienstliche Rezept­sammlung Es muß nicht immer ­Kaviar sein bekannt – solche geschrieben haben. «Er leugnet es, aber wir haben den Beweis», sagt Peter Soukup: «Seine ersten Werke sind in der auf Kriminalromane spezialisierten Bären-Bücherei erschienen.» Warum Simmel nicht von seiner Krimivergangenheit sprach, ist für Soukup ein Rätsel: auch andere Autor:innen, wie etwa der für seine Western bekannte G. F. Unger oder Wolfgang Hohlbein, Karl May und ­Hedwig Courths-Mahler, die später die Belle­tristik besiedelten, haben ihre ersten Zeilenhonorare beim Heftroman verdient. Für Soukup sind «Heftromane sicherlich keine hochwertige Literatur, sondern gut gemachte Unterhaltung. Wann liest man einen Heftroman? Vielleicht noch in der Straßenbahn, wenn man nicht gerade ins Handy schaut. Kurzweilige Unterhaltung, die immer noch eine moralische Unterhaltung ist, weil das Gute siegen soll. Und auch siegt.»

(Schöne) neue Welt

Held:innen müssen mit der Zeit gehen – das gilt auch für Romanheld:innen. Der Agent Jerry Cotton beispielsweise musste sich an die schöne neue Welt anpassen: «Plötzlich musste er einen Hybrid fahren, durfte nicht mehr rauchen und keine Leute mehr umnieten», fasst Markus Compart zusammen. Er gehörte lange zum Cotton-Autor:innenkollektiv und hält die Serie für eine der hochwertigen Beispiele heftformatiger Geheimdienste: «Die Geschichten sind gut geschrieben und spannend. Mehr kann man sich in diesem Genre nicht wünschen.» Die Autor:innen sind in diesem Fall austauschbar, keine:r von ihnen wird je beim Bachmann-Preis vorsprechen dürfen, die Romane erscheinen unter Verlagspseudonymen. Die Handlung bewegt sich meist in eingetrampelten Pfaden. Alleine bei Bastei erscheinen drei ­Serien mit «Berg» im Titel: Das Berghotel, Der Bergdoktor und Der Bergpfarrer. Von diesem Blickwinkel aus betrachtet, kann man Johannes Mario Simmel doch gut verstehen, wenn er nicht von der Vergangenheit sprechen wollte.
Auf dem Heftromansektor einzigartig ist die Perry-­Rhodan-Serie, die seit 1961 beim deutschen ­Pabel-Moewig Verlag erscheint und mit ­einer wöchentlichen Auflage von 60.000 Stück auf Band 3.300 zusteuert. Wir erleben die ein paar tausend Jahre in der Zukunft angesiedelten Abenteuer einer Menschheit, die die Grenzen des bekannten Universums längst gesprengt hat und sich mit Kosmokraten, Superintelligenzen und Chaosmächten herumschlagen muss. Von einem Autor:innenkollektiv auf ­Grundlage von Exposés geschrieben, gibt es weltweit ­keine ähnlich umfangreiche und langlebige Science-Fiction-Heftroman-Serie – derzeit mit österreichischer Beteiligung. Mit ­Michael ­Marcus Thurner und Leo Lukas werken ein ­echter und ein Wahl-Wiener an der unendlichen Weltraumge­schichte mit. «Wir sind dankbar, dass es ­immer noch so viele Leute gibt, die an einer Serie dranbleiben», sagt Thurner. «Wir sehen, dass die Leserschaft überaltert ist, und eine neue Serie aufzubauen funktioniert kaum mehr. Aber Heft­romane sind nach wie vor eine vergleichsweise günstige Form der Literatur.» Den Frauenanteil unter den Leser:innen schätzt er auf 15 bis 20 Prozent, insgesamt sei es «eher eine technik­affine Leserschaft».

Vom Leser zum Autor

Michael Marcus Thurner ist als Leser zur Serie gestoßen: «Nach verschiedenen Kurzgeschichten ist der damalige Chefredakteur auf mich aufmerksam geworden und ich habe die Seiten gewechselt.» Perry Rhodan ist nicht Thurners einzige Leidenschaft: Er hält auch Schreibseminare und verfasst unter anderem Reisebücher. Für das nächste wird er mit seinem Motorrad etwa sieben Monate unterwegs sein. Die Abenteuer von Rhodan & Co. entstehen dabei «on the road» am Laptop. «Das funktioniert sehr gut und der Arbeitsaufwand ist planbar», sagt Thurner und schließt nicht aus, dass Reiseerlebnisse in einzelne Rhodan-Romane einfließen.
«Herkömmliche Literatur ist Single-­Tennis. Perry Rhodan ist Fußball. Du spielst im Team», sagt Leo Lukas. Er lernte Perry Rhodan nach einer Blinddarm-Operation im Spital von Voitsberg kennen. Seine Mutter versorgte ihn mit Lesestoff «und das Schicksal nahm seinen Lauf». Jahre später, als der gelernte Journalist schon als Kabarettist tätig war, wurde der Pabel-­Moewig Verlag auf ihn aufmerksam, weil er den Roman Wiener Blei zum Rollenspiel Shadowrun geschrieben hatte. «Das war ein bisschen so, wie wenn du mit 14 Beatles-Fan bist und mit 40 ruft dich Paul McCartney an, ob du nicht mitspielen willst», fasst er seinen Einstieg in die Perry-Rhodan-Serie zusammen. Der liegt mittlerweile über 20 Jahre und 100 Romane zurück. Dass immer wieder der Begriff «Schundheft» auftaucht, stört ihn nicht: «Ich sage immer: Pulp-Fiction and proud of it.» Und: «Unterhaltungsliteratur ist ein Handwerk. Das muss man lernen, und dann haben die Sachen auch Qualität. Trivialliteratur kann man das eigentlich nicht mehr nennen.»

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