Schnelle Ballwechsel im Parkvorstadt

«What the f*** is Roundnet?», heißt es auf der Website des Roundnet Club Graz. Um eine Antwort zu finden, probiert Nina Thiel (Text & Fotos) diesen Sport in Graz und in Wien aus.

«Leg mal die Kamera weg, wir spielen eine Runde!», ruft mir Andy zu. Ohne zu zögern lege ich nicht nur die Kamera, sondern auch meine gewohnte Rolle als Beobachterin ab. Die Sonne scheint. Das Gras im Grazer Stadtpark ist warm. Eigentlich bin ich hier, um das «Mixed Feelings», ein Roundnet-Turnier, als Zuseherin zu besuchen und um mehr über die Trendsportart herauszufinden. Doch anstatt Fotos für eine Reportage zu schießen, ziehe ich nun Schuhe und Socken aus, reibe meine Handflächen aneinander und beschließe, den exotischen Sport selbst zu erleben. Auch bekannt unter dem Namen Spikeball hat sich das neuartige Ballspiel in den letzten Jahren rasant in Österreich verbreitet und genießt heute vor allem in städtischen Parkanlagen große Beliebtheit. Der Grazer Barth war einer der ersten Spikeballspieler_innen hierzulande und ist Teilnehmer am heutigen Turnier. Und außerdem ist er mein Teampartner. Zumindest für eine Partie.

Endlich mal ausprobieren!

Die grundlegenden Regeln der Sportart sind einfach erklärt: Nach dem Service sind innerhalb eines Teams drei Ballberührungen – mit allen Körperteilen – erlaubt, bevor der Ball auf einer Art kleines Trampolin auftreffen muss. Danach übernimmt das gegnerische Team. Der Ablauf erinnert an Volleyball, mit dem Unterschied, dass nicht über, sondern auf das mit einem Netz überzogene Gestell gespielt wird. Es gibt auch kein festgelegtes Feld – gespielt wird in alle Richtungen.
Mit der Handfläche schlage ich den grapefruitgroßen Gummiball in das Trampolin vor mir und versuche mit dem folgenden Ballwechsel mitzuhalten. Nach einigen Ballberührungen und wenigen Tipps der anderen Spieler fühle ich mich aktiv am Spiel beteiligt. «Mich fasziniert so an Spikeball, dass es jeder sofort spielen kann», erklärt mir Andy begeistert (trotz unserer Niederlage). Das Grundsystem – die Handbewegung, mit der man den Ball spielt, sei einfach. Jeder könne im Stadtpark vorbeikommen, spielen und dabei einfach Spaß haben. Ich stimme zu.
Kennengelernt hat Andy die Sportart unter dem Markennamen «Spikeball». Eines der wahrscheinlich ersten Netze in Graz war ein Mitbringsel einer Freundin. Sie entdeckte das Roundnet der Firma Spikeball in Kanada. Als erster großer Hersteller der Sprungnetze hat Spikeball das bereits 1989 erfundene Spiel im Jahr 2008 neu aufleben lassen. Der Markenname hat sich weltweit zum Synonym der Sportart entwickelt. Spaziergänger_innen und Radfahrer_innen halten regelmäßig neben der Turnierwiese an, um die runden Gestelle und gelben Gummibälle zu bestaunen. Eine junge Familie unterbricht ihren Spaziergang, um das Spiel an einem der freien Netze «endlich mal» auszuprobieren.

Europameister aus Graz.

Andy erinnert sich an seine ersten Spikeball-Partien: «Wir haben uns einfach hier im Stadtpark getroffen und gespielt.» Kurz darauf sei die Wiese jeden Sonntag zum Roundnet-Treffpunkt geworden. Da die ersten Spikeballsets schwer zu bekommen waren, beschloss Andy, Sammelbestellungen direkt beim Hersteller aufzugeben, also die Netze zu importieren. «Das Ganze hat eine Eigendynamik entwickelt», sagt er über die Entwicklung der Community in der steirischen Landeshauptstadt. Immer mehr Leute haben sich an den Spielnachmittagen beteiligt. Aus einem Netz sind acht bis zehn Netze geworden, die sogar an winterlichen Sonntagen im Stadtpark bespielt wurden. «Du erwischt damit Leute, die vielleicht gar nicht so im Sport verankert sind. Jeder kann kommen und spielen. Und wer mehr will, kann auch zum Vereinstraining kommen.» Der Grazer Roundnet-Verein besteht seit September letzten Jahres und zählt aktuell 48 aktive Mitglieder, welche sich zum Teil in wöchentlichen Trainings auf internationale Turniere vorbereiten.
«Das hat gleich funktioniert wie im Park», Andy erinnert sich an die European Roundnet Championships in London und erzählt, wie der Sport auch auf hohem Niveau ohne Schiedsrichter_in auskommt. Fairplay steht dabei im Vordergrund und ermöglicht ein selbstreguliertes Spiel. Im vergangenen Jahr wollten die Grazer_innen zum ersten Mal sehen, wo sie im internationalen Vergleich stehen, und haben mit insgesamt fünf Teams an der EM teilgenommen. «Am Ende haben wir uns gut verkauft und sind weit gekommen. Da haben wir gemerkt: Pass auf, wir können mitspielen. Aber sowas von!»
Andy behält Recht. Wenige Tage nach unserem Gespräch haben die beiden Grazer Benjamin Bachler und Marian Leitgeb die diesjährige EM in Köln gewonnen. Die Europameister der Herren-Division haben sich gegen 128 europäische Teams durchgesetzt. Platz sieben und neun werden ebenfalls von Vereinskollegen belegt. In der Damen-Division können die Grazerinnen den elften Platz erzielen. In der Mixed-Division geht der 16. Platz an ein Grazer Duo.

Anlaufstelle Wien, Heldenplatz.

Beflügelt von meinen Grazer Spikeball-Erfahrungen kontaktiere ich den ersten Roundnet-Verein Wiens. Ob ich mir ein Training anschauen dürfte, frage ich in meiner Mail. «Mitspielen ist auch kein Problem», antwortet Stefan mir kurz darauf. Am Wiener Heldenplatz trifft sich die Gruppe jeden Samstag, um vor einer beeindruckenden Kulisse Roundnet zu spielen. Gemeinsam mit unzähligen Tourist_innen betrete ich den Platz und bleibe auf der weichen Rasenfläche vor der Hofburg stehen. Die beiden Spikeballnetze, auf denen heute gespielt wird, stehen inmitten imposanter Architektur, und ich kann es kaum erwarten, selbst mitzuspielen. «Wir sind gleich fertig», ruft mir Stefan zu. Die Sonne scheint. Es ist wärmer, als ich erwartet habe. Ich stricke meine Jogginghose hoch, ziehe meine Schuhe und Socken aus und stehe wenige Minuten später selbst am Netz. Mit einem schnellen Handschlag stelle ich mich vor und wir beginnen einen neuen Satz.
Stefan Voigt ist leidenschaftlicher Spikeballspieler und Mitgründer des Wiener Roundnet-Vereins. «Hättest du mir zu Silvester 2017 gesagt, dass ich im kommenden Jahr einen Verein gründe, hätte ich das für sehr unwahrscheinlich gehalten.» Er lacht und beschreibt die Rolle des Vereins als Anlaufstelle für Spielinteressierte in Wien. «Im Grunde genommen spielen wir einfach extrem gern Spikeball und haben gemerkt, dass ein Verein für uns die angenehmste Form ist, um regelmäßige Treffen zu veranstalten.» Die Motivation zur Gründung eines offiziellen Klubs waren demnach nicht sportliche Erfolge, sondern entsprang dem Bedürfnis nach einer Halle, um auch während der Wintermonate spielen zu können. Seit Oktober 2018 ist die Gruppe von zehn auf aktuell 25 Vereinsmitglieder gestiegen. Finanzielle Unterstützung von der öffentlichen Hand gibt es nicht. Spikeball ist hierzulande (noch) keine anerkannte Sportart.

Die Zukunft ist rund.

Zahlreiche Tourist_innen beobachten unser Spiel. Wie viele, kann ich nicht beschreiben, die schnellen Ballwechsel fordern meine volle Aufmerksamkeit. In kurzen Spielunterbrechungen merke ich, dass wir fotografiert werden. Ich versuche eine gute Figur zu machen, allerdings fällt es mir, trotz steigender Übung, schwer, die Richtung und Distanz meiner Pässe zu bestimmen. Obwohl ich gleichermaßen konzentriert und angestrengt bin, lache ich. Und zwar viel. Mittlerweile wird ein drittes Netz auf der kleinen Wiese vor dem Erzherzog-Johann-Denkmal bespielt, und meine gute Laune spiegelt sich im Lachen der anderen Spieler_innen wider.
Zusätzlich zu den regelmäßigen Treffen am Heldenplatz veranstaltet der Verein wöchentliche Trainings im Auer-Welsbach-Park, wo an Spieltechnik und Taktik gefeilt wird. Trainingsinhalte stammen zum Teil aus amerikanischen YouTube-Videos, welche mit Erfahrungen einzelner Vereinsmitglieder zu wöchentlichen Übungsschwerpunkten aufbereitet werden. Die Spieler_innen bereiten sich zum Teil auf nationale und internationale Turniere vor, erzählt Stefan mir nach unserem Spiel. Wichtiger als sportliche Erfolge sei dem Verein allerdings, durch niedrige Mitgliedsbeiträge für alle offen zu bleiben.
Während ich nach einer weiteren Niederlage raste, stoßen drei junge Männer zur Gruppe. Die portugiesischen Urlauber beginnen, ohne sich allzu lange mit den Regeln auseinanderzusetzen, an einem der Netze zu spielen. «Das Spielen am Heldenplatz hat schon zahlreiche Touristen angelockt», erzählt Stefan. «Es ist schön zu sehen, wie schnell der Sport wächst.» Mittlerweile wird Spikeball als Universitätssportkurs und als Teil der Initiative «Bewegt im Park» angeboten. An manchen Schulen werde das Ballspiel sogar im Sportunterricht gespielt, erklärt Stefan und glaubt, dass sich der Sport in Zukunft auch außerhalb von Schul- und Unikreisen etablieren könne. 

Nähere Infos und Anmeldung unter:
https://wiener-roundnet.com/