Schneefrau und FrauenzentrumDichter Innenteil

Schneefrau im Sturm (Zeichnung: Jella Jost)

Cherchez la Femme (12/21)

Es schneit. Ich lege Felleinlagen in meine ausgelatschten Schuhe, mit denen ich in Kürze den rutschigen Waldboden begehen werde. Es ist kalt. In der Nacht friert es. Handschuhe, Mütze, Schal ins Gesicht gezogen und hinaus in die Welt, die so gar nicht still da liegt. Angst und Unmut gehen um. Ich verbringe zu viel Zeit in den Netzwerken. Zu viele Eindrücke. Zu viele Informationen. Facebook, Instagram, Twitter ist zum Vergessen. Ich plane einen neuen Umgang mit mir und der Welt. Ich habe in den letzten Jahren viel gelernt über mich. Ich bin offen für Entwicklung, bloß kein starres Denken, das kann böse enden. Weich bleiben, biegsam und nachgiebig. Eigenschaften, die sich früher mich für total spießig anhörten. Ich öffne die Türe. Der Horizont glänzt in Rottönen, darunter das Schwarz der nackten Bäume vor Weiß. Ich stapfe durch den Wald wie der Waldschrat und stoße zufällig auf eine Schneefrau. Ja richtig. Schneefrau. Ich weiß ganz sicher: Es ist eine Frau. Auch ohne Brüste ist sie für mich Frau; muss sich keine Implantate setzen lassen, um Frau zu sein, keine Vagina zurechtschneiden lassen und sich dem Schneemann unterwerfen. So wie ihr Körper dasteht, so breitbeinig, so gstanden, wie man in Österreich sagt, genau so ist sie richtig, mit ihren Zweigen als (Scham)Haare. Das ist meine Schneefrau und niemand kann sie mir madig machen. So gehe ich weiter. Manche Stellen sind eisig und ich rutsche aus. Nichts läuft derzeit so, wie ich mir das wünsche. Vieles geht daneben, mit vielem scheiterte ich. Der Einfluss der Medien ist so groß geworden, dass mein eigenständiges Denken darunter leidet. Mir zog es die Füße weg, als ich ein Universum betrat, in dem mit Körpern, insbesondere mit Geschlechtsmerkmalen, umgegangen wird wie mit einer Modelliermasse. Brüste werden vergrößert, Hintern werden aufgeblasen, Fett wird abgesaugt, Lippen gespritzt, bis sie aussehen wie eine Vagina quer im Gesicht – und ich nehme an, das ist auch der Zweck. Ich spreche von gesellschaftlichem Druck von Machbarkeit und Formbarkeit stereotyper Körperbilder und ich vermute, dass dahinter die mediale Entwicklung der Pornographie eine bedeutende Rolle spielt. In den 90er Jahren hieß der Zwang sexiness, heute heißt er fuckable. Pornographische Bilder kriegt man nicht mehr aus dem Kopf; Vergewaltigungen von (fast durchgängig) Frauen, Minderjährigen, das Zerfleischen-Wollen, das Vernichten-Wollen, das Eindringen in den anderen, das Körperzerfetzen (Klaus Theweleit Männerfantasien). Als ältere Feministin sage ich, ja, lebt durchaus sexpositiv, öffnet eure Scheuklappen, aber geht nicht über eure Grenzen hinaus. Ihr kommt von dort nicht mehr zurück, das hat mir eine Psychotherapeutin über ihre Klient*innen erzählt. Wir brauchen Grenzen, um uns nicht verletzen zu lassen und andere nicht zu verletzen. Verantwortung sich und den anderen gegenüber. Auch wenn’s so abgenützt klingen mag.

 

Das Glück ist ausverkauft

 

Ich bin als Frau, nein, als Mädchen, nein, als «Fräulein» groß geworden, sozialisiert in Schotten-Rock, BH und Binden. Na gut, in den 80ern wurden mein Haarschnitt und mein Gang «burschikoser» – sagte man damals. Meine Jeans waren so eng, dass ich mich auf das Bett legen musste, um sie überzustülpen. Meine Sprache wurde derber, vor allem meiner Mutter gegenüber. Ich habe gebrüllt, gewütet, konfrontiert. In meiner mit sechzehn Jahren selbstzerfleischenden Suche nach «Wer bin ich?» und «In dieser Welt will ich nicht leben! manipulierte man mich in der Schule effektiv mit Worten wie «Gott, bist DU fett!» und mit bedrohlichen Begegnungen am Schulgang in den Pausen. Das war ganz real zum Kotzen. Ich wurde magersüchtig. Meinen Blick auf meinen jungen wunderschönen, gesunden Körper ließ ich mir von Zeitgenoss*innen kaputtreden, kaputtdenken und so, wie es meinem unreifen Geist an Perfektion nicht mangelte, hungerte ich mich zurecht, bis meine biologische 42-Kilogramm-Substanz einbrach. Heute ist mir bewusst, was ich mir damit genommen habe. Meine Power, mein Selbstbewusstsein, mein Frau-Sein. Ich hatte mich geopfert, aber niemand hatte mir deshalb Anerkennung geschenkt. Niemand war auf irgendeine Weise netter, liebevoller, wertschätzender oder gerechter zu mir. Vor 45 Jahren hatte man mir das als Glück verkauft und ich habe es geglaubt. Niemand konnte mir den Schmerz nehmen, durch den ich später gehen musste. Niemand kann mir da reinpfuschen heute. Keine Sau. Keine Community. Denn ich habe mich davon nicht mehr abhängig gemacht. Doch das versprochene Glück ist nach wie vor on sale und ausverkauft, aber das lässt mich kalt. Mein weiter Weg dahin. Gerade Jugendliche sind in ihrer Suche zutiefst fragil und sollten beschützt werden. Was ist heute Feminismus? Der Feminismus wurde unter das Joch des uneingeschränkten Kapitalismus gestellt. Dort tritt man mit Füßen und richtet die Leute wieder zu. Feminismus steigert die Verkaufszahlen und macht sich gut als Türschild. Cool! Solange keine Radikalen und Wahnsinnige vorbeikommen. Hört man heute noch junge Feministinnen sagen, dass sie auf den Schultern von Gigantinnen stehen oder erwirbt man das Prädikat feministisch durch Shoppen, Onlineporno und sexpositiv?

 

Die Gigantinnen des Frauenzentrums

 

Ich erinnere mich an 1981, als das WUK besetzt und auf Stiege 6 das FZ (Frauen-Lesben-Zentrum, betrieben vom Verein Kommunikationszentrum für Frauen, Lesben, Migrantinnen, Mädchen) als eines der ersten autonomen Frauenzentren begründet wurde, nicht kommerziell und selbstverwaltet. Heute, vierzig Jahre später, will die Stadt Wien das Frauenzentrum renovieren, ohne die Forderungen des Frauenzentrums miteinzubeziehen. Eine ungute Situation für die Frauen, die so viel geleistet haben. Eine der involvierten Frauen schildert zum Beispiel ihre Schlosserinnenlehre in den 80er Jahren. Als sie ihr Diplom entgegennahm, stand auf dem Dokument «Herr M.». Man sagte ihr, es gebe kein anderes Formular. Sie weigerte sich, das in dieser Form entgegenzunehmen. Diese Szenen scheinen fast lächerlich, waren aber notwendige und hart erkämpfte Wegbereiter für eine langfristige Änderung der Sichtbarkeit von Frauen in allen Berufen heute. Würde es nach der Stadt Wien, Stadträtin Gaal gehen, wird das Stiegenhaus des Frauenzentrums öffentlich zugänglich gemacht. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Frauen brauchen geschützte Räume, denke ich mir, aber eine der Frauen räumt ein, sie möchte das FZ nicht als geschützten Raum bezeichnen, sondern als Frauenfreiraum, um gemeinsamen Widerstand entwickeln zu können. Man muss bedenken, dass das FZ sich seit 40 Jahren selbst verwaltet, für alle Kosten selbst aufkommt, ausgenommen Betriebskosten. Die klaren Forderungen des FZ lauten daher zu Recht: Die kommende Renovierung muss in Übereinstimmung mit dem FZ vonstatten gehen; die Sanierung des Gebäudes als Pilotprojekt dient der Frauenförderung bei öffentlichen Aufträgen; sowie ein Monitoring der Arbeitsbedingungen der Frauen auf der Baustelle und Evaluation. Aber leider. Frau Stadträtin Gaal reagiert auf keine der Kontaktwünsche, obwohl der MA 34 ein Konzept vorliegt und um Gesprächstermine gebeten wurde. Man solle sich mit dem WUK einigen. Das FZ sieht sich aber absolut nicht als Teil des WUK und vermutet hinter dem Zögern, mit dem FZ keine Gespräche zu führen, die Verweigerung des rechtlichen Status als eigene Bestandsnehmerin. WUK und FZ existieren als unterschiedliche Vereine. Dennoch wird das FZ in das WUK oft miteinbezogen. Historisch betrachtet ist das FZ seit Beginn jedoch eigenständig. Das FZ ist auch nicht Mitglied im WUK. Die Frauen des FZ sprechen daher von «Zwangsverheiratung». Die Radikalität der Frauen des FZ ist der Stadt Wien möglicherweise politisch nicht gewünscht. Da die Stadt Wien zögerlich agiert, kommt nun die Arbeiterkammer zum Zug. Die AK Vollversammlung fand im November statt und es wurde ein Antrag Solidarität mit dem FZ eingebracht. Nächster Schritt: Die Arbeiterkammer behandelt die Forderungen des FZ in ihren Ausschüssen: eigenständige Bestandsnehmerin; Partnerin der Stadt Wien; Öffentlichkeit auch für zukünftige Generationen; Stadt Wien sichert dem FZ das Stiegenhaus Teil des FZ zu; Frauenprojektförderung für die Betriebe und das Handwerkerinnenprojekt. Jetzt heißt es aktiv werden und die Petition unterzeichnen auf der Website des FZ. Die Gigantinnen der zweiten Frauenbewegung haben mehr als ein halbes Jahrhundert Wirksamkeit bewiesen. Ihre Aktionen sind die Basis für alle jungen Feministinnen, die um ihre Rechte kämpfen. Wertschätzung ihr Frauen!

 

FZ-bleibt! Song

In da Währinga Strossn 59 Stiege 6

Ist des FZ afoch – anadochtzig – eizogn, des war nett!

Haum an Frauenturm gegründet, autonom und frech,

Weil’s scho ollahechste Zeit woar für an Frauenaufstand, echt!

Zack, besetzt wars und instandg’setzt, Riesenhockn, trallala

Aber mocht nix, ham die Fraun g’sagt, is für uns, des moch ma a

Ned laung drauf war scho a Festl und Highlife im Frau’nturm

und des hot sie hoid bewährt, do is no vü mehr draus wurn.

 

UND WIR WOIN UND SCHREIN GAUNZ LAUT:

IHR KRIAGTS UNS DO NED RAUS

DAS IST UNSER HAUS

 

Vierzig Jahr späda: renoviert werdn sois, die «Immobilie» WUK.

Und die Frauen wolln’s auf Gusch stölln – ignoriern woin’s uns ruckzuck!

Kommt da Macho von da Stodt – sogt: Des reiss ma olles raus.

Die Stiege 6 ist unser Eigentum, ein öffentliches Stiegenhaus.

Woin des FZ ruiniern – olles gentrifiziern!

Die Frau Gaal wü applaudiern und uns ignoriern?

Die Stadt Wien stüht Raum, sogn mia, echt zum Kotzn, so a Dreck.
Aber dass eich nur ned teischt’s, a FZ ramt’s ihr ned afoch weg!

 

Nach dem Song von Ton Steine Scherben Rauchhaus Song
Text C: Mir san’s

 

 

 

 

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